MOZ, Nummer 52
Mai
1990
Baltische Unabhängigkeit:

Neue Währung — altes Gold

Seit 1940 liegen 3,5 Tonnen estnisches Gold in der New Yorker Federal Reserve Bank. Damals ist die Rote Armee, dem Hitler-Stalin-Pakt folgend, im Baltikum einmarschiert. Die nationalen Goldreserven wurden in die USA und nach Großbritannien verschoben und blieben — bis heute — dort. Nun hoffen die Volksfronten auf eben diese finanzielle Starthilfe in die Unabhängigkeit.

Kroon und Sents heißt die neue Währung, mit der die Bank von Estland im Dezember 1990 die russischen Rubel und Kopeken ersetzen will. Gold und harte Devisen als Sicherheit für die neue Währung besitzt die neue estnische Zentralbank indessen nicht. Jetzt versucht Bankpräsident Rein Otsason jene fünf Tonnen Gold zurückzubekommen, die von der alten estnischen Zentralbank im Sommer 1939 via Schweiz nach London und New York geschafft wurden und seither nicht mehr nach Tallinn zurückgekehrt sind. Der verlorenen Schatz der alten „Esti Pank“ soll den Start in die Marktwirtschaft vergolden.

Der verlorene Schatz der Esti Pank

Weniger spektakulär, jedoch mit gleicher Konsequenz wie in Litauen steuert auch Estland auf eine Loslösung von der Sowjetunion zu. Gut die Hälfte der mit rund 1,5 Millionen Einwohnern kleinsten der drei baltischen Republiken sind ethnische Esten. Unlängst erklärte das Parlament in Tallinn das Estnische zur Staatsprache, und bei den Märzwahlen gewann die Parole „Los von Moskau“ auch bei der nichtestnischen Bevölkerung viel Sympathie. Die Estnische KP hat sich von der Sowjetpartei getrennt und tritt gleich wie die Volksfront für ein unabhängiges Estland ein. Besonders zielstrebig erwiesen sich die lettischen Politiker im Aufbau einer neuen Währung. Nachdem die Volksfront Ende 1989 Rein Otsason, den ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten der estnischen Sowjetrepublik, zum Präsidenten der neugegründeten Bank von Estland ernannt hatte, entwarfen bereits einen Monat später die besten Grafiker des Landes die neuen Banknoten. Jetzt ist das neue Geld im Druck und die Bank steckt mitten in den Vorbereitungen für den für Ende des Jahres geplanten Notentausch. Ein großes Problem liegt Rein Otsason allerdings noch im Magen: „Was uns für die neue Währung noch fehlt, sind Gold und Hartwährungsreserven“, klagte er Anfang Februar bei einem Besuch in Zürich.

In die Schweiz gekommen war Otsason auf der Suche nach fünf Tonnen Gold, das die alte estnische Zentralbank kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges von Tallinn (damals Reval) nach London und New York geschafft hatte. Organisiert wurde der Transport seinerzeit von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), unter deren Namen das Gold auch treuhänderisch bei der Bank of England und bei der Federal Reserve Bank of New York ins Depot kam. (Die BIZ arbeitet seit 1930 als ‚Bank der Zentralbanken‘ in Basel und verwaltet im Auftrag der ihr angeschlossenen Institute einen Teil von deren Währungsreserven). Bis heute liegen 3,5 Tonnen estnisches Gold in New York — dazwischen liegt die fünfzigjährige Geschichte des verlorenen Goldschatzes der alten Esti Pank.

Hitler bekam das tschechoslowakische Gold ...

Am 3. und am 15. Juli 1940, kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee im Baltikum, trafen in Basel drei exakt gleichlautende Telegramme aus Estland, Lettland und Litauen ein. Darin wurde die BIZ beauftragt, sämtliche bei ihr existierenden Guthaben der Esti Pank in Reval (heute Tallinn), der Latvijas Banka in Riga und der Lietuvos Bankas in Kaunas nach Moskau an die Staatsbank der UdSSR zu überweisen. Während das Guthaben der litauischen Zentralbank in Basel mit 20.000 Schweizer Franken (160.000 Schilling) nur unbedeutend war, hatte die lettische Zentralbank mit rund drei Millionen Franken (25 Mio. Schilling) schon einen ansehnlichen Betrag bei der BIZ liegen. Der Kontostand der estnischen Nationalbank belief sich nach damaligem Goldpreis umgerechnet sogar auf rund 18 Millionen Franken. Der heutige Wert liegt bei knapp 100 Millionen Franken oder 800 Millionen Schilling.

„Ich mußte mich gegen mein gesamtes Management durchsetzen, besonders gegen meinen Rechtsberater, die alle das baltische Gold den Russen überlassen wollten“, erzählte BIZ-Präsident Thomas H. McKittrick ein Vierteljahrhundert später im Rahmen eines Interviews im „John Forster Dulles Oral History Project“ der Princeton Universität. Und weiter: „Nachdem ich hartnäckig bei meiner Weigerung geblieben war, einigten wir uns schließlich darauf, diesen freien Ländern zu erklären, die Lage sei staatsrechtlich noch unklar. Bis zur definitiven Abklärung würden wir das Gold für seine legalen Eigentümer treuhänderisch verwalten.“ McKittricks Weigerung, die bei der BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) liegenden Guthaben von Notenbanken überfallener Länder sofort dem Aggressor zu überlassen, bedeutete damals eine völlige Umkehr der bisherigen Politik. Als Nazideutschland im März 1939 die (Rest-) Tschechoslowakei militärisch besetzte, überschrieb die BIZ das treuhänderisch bei ihr deponierte tschechische Währungsgold sofort der Reichsbank. Auch die Bank of England, in deren Tresor die rund 30 Tonnen Gold lagerten, sanktionierte trotz Hitlers flagrantem Bruch des Münchner Abkommens den Nazi-Goldraub. Tief unten im Keller der Londoner Threadneedle Street karrten die Tresorwächter das tschechische Gold vom BIZ-Depot ins Reichsbankdepot. Die kürzeste Strecke zum Transport der schweren Barren kannten die Wächter schon. Kaum ein Jahr zuvor war auch der österreichische Goldschatz denselben Weg gegangen, als die BIZ nach dem Anschluß ans Dritte Reich das Londoner Treuhanddepot der österreichischen Nationalbank weisungsgemäß an die Reichsbank überschrieb.

