Mit Pilz gegen God
Der neue Feind ist fast unsichtbar. Anders als der russische Bär, der allein durch die Tundra trottet, versteckt sich der islamische Terrorist wie eine Ameise unter gleich Aussehenden, vor allem in den großen Städten. Zwischendurch zieht er sich in Höhlen zurück“ (138). Diese Sätze stammen nicht aus einem Karl-May-Verschnitt, sondern sind Peter Pilz’ neuem Buch „Mit Gott gegen alle. Amerikas Kampf um die Weltherrschaft“, entnommen. Nicht das Entsetzen über die durch islamistische Selbstmordkommandos zu Tode gekommenen wird darin zum Ausdruck gebracht, vielmehr scheint eine subkutane, heimliche Faszination von den Mördern und deren Geschick auszugehen, sich immer wieder dem Zugriff zu entziehen. Diese Haltung ist gleichsam charakteristisch für „Mit Gott gegen alle“, ein Buch, das sich nahtlos in eine Reihe anderer aktuell erschienener antiamerikanischer Pamphlete einfügt. Darin rechnet der Sicherheitsexperte der österreichischen Grünen auf nahezu zweihundertsiebzig Seiten mit Amerika ab; nicht allein gegen die amerikanische Zivilisation richtet sich sein Ressentiment, Pilz wettert gegen Demokraten und Republikaner gleichermaßen, polemisiert gegen die amerikanische Verfassung „eine Gesellschaft ohne Opposition und Alternative“, die Umweltzerstörung „das organisierte Umweltverbrechen hat seinen Hauptsitz in den USA“, die Armut, die er auf die „Gier (Amerikas R.G.) wirtschaftlicher Eliten“ zurückführt, und er schildert, wie mittels Blitzkriegen (sic!), Brückenköpfen und imperialen Arsenalen die USA die „Weltherrschaft“ zu erlangen versuchen. Selbst vor den billigsten Klischees schreckt Pilz nicht zurück: Bush sei ein „bemerkenswert einfältiger Mann“, wenn er „frei spricht“ hätte „das gebildete Amerika etwas zum Lachen“; eine Bemerkung allerdings, die, angesichts der rhetorischen Talente in der österreichischen Regierungsmannschaft und in den Oppositionsparteien kurioser nicht sein könnte.
Um die Ideologie vom „Reich“ (sic!) Amerika, das nach der Weltherrschaft strebe, wirklich glaubhaft machen zu können, bedarf es freilich dreister Vereinfachungen und plumpester Verdrehungen: Gleich im ersten Kapitel seine Buches vergleicht Pilz George Bush mit bin Laden „Bin Bush“, die beide „ihre Gegner ausrotten“ wollen und dazu bereit sind, „alle Waffen einzusetzen“. Das Verbrechen des 11. Septembers, bei dem tausende Menschen ermordet wurden, firmiert nur als ein Anschlag unter anderen, dessen besondere Qualität bestritten wird: „Das Bild von den gänzlichen neuen Terroristen, die einen neuen ‚asymetrischen‘ Krieg gegen die christliche Kultur führten, dient nur einem Zweck: den dauernden Kriegszustand zu rechtfertigen.“ „Sharon, Putin und Bush sind ebenso Teil des Problems wie Bin Laden oder Abu Sayyaf. Ihre sicherheitspolitische Kreativität gehorcht immer noch dem Dinosaurierprinzip: viel Panzer, wenig Hirn.“ Soviel europäische Überheblichkeit und dümmliche Gleichsetzung ist kaum zu ertragen, aber es wird nichts als allgemeiner politischer Konsens zum Ausdruck gebracht. Daß die islamistische Ideologie und ihr Terror nur die Kehrseite der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Zivilisation sind — und nur im Zusammenhang damit entstehen konnte — ist banal; doch wo es notwendig wäre, Gegensätze festzuhalten, wird ganz bewußt weder differenziert noch in irgend einer Form auf die geschichtliche Entwicklung der Selbstmord-Anschläge Bezug genommen: Nicht nur dient der Vergleich von demokratisch gewählten Präsidenten wie Bush, Sharon oder Putin mit Anführern einer Bande von Selbstmord-Rackets zur Entlastung und Verharmlosung der Täter und ihrer Verbrechen; Terror ist eben nicht gleich Terror, wie Pilz behauptet, und in einem Atemzug das zaristische Russland, Francos Spanien und das moderne Israel (sic!) nennt: mit dem Massenmord des 11. September wurde tatsächlich eine neue Qualität der Anschläge erreicht, die deutlich machte, daß jene, die den Heiligen Krieg führen, auch nicht davor zurückschrecken, mit dem eigenen Tod tausende Menschen mit einem Schlag zu vernichten. Ausgeblendet wird schließlich der antisemitische Wahn der islamistischen Attentäter, der seine letzte Konsequenz in der Vernichtung Israels hat, sowie der Umstand, daß umgekehrt Israel als einzige Zufluchtstätte der von Antisemitismus Verfolgten, alles in seiner Macht stehende tun muß, um seine Existenz nicht zu gefährden.
