Grundrisse, Nummer 11
September
2004

No masterplan please!

Die 3. Oekonux-Konferenz in Wien

Unbemerkt von der Öffentlichkeit und einem großen Teil der Linken in Österreich fand vom 20. bis 23. Mai dieses Jahres die 3. Oekonux-Konferenz statt. Das philosophische Institut der Universität Wien hatte Räumlichkeiten für diese Konferenz zur Verfügung gestellt.

Ca. 150 Teilnehmer aus einer Reihe von Ländern wie Grönland, Lettland, USA, England, aber vor allem aus Deutschland und Österreich nahmen an der Konferenz teil.

Was ist Oekonux? Oekonux ist ein über ein Internetdiskussionsforum verbundener offener Kreis von Menschen aus der Softwareentwicklung, aus HackerInnenkreisen, von Universitätsinstituten und anderen Forschungseinrichtungen mit einem gemeinsamen Interesse: Welche Schlussfolgerungen kann man aus der Form, mit der Free Software entwickelt wird und sich verbreitet, für die Möglichkeiten anderer Formen von Vergesellschaftung ziehen oder wie in der Kurzbeschreibung auf der Oekonux-WEB-Site (www.oekonux.de) steht: „In diesem Projekt untersuchen die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Meinungen und den unterschiedlichsten Herangehensweisen die ökonomischen und politischen Formen Freier Software. Eine wichtige Frage ist, ob die Prinzipien der Entwicklung Freier Software eine neue Ökonomie begründen können, die als Grundlage für eine neue Gesellschaft dienen könnte.“

Kurzer Exkurs zu Free Software und GPL

Free Software ist Software, die der sogenannten GNU [1] Public License (GPL) unterliegen. Die GPL — auch Copyleft genannt — besagt:

  • Die Software darf zu jedem Zweck eingesetzt werden.
  • Die Quellen (der Software) dürfen studiert und angepasst werden.
  • Die Software darf beliebig weitergegeben werden.
  • Veränderte Versionen dürfen beliebig weitergegeben werden.

Vor allem aber: die geänderten, verbesserten, erweiterten Versionen müssen ebenfalls der GPL genügen. Dies bedeutet, dass jede abgeleitete Software ebenfalls frei und mit den Quellen zur Verfügung gestellt werden muss.

Die GPL wurde von Richard Stallman für eine Reihe von Softwarewerkzeugen definiert, die von der Free Software Foundation freigegeben wurde. Stallmann stemmte sich damit einem in den 80er Jahren beginnenden Trend entgegen: Wurde vorher die Software zusammen mit der Hardware und spezialisiert für diese angeboten — wobei die Quellen jedem offen standen — so begannen Firmen wie IBM und HP die Software unabhängig von der Hardware separat zu verkaufen, wobei aber Quellen nicht mehr offen zugänglich waren. [2]

Zudem gab es die Erfahrung mit Unix: Unix ist ein Betriebssystem, das von den Bell Labs, einer Tochter von AT&T entwickelt worden war und in der akademischen Welt – die Quellen waren dort frei verfügbar – schnell Verbreitung fand. Trotz der erklärten Absicht aller Firmen, die Unix lizenzierten, ein einheitliches Betriebssystem auf allen Unix basierten Computern bereitzustellen, veränderte und verbesserte jede Firma die Quellen in eine andere Richtung, um einen Wettbewerbsvorteil zu gewinnen, hielt die Quellen geheim und erzeugte so ein Chaos an Inkompatibilitäten. Die Idee der GPL war also nicht nur, die Quellen offen zugänglich zu machen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einander widersprechenden Weiterentwicklungen (sogenannte Forks) zu verhindern.

Das berühmtestes Beispiel einer GPL-lizenzierten Software, ist die Entwicklung von GNU-Linux. Linus Thorwald produzierte die erste Version eines Betriebssystemkerns, der zu den GNU-Werkzeugen von Stallmann passte und gab ihn unter GPL frei. Linux erreichte damit das Ziel, das vorher nicht zu erreichen war: ein einheitliches (UNIX) Betriebssystem für jeden Computer.

Zur Überraschung aller – niemand hatte so eine Entwicklung vorhergesagt – war Linux im Gegensatz zu den anderen Unix-Versionen, die vergeblich gegen die Vorherrschaft von Microsoft mit den üblichen Mitteln des Marktes angekämpft hatten, sehr schnell in wichtigen Bereichen der Serversoftware Microsoft in Qualität und Verbreitung überlegen und begann – hier ist die Auseinandersetzung noch offen – die Monopolstellung von Microsoft im Bereich der Arbeitsplatzrechner anzugreifen.

