Heft 5/2001
September
2001

ÖH: … und tschüss?

Seit Jahrzehnten ist die Österreichische HochschülerInnenschaft ein wichtiger Bezugspunkt politischer Aktivität an den Universitäten. Mit dem geplanten strukturellen Umbau der Universitäten geht auch ein radikaler Bedeutungsverlust der ÖH einher. Ein paar Gedanken zur Zukunft studentischer Interessenvertretung.

Allerorts wird betont, dass die Hauptaufgabe von Universitäten darin zu bestehen hat, der Sicherung des nationalen Standortes zu dienen [1] und angesichts dieser Funktion mit den Relikten einer teilweise demokratisch verfassten (Selbst-)Steuerung aufgeräumt werden müsse. WissenschafterInnen, Ministerialbürokraten und WirtschaftsvertreterInnen sind einhellig der Ansicht, dass „Hochschulen als Dienstleistungsunternehmen im Bereich der Wissenschaft“ (Landfried, Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz) einer firmenähnlichen Struktur bedürfen. Die „68er-Zeit ist vorbei“ (Gehrer, Bildungsministerin), die „heilige Kuh der paritätischen Mitbestimmung“ müsse „geschlachtet“ werden (Hassauer, Uni Wien).

Was heißt hier Autonomie?

Dass die geplante Vollrechtsfähigkeit als „erweiterte Autonomie“ der Universitäten verkauft wird, ist ein Meisterstück medialer Propaganda. Suggeriert wird, die Unis könnten in Zukunft autonomer handeln und entscheiden, de facto ist genau das Gegenteil der Fall. Entscheidungen sollen zwar aus dem zuständigen Ministerium an die Unis verlagert werden, aber erstens behält sich dieses zentrale Steuerungselemente auch weiterhin vor (die sog. „Leistungsverträge“ zwischen Staat und Unis), zweitens wird der direkte Einfluss von Interessensvertretungen wie Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer auf die Unis verstärkt (im „Universitätsrat“) und drittens soll sich die Universität nicht als Gesamte selbst verwalten, sondern diese Aufgabe übernimmt ein Management unter Ausschaltung bisheriger Gremien. Um noch deutlicher zu werden: Studien-, Berufungs- und Habilitations-kommissionen, Institutskonferenzen und Fakultätskollegien werden ersatzlos gestrichen. Damit geht nicht nur die kollektive Diskussion zwischen Lehrenden und Studierenden eines Instituts zum Thema Ankauf von Büroklammern verloren, wie oft gegen die universitäre Gremialstruktur polemisiert wird. Die Streichung dieser Gremien bedeutet, dass jeglicher formale Einfluss von Studierenden (teilweise auch jener der Lehrenden!) auf die Vergabe von Lehraufträgen, die Berufung von ProfessorInnen, die Verteilung von Geldern, Infrastruktur, etc. und damit in Folge jeder Einfluss auf die inhaltliche und strukturelle Gestaltung einer Studienrichtung verschwindet. Entscheiden wird der Chef der Uni (Rektor), rechtfertigen wird er sich vor dem Aufsichtsrat („Universitätsrat“) und anhören kann er ein Gremium mit Lobbyistenstatus (Senat).

Interessenvertretung ohne Ort

In sämtlichen inhaltlichen Vorarbeiten zur universitären Umstrukturierung finden sich entweder gar keine oder nur in Fußnoten getätigte Aussagen [2] zur künftigen Rolle der Österreichischen HochschülerInnenschaft. Die Konsequenzen der Abschaffung von formal garantierten Mitbestimmungsrechten liegen jedoch auf der Hand. Für studentische Interessenvertretung heißt eine betriebsähnliche Universitätsstruktur von jeglicher sozialpartnerschaftlichen Tradition verabschiedet zu werden. Wenn die institutionalisierten Orte nicht mehr (oder bestenfalls rudimentär) existieren, dann müssen sich die Formen der Einflussnahme radikal verändern. Sollte die ÖH als Körperschaft öffentlichen Rechts die nächsten Angriffe von rechts überleben, bleibt ihrer obersten Ebene — der Bundesvertretung — tatsächlich nur noch die Funktion einer zahnlosen Lobbying-Vereinigung. Von dem, was die ÖH im weltweiten Vergleich von ihrem Potential her gesehen so einzigartig macht, relativ weitreichende Mitbestimmungsmöglichkeiten auf Instituts- und Fakultätsebene gekoppelt mit einem garantierten allgemeinpolitischen Mandat und finanzieller Unabhängigkeit, bleibt nach der nächsten Uni„reform“ wenn überhaupt nur zweiteres übrig. Der Kampf gegen rechte Profs, für die Verankerung von feministischer Forschung und Lehre, für Lehrinhalte und Studienverläufe generell wird sich wieder (die 60er Jahre lassen grüßen) außerhalb der formalen Entscheidungsstrukturen abspielen müssen. Soll heißen: keine Anträge mehr in Studienkommissionen, sondern mail-bombings an den Institutsserver. Statt argumentieren in Fakultätskollegien Besetzungen der Dekanate. Politik wie zu Zeiten der Ordinarienuniversität.