Stalin wurde das baltische Gold vorenthalten Die Entschlossenheit, mit der McKittrick der gesamten BIZ-Geschäftsleitung widerstand und damit die Interessen des überfallenen Estland vertrat, fußte letztlich in seinen Privatinteressen. Er war seit 1935 Verwaltungsratvorsitzender der „Nordischen Zellstoffwerke AG“ in Reval, heute Tallinn, und behielt diesen Posten auch bei, als er im Juni 1939 zum Präsidenten der BIZ, als internationale Institution gewissermaßen die Vorläuferin des IWF (Internationaler Währungsfonds), gewählt wurde. Sein letzter Besuch bei der „Nordischen“ datierte vom Februar 1940, wenige Monate vor dem Einmarsch der Roten Armee. Möglich geworden war die im Kriege sehr schwierige Beschaffung von Visa und Fahrkarten nur dank der Hilfe der Reichsbank und der Esti Pank. Mehrheitsaktionär dieser größten Papierfabrik Estlands war die Familie Fahle, die wie alle Baltendeutschen unter den Hammer gerieten, nachdem Hitler im Pakt mit Stalin ihre Länder der sowjetischen Machtsphäre zugewiesen hatte. Zusammen mit einigen Kaderleuten der Papierfabrik mußten sie ‚Heim ins Reich‘.

McKittrick, der damals im Grunde die Interessen der von den Sowjets und den Deutschen im Hitler-Stalin Pakt gemeinsam enteigneten estnischen Kapitalbesitzer verteidigte, erklärte in seinem „Oral History“-Zeugnis, wie es im Sommer 1940 weitergegangen war: „Nach der Blockierung des Baltengoldes fragten wir einen Mann in Zürich (den Staatsrechtler Dietrich Schindler) um seine Meinung. Diese war zwar 40 Seiten lang, aber er kam zum gleichen Schluß wie wir. Nämlich, das Gold sei zu blockieren und für seine legalen Eigentümer treuhänderisch zu verwalten“.

Drei Briefe

Am 19. und 24. November 1941 und am 30. Dezember 1941 erhielt die BIZ durch Vermittlung der Reichsbank zum zweiten Mal drei gleichlautende Briefe aus dem Baltikum. Darin teilten die Zentralbanken aus Estland, Lettland und Litauen mit, die seienerzeitigen Instruktionen der Staatsbank der UdSSR seien ungültig und verlangten die Aufhebung der Blockade, um wieder über ihre Guthaben verfügen zu können. Die BIZ lehnte dies jedoch in ihrer Antwort vom 20. Januar 1942 ab und gab den jetzt unter dem Joch Nazideutschlands stehenden baltischen Zentralbanken die Weiterführung der Blockade bekannt.

Das Basler Verdikt wurde in Berlin mit Verständnis aufgenommen. Bei der Reichsbank wußte man genau, daß das Baltengold in London und New York lag und durch die Alliierten blockiert war.

Als die Rote Armee schließlich im Sommer 1944 die Deutsche Wehrmacht aus dem Baltikum vertrieb, wurden die Sowjet-Soldaten von der Bevölkerung als Befreier begrüßt. Dies scheint heutzutage vergessen. Unvergessen blieb hingegen der erste Einmarsch der Sowjets im Sommer 1940, als die Rote Armee nach dem Zusammenbruch Frankreichs in die ihr vom Hitler-Stalin-Pakt zugesprochenen Baltenrepubliken einmarschierte.

Nachdem Estland lange Jahre quasi ‚vergessen‘ war, kam es im Jahre 1961 zu Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und England, die schließlich zur Auslieferung der Londoner Tranche von 1,4 Tonnen an die Staatsbank in Moskau führten. Damals begann die Sowjetunion, mit der Moscow Narodny Bank ihre Postition auf dem Finanzplatz London zu verstärken. Zuerst mußte sie jedoch einen Teil ihrer Schulden aus der Zarenzeit zurückzahlen. England seinerseits gab 1,4 Tonnen Estengold zurück; dies obwohl Estland dort noch immer als unabhängiges Land anerkannt war und auch über eine ExilBotschaft in London verfügte. Anders wurde in den USA gehandelt.

Bis heute liegen rund 3,5 Tonnen estnisches Gold bei der Federal Reserve Bank von New York. Wer weiß, vielleicht kehrt es jetzt schon bald einmal in ein unabhängiges Estland zurück, genau so, wie es seinerzeit Thomas H. McKittrick gewünscht hat. Der BIZ-Präsident hatte sein Treuhandgeschäft für Estland nie vergessen, und noch als alter Mann erzählte er dem Interviewer im schon erwähnten „Princeton Oral History“-Projekt stolz: „Bis heute leben die diplomatischen (US-Exil-)Organisationen dieser (baltischen) Länder vom Gold, das ich 1940 den Russen nicht geben wollte.“

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)