Eine wichtiger Aspekt fehlt noch: Free Software hatte über längere Zeit nur in akademischen Kreisen eine gewisse Bedeutung. Das änderte sich aber rasch, als durch die Verfügbarkeit des Internets EntwicklerInnen aus unterschiedlichsten Kontexten (Freelancer, angestellte EntwicklerInnen, StudentInnen und akademische ForscherInnen) offiziell oder inoffiziell, innerhalb ihrer Arbeitszeit oder in der Freizeit in Free Software Projekten mitzuarbeiten begannen. Meist bildete sich rund um eine erste Version einer Software, die unter die GPL-Lizenz gestellt wurde, eine Mannschaft von MitentwicklerInnen, TesterInnen und vor allem AnwenderInnen, welche sukzessive diese erste Version verbesserten. Paradebeispiel ist hier wieder Linux: Einige tausend EntwicklerInnen in der ganzen Welt arbeiten direkt an der Weiterentwicklung von Linux mit. Tausende mehr oder weniger kundige AnwenderInnen testen die Software und berichten über Fehler und Millionen benutzen sie – zur Zeit meist auf Servern und ohne dass sie überhaupt davon wissen.

Inzwischen gibt es, z.B. auf Sourceforge, [3] einen jener großen Server, auf denen Projekte ihre Free und Open Source [4] Software zur Verfügung stellen und zur Mitarbeit einladen, ca. 70.000 Projekte. Die Mehrzahl der Projekte „lebt nicht mehr“, das heisst es gibt keine oder fast keine Mitarbeit mehr. Auch die Zahl der MitentwicklerInnen ist im Regelfall nur ein Bruchteil derjenigen von Linux. Was in wenigen Jahren hier passierte, ist dennoch äußerst eindrucksvoll und kam völlig überraschend.

Inzwischen gibt es auch erfolgreiche Versuche, das Free Software Konzept auf andere Bereiche auszudehnen. Am eindruckvollsten ist dabei die Wikipedia [5] Enzyklopädie – http://de.wikipedia.org ist die deutschsprachige Variante – die inzwischen in über siebzig Sprachen vorliegt und deren englischsprachige Variante über 300.000 Einträge (deutschsprachige Variante: 100.000) zählt. Auch hier beruht die Mitarbeit auf der freien Entscheidung tausender Menschen, eine gute Enzyklopädie zu erstellen, ist völlig unbezahlt und im Prinzip ist jedeR bezüglich der Teilnahme am Projekt gleichberechtigt. Das heißt, mensch muss keinE „ausgewieseneR“ ExpertIn sein, um ein bestimmtes Thema zu beginnen, zu erweitern oder zu verbessern und auch die anonyme Teilnahme ist möglich. War zu Beginn die Qualität der Beiträge eher mittelmäßig (in manchen Bereichen ist sie auch jetzt nicht sehr gut), so haben die Anstrengungen einer sogenannten „Qualitätsoffensive“, die bestimmte Bereiche in einer gemeinsamen Aktion zu verbessern trachtet, sehr gute Ergebnisse erzielt. Inzwischen ist davon auszugehen, dass in 1-2 Jahren Wikipedia dem Umfang und der Qualität nach die größte Enzyklopädie der Welt in den meisten unterstützten Sprachen sein wird. [6]

Über die mannigfaltigen Ansätze und Probleme, die Einvernahme durch die kapitalistischen Konzerne und den Markt, über die verschiedenen Organisationsformen wird in den grundrissen künftig noch öfter zu lesen sein. Der kurze Einstieg an dieser Stelle sollte aber genügen, um den Kontext zu verstehen, in den die Debatten bei Oekonux eingebettet sind.

Wir wollen eine GPL Gesellschaft! No Masterplan please!

Die ursprüngliche Motivation der Oekonux Debatte war, herauszufinden, wie und auf welche Art sich die Prinzipien der Entwicklung freier Software auf andere Zweige der Produktion ausdehnen lassen. TrägerInnen dieser Debatte waren einerseits Leute, die eher aus dem politischen Umfeld kamen und alle Ansätze willkommen heißen, die jenseits der Produktion von Waren und kapitalistischen Produktionsformen funktionieren, anderseits waren es EntwicklerInnen, die meist ohne politischen Hintergrund, an Free Software Projekten begeistert teilnehmen und auch in anderen Produktionsbereichen ähnliche Möglichkeiten durchsetzen wollen. Daneben nahmen auch SozialwissenschaftlerInnen an der Konferenz teil, die verstehen wollen, wie die Free Software Projekte arbeiten und was die Motive der EntwicklerInnen sind, die an diesen Projekten teilnehmen.

