Amelie Lanier, Sonstiges
Mai
2015

Neues Massensterben im „Mare Nostrum“

Europas Kampf gegen die Überbevölkerung, die sein globaler Kapitalismus produziert

Angesichts der neuen Rekordzahl an afrikanischen Flüchtlingen, die vor Europas Grenzen ertrunken sind, zeigen sich Presse, Politik und Papst wieder entsetzt über das „unfassbare Ausmaß“ mit achthundert Toten. Nur wissen zugleich alle, dass hier kein außergewöhnlicher Umstand oder Pech in schwerer See vorliegen. Die toten Afrikaner sind spektakulärer Bestandteil der Normalität: Die Welt jenseits der „Festung Europa“ ist eine einzige Katastrophe, die Abermillionen von Menschen das Überleben so sehr verunmöglicht, dass sie eine Flucht übers Meer wagen, bei der sie den Verlust ihres Lebens notgedrungen einkalkulieren. Das ist der Alltag, und darüber wird das Mittelmeer zum Massengrab.
Rettung Schiffbrüchiger, das ist vielen Menschen hierzulande zu wenig. Sie fordern die Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge mit Wohnraum, Arbeit und Einkommen. Angesichts von angeblich weltweit 50 Millionen sei doch die afrikanische Flüchtlingsscharen verhältnismäßig gering und somit eine „legale Einreise aus Armut“(Caritas-Präsident Landau) verkraftbar.

Dieselben Medien und politischen Instanzen, die soeben noch ihre humanistische Betroffenheit über das Schicksal der Flüchtlinge herausgekehrt haben, sind sich in ihrer Ablehnung weitgehend einig: Ehrenwerte Absicht, aber völlig weltfremd und undurchführbar! Das verkraftet „unser Land“ nicht. Warum nicht? Fehlt es im reichen Europa an Wohnraum und Nahrungsmitteln? Die Zugereisten könnten doch zupacken und beides schaffen, wenn es daran mangeln sollte. So etwas wird keine Sekunde in Erwägung gezogen. Worin liegt wirklich der Grund, der zur Ablehnung und Abschiebung der Flüchtlinge führt?

Wegen dieser prinzipiellen Ablehung von „Wirtschaftsflüchtlingen“ nimmt der Humanismus bei Regierenden und Untertanen jedenfalls auch leicht zu durchschaubare Formen an: Helfen will man den Elenden, indem entschieden gegen die „profitsüchtigen Schlepper“ vorgegangen wird. Und damit soll nicht gesagt sein, dass EU-Schiffe jetzt gratis die Transportaufgaben übernehmen, sondern, dass diese „Schlepperbanden“ dann gar nicht mehr in die Lage kommen, die „menschlichen Lemminge“(Die Presse) an ihr Ziel zu bringen. Als „Retter“ zusätzlich zum militärischen Grenzschutz „Frontex“ kommen zum Einsatz: die Kriegsmarine von England, Frankreich und Deutschland, wobei auch militärische Landeinsätze in Libyen diskutiert werden.

Um sich die Hungerleider fernzuhalten, dafür wären doch afrikanische Staatsgewalten brauchbar – wo es sie als funktionsfähige noch gibt. Die sollen doch ihre Herrschaft für „unsere“ Flüchtlingsselektion in den Dienst stellen! Da wäre doch den Flüchtlingen am allerbesten geholfen, noch dazu, wo ihre Flucht in den allermeisten Fällen ohnehin nur damit endet, dass sie postwendend dorthin zurückgeschickt werden, wo sie also gleich hätten bleiben können.
Anspruch auf Rettung – das wäre jedenfalls das falsche Signal: Lässt man hundert Menschen heute herein, stehen morgen hundert Millionen vor der Tür! So argumentieren Politik und Öffentlichkeit. Europa schreibt einen ganzen Kontinent und seine Menschen ab, und zwar aus der Pose des überforderten Samariters, der schon mit seiner bloßen Flächenausdehnung den Abermillionen von Elendsgestalten nicht gewachsen sein kann.

Die so ins Licht gerückte Rolle des gutwilligen, aber ohnmächtigen Helfers unterschlägt allerdings die Hauptsache, nämlich die Rolle des mächtigen Täters: Europa ist mit seinem grenzüberschreitenden Kapitalismus eine der wesentlichen Ursachen für die elende Lage der Menschen in Afrika und Produzent Nummer eins für deren Fluchtgründe. Auch darüber soll diskutiert werden.

Lektüretipps: Die Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa: Eine notwendige Tragödie (Gegenstandpunkt 2013-4), Österreich holt syrische Christen: Wann Asyl angebracht ist und wann nicht (Gegenstandpunkt 2014-1), zu Mikl-Leitners neuer Initiative für nordafrikanische Flüchtlingslager ist das Notwendige schon in Gegenstandpunkt 2004-04 „Flüchtlingslager in Nordafrika“ nachzulesen, als der deutsche Innenminister Schily diese Idee hatte.

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