Heft 5/2001
September
2001

Never ending story II

Margit Reiter hat eine umfassende Studie über Antisemitismus und Antizionismus in der österreichischen Linken vorgelegt.

Darf man über linken Antisemitismus schreiben, wenn man weiß, dass die Rechte die Existenz solch eines Antisemitismus zur Entschuldigung und Verharmlosung der eigenen, mal impliziten, mal expliziten Vernichtungsdrohungen gegenüber Jüdinnen und Juden benutzt? Herbert Lackner hat diese Frage im Nachrichtenmagazin profil (1.6.2001) in einer Rezension einer Studie über das Verhältnis der österreichischen Linken zu Israel aufgeworfen. Er meint, die Wiener Zeithistorikerin Margit Reiter begebe sich mit ihrer Veröffentlichung auf dünnes Eis, da der FPÖ-Generalsekretär Peter Sichrovsky regelmäßig versuche, den Antisemitismus Jörg Haiders mit dem Hinweis auf die Existenz eines linken Antisemitismus zu behübschen. Auch Haider selbst hat in einem Gastkommentar für die regierungsnahe Tageszeitung Die Presse gemeint, niemand habe das Recht, ihn einen Antisemiten zu nennen und gleichzeitig zu den Aussagen des früheren SPÖ-Innenministers Karl Blecha, der heute Präsident der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen ist und sich in jüngster Zeit durch verbale Angriffe auf Israel und „den Zionismus“ hervorgetan hat, zu schweigen.

Lackner weist damit auf ein reales Problem hin. Linke Kritik an der Linken ist nie davor gefeit, von der Rechten instrumentalisiert zu werden. Das kann aber nicht zum Vorwand genommen werden, diese Kritik zurückzuhalten. Linke Kritiker und Kritikerinnen können derartigen Instrumentalisierungen zumindest partiell vorbeugen. Zum einen dadurch, dass sie sich bei aller sachgemäßen Polemik in der Kritik am Antisemitismus in der Linken über die zwar nicht immer, aber doch in der Regel vorhandenen Differenzen zum Antisemitismus der Rechten bewusst bleiben; zum anderen dadurch, dass die Gründe für den linken Antisemitismus in einer mangelnden Radikalität der linken Gesellschaftskritik ausgemacht werden. Ersteres schafft Margit Reiter in ihrer Studie mit dem etwas reißerischen Titel Unter Antisemitismus-Verdacht sehr gut, zweiteres kaum.

Die Masche von Haider, Sichrovsky und Co., mit dem Hinweis auf antisemitische Tendenzen in der Linken den eigenen Antisemitismus zu entschuldigen, ist keineswegs neu. Reiter führt in ihrer Studie ähnliche Beispiele aus den siebziger Jahren an, als der Kolumnist Staberl in der Boulevardzeitung Krone die antizionistische Diktion linker Gruppierungen geißelte und in diesem Zusammenhang von „Faschisten in der SPÖ“ sprach. Dass es Reiter weder um simple Denunziation der Linken noch um eine Instrumentalisierung der Beschäftigung mit Antisemitismus in sich selbst als emanzipatorisch verstehenden Kreisen geht, wird in ihrer Arbeit mehr als deutlich. Sie skizziert das Verhältnis der österreichischen Linken zu Israel entlang der zentralen politischen Ereignisse im Nahen Osten. Von der Staatsgründung 1948 bis zum Golfkrieg und dem sogenannten Friedensprozess in den neunziger Jahren werden die Veränderungen und Ambivalenzen in diesem Verhältnis vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit aufgezeigt. Die KPÖ, deren Antifaschismus bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit dadurch konterkariert wurde, dass sie die Vernichtung der Gauakten forderte, damit, wie es hieß, „für die große Masse der ehemaligen kleinen Nazimitläufer ein Schlußstrich unter die Vergangenheit“ gezogen werden könne, findet ebenso Beachtung wie die Neue Linke, autonome Gruppierungen und Antiimperialisten mit ihrer fast schon gewohnheitsmäßigen Gleichsetzung der israelischen Politik mit dem nationalsozialistischen Massenmord. Die KPÖ hatte, den sowjetischen Vorgaben stets treu Folge leistend, 1948 die israelische Staatsgründung kurzzeitig unterstützt, was Reiter zufolge allerdings weniger als Parteinahme für Israel gewertet werden kann, sondern sich eher gegen den britischen und amerikanischen Imperialismus richtete. Bis 1967 existierte bei der KPÖ noch eine gewisse Distanz zur PLO, nach Reiter allerdings nicht so sehr wegen deren israelfeindlichen Positionen, sondern eher wegen der in den Augen der KP zu ausgeprägten Orientierung an China. Von den siebziger bis in die neunziger Jahre hinein waren die Parteikommunisten und -kommunistinnen dann, trotz ihres vergleichsweise konsequenten Engagements gegen offenen Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft, eine der zuverlässigsten antizionistischen Kräfte in Österreich.