Bei den begeisterten Befürwortern der Free Software mit politischem Hintergrund gibt es ein breites Spektrum von Positionen:

In den USA interpretierten einige VorkämpferInnen der Free Software wie z.b. Eben Moglen, der Professor für Recht und Rechtsgeschichte an der Columbia Law School ist und juristische Ratschläge für Free Software im Rahmen der open source Initiative gibt, die Free Software als einen Triumph des Anarchismus. In seinem auf der Webseite http://firstmonday.org veröffentlichten Artikel „Anarchism Triumphant: Free Software and the Death of Copyright“ sieht er schon das Ende der eigentumsbesessenen Gesellschaft am Horizont heraufdämmern und prophezeit den VerteidigerInnen des Copyrights ihren Untergang, sowie den Sieg des Anarchismus als Produktionsweise.

Im Regelfall interessiert allerdings die zahlreichen VerfechterInnen der Free Software in den USA, wie auch den GPL Erfinder Richard Stallman, die Frage der Überwindung des Kapitalismus überhaupt nicht. Sie sind nur an Freiheit der Free Software interessiert. Anders schaut die Sache in Europa und insbesondere in Deutschland aus. Hier gibt es eine Reihe von Versuchen, die Entwicklung der Free Software im „Marxschen Zusammenhang“ von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen zu lesen. Der „spontane Kommunismus“ der Free Software zeige auf, wie diese neuen Produktivkräfte die kapitalistischen Produktionsverhältnisse sprengen. Die dadurch ermöglichten Produktionsformen werden als Keimformen einer neuen Gesellschaftsformation – der „GPL-Gesellschaft“ – angesehen. Nur die Gewalt, die in der Durchsetzung von Patentrechten von Software liegt, kann Barrieren zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Free Software errichten.

In der Diskussionszusammenfassung „GPL-Gesellschaft – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“ von Stefan Merten und in einem darauf aufbauenden Text „Eigentum und Produktion am Beispiel der Freien Software“ (eine Antwort auf eine Preisfrage der Rosa-Luxemburg-Stiftung [7]), wird einer der Stränge der Debatte bei Oekonux zusammengefasst.

Die Debatte versucht einerseits Formen der Kooperation und Selbstorganisation, wie sie in der Free Software Bewegung vorliegen, mit mehr oder weniger geglückten „Marxschen“ Begrifflichkeiten zu fassen und anderseits zu diskutieren, wie diese GPL Produktionsform auf andere Bereiche ausgedehnt werden kann. Diese Debatte über die Erweiterung der Keimform hat wiederum unterschiedliche Ausprägungen:

  • Ein Debattenstrang sieht die immaterielle Arbeit, welche die Produktion von Software kennzeichnet, als die dominant / dominierende Form der Produktion überhaupt an. Manche DiskussionsteilnehmerInnen stellen diese Dominanz in den Zusammenhang mit der Debatte um die immaterielle Arbeit, wie sie von Hardt und Negri im „Empire“ beschrieben wird. In ihren Debattenbeiträgen wiesen sie darauf hin, dass im Gegensatz zum Verständnis bei Oekonux, Hardt und Negri den großen Bereich der Produktion von Gefühlen und Emotionen ebenfalls zur immateriellen Arbeit zählen.
    Abseits der an die Theorie von Hardt und Negri anknüpfenden Debatte wird bei Oekonux „produktionsspezifisch“ argumentiert, dass auch in der materiellen Produktion ein immer größerer Anteil an immaterieller Arbeit geleistet wird und sich so die Dominanz der immateriellen Produktion zeige. So schätzte ein Spezialist, der in einer Zulieferfirma für Autofabriken arbeitet, die Bremssysteme entwickelt, laut Aussage eines Teilnehmers an der Konferenz, den Anteil an immaterieller Arbeit am Tauschwert der Bremssysteme mit über 90%, nur wenig unter 100% ein. Das bedeutet, dass die eigentliche Produktion der Bremsen nur einen sehr geringen Teil der Gesamtwertschöpfung ausmacht. (was natürlich auch ausdrückt, dass im innovativen Teil der Bremsenproduktion die wesentlichen Extraprofite gemacht werden.)
  • Ein anderer Debattenstrang beschäftigt sich mit konkreten Versuchen, die Logik der Free Softwareproduktion auf nicht immaterielle Bereiche auszudehnen. So gibt es Versuche, einen Free Prozessorchip – die Zentraleinheit des Computers – zu designen und zu simulieren — aber auch im Bereich des Autodesigns (?!) gibt es eine solche Initiative. Wie mensch sich leicht vorstellen kann, ist dabei das Problem, wie erzielte Ergebnisse in Hardware umgesetzt werden können. Dazu existieren verschiedene unausgegorene Ideen wie z.B. die, freie Produktionskapazitäten bei den großen Herstellerfirmen (z.B. Chip-Produktionsstätten) günstig zu kaufen. Bedingt durch dieses Fehlen dieses „letzten“ – materiellen – Schritts finden GPL Hardwareprojekte nur ein relativ geringes Echo. Dennoch zeigen die Debatten, die über Designthemen in diesen Initiativen laufen, welches Potential auch bei nicht immateriellen Produktionen im Free-Konzept besteht.

