MOZ, Nummer 56
Oktober
1990
Französische Schweiz

Mehrheit für EG-Beitritt

Jetzt hat auch die Schweiz ihre EG-Diskussion. Die Front verläuft an der Sprachgrenze.

Die Einserfrage in der Schweiz: EG-Beitritt Ja oder Nein

Bislang konnten sich Gegner/innen eines österreichischen EG-Beitritts auf die Schweiz berufen, die einen solchen Schritt mit ihrer Neutralität für unvereinbar hielt. Die vereinzelt vor allem in der romanischen Schweiz geäußerten EG-Beitrittswünsche wurden in der deutschen Schweiz geflissentlich überhört.

Da sich die Schweiz im Vergleich zu Österreich in einer ökonomisch weit besseren Position befindet und die Eigenständigkeit der Wirtschaft trotz intensiver Internationalisierung nie in Frage stand, ist das in Österreich praktizierte EG-Beitrittsgetöse auch gar nicht vonnöten. Doch auf Dauer kann gerade die geschäftstüchtige Schweiz, die schon immer politisch Grundsätzliches mit ökonomisch Profitablem auf das Vortrefflichste zu verbinden wußte, an den süßen Früchten des Binnenmarktes nicht vorübergehen. In der französischsprachigen Schweiz, in der die Zusammenballung ökonomischer und politischer Macht in den deutschsprachigen Kantonen des Landes ein beständiger Anlaß unterschwelligen Ärgers ist, ist der Wunsch nach einem EG-Beitritt besonders weit verbreitet. Eine Ende August von der Universität Genf im Wirtschaftsmagazin „Bilan“ veröffentlichte repräsentative Untersuchtung kam zu dem Ergebnis, daß 60% der romanischen Schweizer im April dieses Jahres für einen EG-Beitritt und nur 16% dagegen gestimmt hätten. In der deutschen Schweiz gäbe es eine Minderheit von 34% der Stimmen für und eine Mehrheit von 43% gegen einen EG-Beitritt. Die Einwohner der italienischen Schweiz wären unentschieden: 32% dafür, 32% dagegen. Insgesamt hätten 40% der Schweizer für und 36% gegen einen EG-Beitritt ihres Landes gestimmt; 24% wären unentschieden gewesen.

Die soziodemographische Analyse der Befragten ergab, daß Männer einem EG-Beitritt weitaus positiver gegenüberstehen als Frauen und daß Bildungsniveau und Beruf wichtige Faktoren darstellen. Mittelschulabsolventen und Akademiker, Manager, höhere Angestellte und Beamte und Freiberufler favorisieren einen EG-Beitritt, ebenso unverheiratete und geschiedene Stadtbewohner/innen. Einen Generationenkonflikt beschwört die Frage eines EG-Beitritts nicht herauf. Nur Personen zwischen 50 und 59 Jahren zeigen eine deutliche Abneigung gegen einen EG-Beitritt. Die Ergebnisse in bezug auf die politische Zugehörigkeit scheinen eine schweizerische Besonderheit darzustellen: Mitglieder und Sympathisanten der Linksparteien stehen einem EG-Beitritt zu über 50% positiv gegenüber, während Anhänger des konservativen Lagers einen solchen Schritt deutlich ablehnen. Das erklärt sich daraus, daß die Bauern, die einen EG-Beitritt zu 79% ablehnen, als Anhänger der konservativen Parteien zu betrachten sind und daß der Schweizer Konservativismus traditionell eine „isolationistische“ Komponente aufweist.

Die Ergebnisse dieser Meinungsumfragen wurden in den französischsprachigen Zeitungen ausführlich referiert und kommentiert, während sie die ansonsten so gut informierte „Neue Zürcher Zeitung“ ignorierte. Für die in der Ostschweiz beheimateten, wahrhaft international agierenden Kapitalgruppen und Banken gibt es, da ihr Aktionsradius den EG-Binnenmark schon heute einschließt und gleichzeitig weit über ihn hinausreicht, in Sachen EG-Beitritt keinen allzugroßen Handlungsbedarf. Schweizerische Handlungsfreiheit, Exklusivität und Diskretion wären in der EG auch kaum zu halten. Die Interessenten an einem EG-Beitritt scheinen von Österreich gelernt zu haben, daß steter Tropfen die Ablehnungsfront ins Wanken bringt, und organisierten sich dementsprechend. Da Regierung, Parteien und Verbände in dieser Frage wenig Initiative zeigen, hat sich um je zwei deutsch- und französischsprachige Wirtschaftsmagazine eine „Euroinitiative“ gegründet, die für eine schweizerische Europapolitik eintritt. Im Rahmen dieser Politik soll die Schweiz Verhandlungen über einen EG-Beitritt aufnehmen und im entsprechenden verfassungsmäßigen Rahmen (Volksabstimmung, Föderalismus) über den Beitritt entscheiden.

Dieselbe „Tribune de Genève“, die am 29. August 1990 die europäischen Gefühle ihrer Leser geschürt hat, feierte einen Tag später Alfred Ogi, den schweizerischen Verkehrsminister, für seine harte Haltung gegenüber den EG-Transitforderungen. Daß es mit solch einer wahrhaft souveränen nationalen Verkehrspolitik bei einem EG-Beitritt vorbei sein wird, das wird den ansonsten so schlauen Schweizern im Verlauf der unvermeidlichen Beitrittsdebatte hoffentlich noch auffallen.

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