Bei der SPÖ, die von Reiter besonders ausführlich behandelt wird (dem Langzeit-Bundeskanzler Bruno Kreisky ist ein eigenes Kapitel gewidmet), fällt es schwer, verallgemeinerbare Aussagen bezüglich ihres Verhältnisses zu Israel zu machen, da die Sozialdemokraten sowohl einen pro-palästinensischen als auch einen pro-israelischen Flügel in der Partei haben, und SPÖ-Mitglieder in der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen ebenso eine zentrale Rolle gespielt haben und spielen wie in der Österreichisch-Israelischen Freundschaftsgesellschaft. Reiter, die auch auf die Übergänge zwischen Philosemitismus und Antisemitismus hinweist, versucht die unterschiedlichen Kräfte in der SPÖ kenntlich zu machen und verweist auf die Tradition eines sozialdemokratischen Antisemitismus in der Zeit vor dem Nationalsozialismus. Eines der eindrucksvollsten Beispiele für solch eine Tradition ist der sogenannte Sever-Erlaß, mit dem der sozialdemokratische Landeshauptmann Albert Sever 1919 versuchte, die Ausweisung von osteuropäischen jüdischen Kriegsflüchtlingen voranzutreiben — ein Versuch, gegen den damals nur die weitgehend marginalisierten Kommunisten und Kommunistinnen ernsthaft protestierten.

In der Studie werden die Veränderungen beschrieben, die sowohl der Zionismus als auch der Antizionismus im 20. Jahrhundert durchgemacht haben. In diesem Zusammenhang wird auf Auschwitz als historische Zäsur verwiesen. Reiter zitiert dankenswerterweise Isaac Deutscher, neben Erich Fried lange Zeit einer der beliebtesten Kronzeugen antizionistischer Linker in Deutschland und Österreich, der in den fünfziger Jahren notierte: „Meinen Antizionismus, der auf meinem Vertrauen in die europäische Arbeiterbewegung basierte, oder, allgemeiner, auf meinem Vertrauen in die europäische Gesellschaft und Zivilisation, habe ich natürlich längst aufgegeben, denn diese Gesellschaft und diese Zivilisation haben es Lügen gestraft. Wenn ich in den zwanziger und dreißiger Jahren, statt gegen den Zionismus anzugehen, die europäischen Juden aufgefordert hätte, nach Palästina zu gehen, hätte ich womöglich geholfen, einige Menschenleben zu retten, die später in Hitlers Gaskammern ausgelöscht wurden.“

Reiter, die ihre Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit der österreichischen Situation immer im Vergleich zu den Debatten in der BRD diskutiert, ist in ihren Ausführungen teilweise dermaßen um Differenziertheit bemüht, dass ihre Kritik mitunter sehr zurückhaltend anmutet. Bei ihrem Bemühen, Gründe für die Existenz eines antisemitisch eingefärbten Antizionismus in der Linken anzugeben, kommt sie zwar auf die Mängel linker Faschismustheorien zu sprechen, schafft es aber kaum, einen Zusammenhang zwischen linkem Antisemitismus und den vorherrschenden linken Vorstellungen von Nation, Kapital und Staat herzustellen. Dennoch hat sie mit ihrem Buch eine ebenso umfang- wie hilfreiche Dokumentation vorgelegt, in die sich zwar ein paar Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, die der Darstellung wie der Argumentation aber kaum Abbruch tun. So hat beispielsweise die Flugzeugentführung nach Entebbe nicht unter aktiver „Beteiligung westdeutscher RAF-TerroristInnen“, sondern unter Beteiligung zweier RZ-Mitglieder stattgefunden und die Revolutionäre Kommunistische Liga ist mittlerweile keine trotzkistische, sondern eine ex-trotzkistische Gruppierung. Das die Studie prägende Bemühen um Differenziertheit wird an einigen Stellen aufgegeben. So wird beispielsweise die Marxistische Gruppe mit der Initiative Neue Linke, die Lobgesänge auf Saddam Hussein verfaßt hat, die Tätowierung von Aids-Kranken fordert und tatsächlich nur auf Grund ihres Namens zur Linken gerechnet werden kann, in einen Topf geworfen.