Die Ausdehnung der GPL-Produktion auf nicht immaterielle Produkte wird bei Oekonux auch als technologisches Problem debattiert. So meinen einige, dass in Erweiterung des Trends, der oben bereits in Bezug auf die Bremssystemproduktion geschildert wurde, in Zukunft die eigentliche materielle Produktion bis zu letzten Moment hinausgezögert werden kann, und dass dann sogenannte Fabber [8] direkt aus Rohmaterialien die überprüften und simulierten Produkte in Kleinstserien herstellen könnten. Die Idee ist also, dass es für Kleingruppen oder sogar Einzelpersonen eine technische Infrastruktur gibt, die es diesen gestattet, ihre eigenen Produkte in Erweiterung, und Anpassung der freien Designs zu produzieren.

Diese Debatte über die Ausdehnung der GPL-Produktion auf andere Bereiche läuft bei Oekonux unter dem Namen „Brötchenfrage“, nämlich: „Wer wird uns in der GPL Gesellschaft die Brötchen backen?“ (Interessanter Weise läuft die gleiche Debatte auf dem englischsprachigen Oekonux Web Site unter den Namen „the washing machine question“.) Das Ganze wurde dann noch in eine „Kloutopie“ festgeschrieben, bei der ein Klo erzählt, wie die Wünsche der Anwender ausprobiert wurden und dann das materielle Klo entstand: http://www.oekonux.de/texte/utoklo.html

Das Ausmalen technologischer Zukunftsvisionen, in denen ein wenig der alte vulgärmarxistische Traum des quasi automatischen Entstehens neuer Gesellschaftsformationen aus der sich entwickelnden technologischen Basis neuerlich geträumt wird, wurde in letzter Zeit bei Oekonux zunehmend kritisiert.
Wenn es auch Sinn macht sich der Utopistik zu widmen: In den Utopistik-Debatten liegt auch immer die Gefahr, dass mensch sich in das Ausdenken mehr oder weniger detaillierter technologischer Zukunftspläne verliert. Auf der Konferenz bemerkte deshalb eine Indymedia-Mitarbeiterin, als die Debatte sich wiedereinmal im Ausmalen diverser Lösungen der „Brötchenfrage“ in einer nachkapitalistischen Gesellschaft zu verlieren drohte, treffend: „No masterplan please!“

Eine Vielzahl von Themen

Die Konferenz in Wien war jedoch – teilweise im Gegensatz zur Oekonux-Diskussionsliste [9] – nur zu einem geringen Teil mit Diskussionen über Produktivkräfte und ihre Zukunft bzw. den Vorstellungen technischer Utopien beschäftigt. Die Vorträge und Debatten umfassten eine Vielzahl von Themen. Ein Ausschnitt davon:

MitarbeiterInnen der Zeitschrift „Streifzüge“ (http://www.widerspruch.at/streifzuege) versuchten eine Einschätzung der derzeitigen Phase des Kapitalismus zu geben und gingen dann auf die Möglichkeiten von Produktion und Tätigkeit abseits von Warenproduktion und Lohnarbeit ein. (Einer der regelmäßigen Mitarbeiter der Zeitschrift – Stefan Meretz – arbeitet bei Oekonux mit.)