Dem bösen „Weltpolizisten“ und „Weltrichter“ Amerika stellt Pilz das gute Europa, wo „fast alles“ besser ist, gegenüber. Während hier, am alten Kontinent die „Parteien noch unterschiedliche gesellschaftliche Interessen vertreten“, „repräsentieren die Spitzen der amerikanischen Politik meist nur unterschiedliche Geschäftsinteressen.“ Europa abgekoppelt vom Rest der Welt, wo statt Profit und Geschäft, statt schnödem Mammon, höhere Sittlichkeit waltet. Indem sich Pilz gleichsam außerhalb des kapitalistischen Ganzen phantasiert, kann er um so moralisierender gegen den Materialismus Amerikas zu Felde ziehen, und so tun, als ob er nicht selbst an dessen Reichtum partizipiert.
Dem autoritären Spießer ist Amerika, diese bürgerliche Gesellschaft schlechthin, dieses klassische Einwanderungsland zutiefst suspekt. Als Sicherheitsexperte der Nation hat Pilz freilich auch ein ganz besonderes Verhältnis zum Staat. Das aber ist grundsätzlich anders beschaffen, als jenes der US-Bürger zu ihrem Staat: Dan Diner spricht in diesem Zusammenhang von einer „regelrechten Verkehrung europäischer Geschichtserfahrung.“ „Während in Europa sich der Staat schon früh zur Voraussetzung von Ordnung und Wohlfahrt erhoben hatte, der Staat der bürgerlichen Gesellschaft gleichsam vorausging, war Amerika von Anbeginn als bürgerliche Gesellschaft angelegt, schätzten die freiheitsversessenen Amerikaner jene alles überwölbende Staatlichkeit gering, die Europas Geschichtsbewußtsein beflügelte ...“
Um die Herrschaft des Abstrakten dingfest zu machen, um statt vom Kapitalverhältnis von Globalisierung reden zu können, muß das Kapital in Gestalt der USA, bzw. in seiner Regierung personifiziert werden. Gefahndet wird nach Schuldigen, die für die Krise verantwortlich gemacht werden können. Hinter der Identifikation mit dem Abstrakten verbergen sich die, die nach der „Weltherrschaft“ streben; wer das ist, ob Juden, Yankees, oder WASPs, bleibt dem Leser überlassen: „Die Hauptgewinner (der Globalisierung, R.G.) produzieren allerdings gar nicht. Sie spekulieren ... Das Zentrum der Spekulation befindet sich nach wie vor an der Wall Street, in New York. Wer in den USA an die Macht will, muß sich die Unterstützung der teuersten Straße der Welt sichern.“
Es ist nicht bloß das rabiate Ressentiment gegen Amerika, das in dem vorgeblichen Friedensaktivisten rumort, sondern zugleich auch eine tiefsitzende Wut über die Ohnmacht der Europäer, bzw. der Deutschen. So offen aber wagten es Pilz’ deutsche Parteikollegen bislang kaum auszusprechen: Nicht nur habe „die Stunde Europas“, längst geschlagen, sondern Pilz sehnt tatsächlich eine neue Vormachtstellung Deutschlands herbei, das sich gemeinsam mit anderen Europäern Amerika auch militant in den Weg stellen müsse. Sollen auf der eine Seite die Vereinten Nationen zu humanitären Militäraktionen ermächtigt werden, so soll der Internationale Strafgerichtshof seine Zuständigkeit überall auf der Welt durchsetzen. Der Wunsch nach Umkehrung der Dominanzverhältnisse ist nicht nur nationalistischem Größenwahn geschuldet, es handelt sich zugleich auch um eine grandiose Phantasie, die sich zwar in absehbarer Zeit nicht erfüllen wird, aber zur Destabilisierung und Entfesselung irrationaler Gewaltverhältnisse entscheidend beitragen wird. „Kein Wunder“, schreibt Dan Diner, „wenn der deutschen pazifistischen Selbststilisierung bei den Verbündeten mit tiefer Skepsis begegnet wird, beruht sie doch auf Selbsttäuschung. Denn die durch das historische Trauma verleugnete Gewaltbereitschaft wird auf jene projiziert, die schon immer als Hort des Anderen und mithin als Projektionsfläche für die Verleugnung in Anspruch genommen wurden: die USA.“
Die Zitate sind Peter Pilz: Mit Gott gegen alle. Amerikas Kampf um die Welherr- schaft, sowie Dan Diner: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments, München 2002, entnommen.
Peter Pilz: Mit Gott gegen Alle. Amerikas Kampf um die Weltherrschaft, DVA, Stuttgart München 2003. 287 S. ISBN 3-421-05758-3
