Grundrisse, Nummer 10
Juni
2004
Jacques Derrida:

Marx & Sons

Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004

Gemeinsam mit der Neuauflage des ursprünglich 1993 erschienenen Marx’ Gespenster veröffentlichte der Suhrkamp Verlag das schmale Bändchen Marx & Sons, welches die Antworten des französischen Starphilosophen auf seine KritikerInnen enthält, die im Jahre 1999 an dem Gemeinschaftswerk Ghostly Demarcations beteiligt waren. Dieser Band enthält im englischen Original auch bereits die nunmehr ins Deutsche übersetzten Antworten Derridas. Dieser zieht, durchaus ungewohnt, aber inhaltlich nicht unbegründet, eine beinahe orthodox-marxistisch anmutende Demarkationslinie zwischen jenen, die er beschimpft und jenen, mit denen er sich ernsthaft auseinandersetzt. Doch der Schock sitzt tief, und so ist das ganze Buch von einem grantelndem Unterton durchzogen. Jacques Derrida als angry old man. Lediglich Toni – „sicher ein besserer Marxist als ich“ – Negri vermag ihm ein Lächeln abzuringen. Aber alles der Reihe nach:

Derrida kündigt zu Beginn des Buches an, auf fast alle KritikerInnen einzugehen. Dieses Versprechen löst er zwar ein, jedoch in einer seltsam gewichteten Art und Weise – auf den lediglich rund 100 Seiten wird nämlich leider ein Großteil polemischen Spitzen gegen vermeintlich und tatsächlich vulgärmarxistische Positionen eingeräumt, während die inhaltlich spannenderen Auseinandersetzungen lediglich einen Bruchteil an Raum finden. So wird, obwohl auch die überaus grantig-polemischen Auseinandersetzungen mit Gayatri Spivak, Aijaz Ahmad, Terry Eagleton oder Tom Lewis ab und an interessante theoretische Implikationen beinhalten, im Großen und Ganzen lediglich auf den letzten 20 Seiten philosophisch argumentiert. Diese 20 Seiten sind dann auch das Beste an dem schmalen Bändchen, beinhalten sie doch eine Konkretisierung zentraler Begrifflichkeiten der Derridaschen Marxinterpretation bzw. -dekonstruktion. Die Frage nach dem Gehalt des „Messianischen“ und die daran anknüpfende – und vor allem mit Toni Negri geführte – Diskussion um Nutzen und Nachteil der Ontologie bieten tatsächlich Anknüpfungspunkte für die höchst notwendige kritische Behandlung des „Marxschen Erbes“.

Wer sich die Mühe macht, die Kritiken der von Derrida so massiv attackierten DiskutantInnen zu lesen, versteht auch die barsche Zurückweisung der oftmals tatsächlich mehr als antiquiert anmutenden Anwürfe, die da lauten: Derrida wolle „die Dekonstruktion“ mit „dem Marxismus“ „wiederversöhnen“ (Ahmad), „Derridas Internationale behauptet weiterhin die Wünschbarkeit von Bündnissen über Klassen hinweg (Arbeitgeber zusammen mit Arbeitern); ihr Aufruf zur Mitgliedschaft wendet sich vor allem an Intellektuelle – vorzugsweise an andere Dekonstruktivisten“ (Lewis), oder ein aus dem Zusammenhang gerissenes und Derrida in den Mund gelegtes „Wir werden keine Repolitisierung anstreben“ (Spivak).

Die ernsthafte Auseinandersetzung mit den ernsthaften Kritikern kreist dann um die oben bereits angesprochenen Aspekte (Messianismus, Ontologie), streift kurz die Fragen nach Ideologietheorie, Klassen und Ausbeutung. Thematiken wie jene der „Spektralität“, die in Marx´ Gespenster noch das theoretische – mit Verlaub – Zentrum der Argumentation bildeten, oder die Frage nach dem Stellenwert der Gespenster-Metaphorik, vor allem in Bezug auf Shakespeares Hamlet, werden lediglich in Nebensätzen behandelt.

Antonio Negri hatte in seinem in Ghostly Demarcations erschienenen Text „The Specter´s Smile“ vor allem zwei Punkte kritisiert: Einerseits das Nicht-Vorhandensein eines Ausbeutungsbegriffes bei Derrida und andererseits:

Wenn das Gesetz des Wertes selbst aus den Angeln ist, wenn sogar die Zeit nicht mehr das Wertmaß und der Gebrauchswert nicht mehr die wirkliche Bezugsgröße der Arbeit sind, warum soll dann trotzdem die Dekonstruktion die Kritik zeitweilig unterbrechen und sich in Trauerarbeit versenken (S. 132),

so die Zusammenfassung des Kritikpunktes von Negri in einer erläuternden Fußnote, „Trauerarbeit“ ist in Marx´ Gespenster notwendige Vorbedingung, um „untreu aus Treue“ (S. 25, Herv.i.O.) das Marxsche Erbe anzutreten. Die Arbeit Derridas durchaus schätzend, beharrt Negri jedoch auf der Notwendigkeit einer „post-dekonstruktiven Ontologie“, welche ein den veränderten Bedingungen angemessenes „Vom-Klassenkampf-aus-Denken“ ermöglichen soll.

An dieser Stelle hakt Derrida ein, um die Differenz zwischen diesem laut Negri ontologischen „Geist des Kommunismus“ und seinem eigenen Prinzip, des „Messianische[n] ohne Messianismus[, das] wie die Gerechtigkeit nicht dekonstruiert werden kann [...] weil die Bewegung jeder Dekonstruktion es selbst voraussetzt“ (S. 86), auszuweisen. Diese „universale und gleichsam transzendentale Struktur“ (S. 88) ist jedoch von der von Negri geforderten und bei Derrida vermissten Ontologie kaum mehr zu unterscheiden, obwohl Derrida selbst auf dieser Differenz besteht (und bestehen muss – Ontologie, wo kämen wir denn da hin?). So dekonstruiert in einem letzten Kraftakt sich Derrida schließlich den Boden unter den Füßen weg (nämlich beim Versuch, die sinngemäße Frage „Warum braucht es eigentlich den Begriff des Messianischen, wenn dieses doch qua Ausschluss jeglichen Messianismus nur als leere Hülle bestehen bleibt?“ zu beantworten) und landet, sich dies auch durchaus eingestehend, bei der Notwendigkeit einer Ideologietheorie. Das jedoch würde wohl oder übel eine Auseinandersetzung mit dem Werk von Louis Althusser erfordern. Diese Erblast jedoch ist Derrida schließlich doch zu viel und er empfiehlt sich, immerhin mit einem Lächeln, nicht mehr ganz so grantig.

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