US-WissenschaftlerInnen aus dem Bereich der social science berichteten über ihre soziologischen Forschungen und Theorien zu Free Software, Tauschbörsen [10] und KostNix-Läden.

HistorikerInnen und KulturwissenschaftlerInnen aus Österreich bzw. Deutschland versuchten Free Software mit den Schenkungs- bzw. Gabeökonomien diverser archaischer Kulturen zu vergleichen und abzugrenzen. [11]

Ein Softwareentwickler, dessen großer Wunsch es wäre, statt im Bereich der Free Software in dem der Free Hardware arbeiten zu können, stellt eine Liste aller nicht immateriellen Projekte im „Free-Umfeld“ vor. Die Liste reicht von Windrädern zur Stromerzeugung, die den besten kommerziellen Produkten Paroli bieten können, bis zum sogenannten Volksbeamer-Projekt, bei dem mensch lernt, wie aus einem Diaprojektor und einem Notebookbildschirm ein Videobeamer hergestellt werden kann. Meist sind diese Free-Projekte auch mit „Märkten“ verbunden; so werden z.B. bei der Versteigerungs- und Verkaufsplattform eBay Bauteile für den Volksbeamer angeboten.

Natürlich wurden auch eine Vielzahl von Analysen vorgestellt über den Kampf gegen die Patentrechte, mit denen weltweit versucht wird, der Free Software Einhalt zu gebieten; daneben gibt es aber auch einige Berichte über Initiativen, die – ganz unabhängig vom Bereich der Free Software – versuchen, auf lokaler Ebene zumindest teilweise der Marktlogik zu entfliehen. Interessant ist dabei, dass hier in zunehmendem Maße das sogenannte „GrenzgängerInnenmodell“ debattiert wird. GrenzgängerInnen sind Menschen, die einerseits in Kooperativen oder Kommunen leben, welche zumindest in Sachen Einkauf und Verteilung nach anderen Formen als der Markt-/Geldlogik leben, die aber Erwerbsarbeit in Teilzeit leisten.

Im Gegensatz zu anderen Diskussionsforen träumen bei Oekonux auch die KommunardInnenen nicht vom einfachen Leben am Land inkl. Landwirtschaft im alten Stil, sondern betrachten die Verwendung von Free Software und eine technologische Infrastruktur auf Basis von Computern als selbstverständlich. Die Bremer Kommune http://www.bremer-commune.de/, eine Gruppe von ca. 150 Leuten, hat ihre Erfahrungen bei der Umsetzung neuer Formen des Zusammenlebens ins Netz gestellt. Die technische Zukunft sieht sie in der Vollautomation (!?). Die technische Welt solle sich mit Hilfe von Mitteln der künstlichen Intelligenz zu einem zweiten technischen, sich selbstorganisierenden System – neben der Natur – entwickeln und den Menschen die tägliche Plackerei (Eigenerfahrung der Kommune) abnehmen. So wie die erste müsse aber auch die „zweite Natur“ durch die Menschen gezähmt werden.

Auf der Oekonux Konferenz konnte mensch den Eindruck gewinnen, dass diese Kommunenexperimente, die ja eine der wichtigen Formen der 68er-Bewegungen waren, nicht einfach „Überbleibsel“ aus diesen Zeiten sind, sondern dass gerade auch die Teilnahme an der globalisierungskritischen Bewegung einerseits und die Entwicklung von neuen Produktionsformen wie der Free Software andererseits, diesen Experimenten neuen Auftrieb gibt.

Zusammenfassend mein Eindruck:

Das fast allen TeilnehmerInnen gemeinsame Interesse an Free Software mit den mehr oder weniger bewussten gesellschaftskritischen Implikationen gestattete es, Themen, die sonst nur in der Linken debattiert werden, in einem breiten Forum zu besprechen. Trotz Kritik der nicht aus dem linken Milieu kommenden TeilnehmerInnen an marxistischen (oft eher pseudomarxistischen ...) Begriffen, die unverständlich blieben, weil sie etwas anderes bedeuten als in der Alltagssprache, war es möglich, zentrale Fragen der heutigen gesellschaftlichen Situation zu diskutieren. Gerade die Unbefangenheit und Frische, mit der Konzepte zerlegt und wieder zusammengesetzt wurden, machten den Reiz dieser Konferenz aus.