Reiter, die am Institut für Zeitgeschichte in Wien arbeitet, hat Pech, dass sie ihr Buch vor der sogenannten „Al-Aksa-Intifada“ fertiggestellt hat. Natürlich hat die Eskalation in Israel auch in Österreich erneut zu einem Aufblühen antizionistischer Agitation geführt. Allerdings können Gruppen wie die Antiimperialistische Koordination, die RKL oder die Universalismusgruppe, die Israel mittlerweile sogar in Anführungszeichen setzen, wenn sie es adjektivisch gebrauchen, bei weitem nicht mehr auf so große Zustimmung hoffen wie noch in früheren Jahren — und insofern trifft Reiters Feststellung bezüglich der neunziger Jahre, dass „das oft geradezu leidenschaftliche linke Interesse an Israel weitgehend nachgelassen“ hat, bedingt auch für die aktuelle Situation zu. Dennoch ist es in Wien, das sich schon im Frühjahr 1971 mit der Abhaltung der ersten Arbeitstagung von europäischen Palästinakomitees als Hochburg des Antizionismus zu etablieren versucht hat, nach wie vor möglich, daß Antiimps wie im Vorjahr gemeinsam mit islamistischen Gruppen Anti-Israel-Demos durchführen, bei denen nach Augenzeugenberichten Transparente mitgeführt wurden, auf denen die Fragen aufgeworfen wurden: „Was will die jüdische Politik? Weltherrschaft?“ Nazis hätten das auch nicht viel besser formulieren können.

Gerade die neuerliche Eskalation des Konflikts in Israel und die Reaktionen der deutschen und österreichischen Linken darauf, haben gezeigt, dass die Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Linken zwar einige der schlimmsten Auswüchse beispielsweise linker Volkstümelei oder Blut- und Boden-Romantik weitgehend zum Verschwinden hat bringen können, dass man aber dennoch keineswegs gewillt ist, Konsequenzen aus dem zumindest halb Erkannten zu ziehen. Das zeigen die gespreizten Äußerungen der Linken zur momentanen Lage in Israel. Dass man das Existenzrecht des Staates der Shoah-Überlebenden nicht in Frage stellen kann, haben die meisten Linken mittlerweile gelernt. In der Regel ist das Bekenntnis dazu aber ein reines Lippenbekenntnis, da gleichzeitig aberwitzige Forderungen an die israelische Regierung gestellt werden, die, würden sie erfüllt werden, eben gerade die Existenz Israels gefährden würden.

Ein sich als linksradikal verstehender Antizionismus ist strenggenommen schon vom Begriff her unsinnig. Wäre die Linke so antinational, wie es sich gehören würde, hätte sie selbstverständlich Schwierigkeiten mit der nationalen Ideologie des Zionismus. Das wäre dann aber nichts besonderes und bräuchte daher auch nicht als Antizionismus proklamiert zu werden. Dass das nichts besonderes wäre, bedeutet aber dennoch nicht, daß Israel ein stinknormaler bürgerlicher Nationalstaat wie alle anderen auch ist — eine Ansicht, die bei aufgeklärteren Linken, also Antinationalen, beheimatet ist. Ein konsequenter Antinationalismus hätte gerade das Paradox zu gegenwärtigen, daß er das Existenzrecht einer Nation solange verteidigen muß, wie es andere Nationen gibt. Die spezifische Entstehungsgeschichte Israels, ihr unmittelbarer Zusammenhang mit der Shoah und die Einzigartigkeit, mit der weltweit antisemitische Aggressionen am israelischen Staat projektiv abreagiert werden, verbieten es, von Israel als ganz normalem bürgerlichen Staat zu sprechen — auch, wenn sich diese Ansicht wie bei den meisten Antinationalen ehrenwerterweise gegen die antizionistischen Wahnvorstellungen von der besonderen Perfidie des israelischen Staates richtet.

Margit Reiter: Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah. Studien-Verlag, Innsbruck 2001, 515 Seiten, 84,— DM, öS 592,—

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