[1GNU steht für die rekursive Definition GNU = „GNU is Not Unix“ erfunden von Richard Stallmann. Zu warum „Not Unix“ siehe weiter unten.

[2In den 70er Jahren und davor waren die Hardwarepreise noch sehr hoch und die Kosten von Software vernachlässigbar.

[3Sourceforge http://sourceforge.net/ behauptet von sich, die weltweit größte Website für open source Projekte zu sein. Auf ihm werden die Quellen und ablauffähigen Versionen der open source Projekte den EntwicklernInnen / AnwenderInnen zum Herunterladen zur Verfügung gestellt. Die EntwicklerInnen / AnwenderInnen können sich entscheiden, welche Version sie herunterladen wollen und ob mit oder ohne Quellen. Solche zentralen Ablagen erleichtern das Suchen nach free software Projekten, welche die eigenen Anforderungen erfüllen und stehen 24 Stunden am Tag zur Verfügung.

[4Der Unterschied zwischen Open Source und Free Software ist, dass letztere verbindlich die Offenlegung der veränderten Quellen erfordert, was die Verwendung der Free Software im kommerziellen Bereich einschränkt. Open Source Software ist ein Überbegriff, der neben der GPL auch andere Lizenzmodelle zulässt, die eine kommerziellen Nutzung nicht verhindern.

[5Wikipedia verwendet einen WikiWiki Server. Bei diesem kann jeder(!) Benutzer jede Seite erweitern, verändern, verbessern und bei Wikipedia in einer extra Seite diskutieren. Da alle Versionen gespeichert sind, kann auf eine ältere Version zurückgestiegen werden. Bei Wikipedia gibt es so viele Mitarbeiter, dass ein Vandale seinen Mist nicht länger als 10 Minuten im Netz hat und daher der Vandalismus nur wenig Freude macht.

[6Wikipedia zeigt auch die Probleme inhaltlicher Natur, die solche völlig offenen Projekte haben: die Artikel sollen verschiedene Sichtweisen des jeweiligen Themas (im Sinne einer Enzyklopädie) „unparteiisch“ beschreiben. Bei einem theoretischen Werk – wie z.B. dem Marxschen „Kapital“ – funktioniert dies noch ganz gut, da im Regelfall sich nur Menschen, die das Werk kennen und mehr oder weniger davon verstehen, sich an der Ausarbeitung beteiligen. Unterschiedliche Interpretationen fallen meist der Kürze der Einträge zum Opfer. Bei kontroversiellen politischen Begriffen wie „Kommunismus“ ging das – zumindest bisher – nicht gut. Nach langandauernden Änderungskämpfen wurde die Seite vorläufig für Änderungen gesperrt und schaut dementsprechend aus ...

[7„Unter welchen Bedingungen sind individuelles Eigentum und vergesellschaftete Produktion mit dem Ziel einer universellen Entwicklung der Individuen und der Gesellschaft vereinbar?“, vgl. http://www.rosaluxemburgstiftung.de/Einzel/RL-Preisverl_2003/index.htm

[8Fabber sind — zur Zeit an wenigen Plätzen eingesetzte — universelle Industrieroboter, die mit unterschiedlichen Methoden aus Pulvern oder Flüssigkeiten computergesteuert und ohne äußere Eingriffe feste Materialien aufbauen und daraus dreidimensionale Werkstücke produzieren.

[9Die Oekonux Debatten finden zwischen den Konferenzen vor allem auf Mailinglisten (deutsch und englisch) statt. Die deutsche Mailinglistendiskussion kann mensch auf http://www.oekonux.de/liste/index.html einsehen.

[10Tauschbörsen (file sharing) sind eigentlich keine solchen, weil darauf nicht getauscht wird, sondern das was mensch hat, wird allen Interessenten ohne Gegenleistung zur Verfügung gestellt.

[11In der Debatte über Free Software und Tauschbörsen spielt der Vergleich mit Schenkungsökonomien wie z.B. dem indianischen Potlasch eine relativ große Rolle. Abgesehen davon, dass bei der Free Software in neuer Form kooperativ produziert wird (was bei den Tauschbörsen nicht der Fall ist), wird in diesen Vergleichen eines der Hauptmerkmale sowohl der Free Software wie auch der Tauschbörsen vernachlässigt, nämlich das Phänomen der sogenannten „free rider“, die zu keiner Zeit etwas anbieten, aber sich jederzeit die Software, das Musikstück etc. herunterladen können.

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