Studentische Politik …

Der Haken an den genannten Vorschlägen ist die vorausgesetzte Bereitschaft von Studierenden, ihre Wünsche in dieser Form zu artikulieren. Bereits seit Jahren klagen sämtliche AktivistInnen in und um die ÖH, dass sie mit aktionistischen und inhaltlichen Angeboten auf wenig Resonanz bei ihren KollegInnen stoßen oder dass ihnen schlicht der „Nachwuchs“ ausgeht. Nicht erst seitdem es nach den erfolglosen Protesten gegen die Einführung von Studiengebühren ein nüchternes Erwachen statt einen heißen Herbst gegeben hat, stellt sich die Frage nach der Bereitschaft von Studierenden zu politischem Handeln in zumindest einem ihrer Lebensbereiche, der Universität. Diverse Medien schreiben in unregelmäßigen Abständen mal hämisch, mal bedauernd eine zunehmende „Entpolitisierung“ der StudentInnen herbei. Eine seriöse Einschätzung der Verschiebung von politischen Präferenzen von Studierenden in den vergangenen 30 Jahren scheitert in Österreich an der fehlenden Datenbasis. Die gängige Annahme, dass StudentInnen tendenziell irgendwie „links“ wären und damit eine gewisse Handlungsbereitschaft verknüpft ist, halte ich jedoch trotz der Ergebnisse der letzten ÖH-Wahlen für einen liebevoll gepflegten Mythos. [3]

… oder politische Studierende?

Was möglicherweise Rückschlüsse auf mobilisierende Themen und Formen von politischem Handeln von Studierenden an den Universitäten zulässt, wäre eine Analyse der sozio-demographischen Zusammensetzung der StudentInnenschaft verbunden mit dem Wandel von Bildungspolitik und damit auch der geänderten Erwartungen an ein Studium. Eine derartige Darstellung ist hier nicht leistbar, insofern nur einige Thesen: Mit der Änderung von individuellen Qualifizierungsstrategien als Folge von geänderten Anforderungen an die Ware Arbeitskraft verschiebt sich auch die Wahrnehmung der Institution Universität in Richtung eines instrumentellen Verhältnisses. Je genauer Studierende den zukünftigen Ertrag der Investition in ihr „Humankapital“ kalkulieren müssen, desto eher werden sie ihre Studienwahl, ihr gesamtes Lernverhalten und die Nutzung ihrer Zeitressourcen an potentiellen ökonomischen Verwertbarkeitschancen orientieren. Das Studium wird nicht mehr als „Beginn einer lebensgeschichtlichen Neuorientierung begriffen, sondern als verlängerte Ausbildungszeit“. [4]

Uni als ein Lebensraum unter vielen

Der Rückgang der subjektiven Identifikation mit den Universitäten als Reibungsflächen und Lebensorte bedeutet, dass sich Interessen von Studierenden stärker in der Gesamtheit ihrer gesellschaftlichen Lebensbedingungen ausbilden. Jegliche Form von Standespolitik ist nicht nur eine politisch abzulehnende Strategie, sondern kommt schlicht nicht (mehr) an. Wenn der sozialdemokratische Pressesprecher der Bundes-ÖH in einer Presseaussendung verkündet, dass die ÖH deshalb Solidarität mit den in Genua inhaftierten Mitgliedern der Volxtheaterkarawane übt, weil sich unter den Gefangenen auch Studierende befänden, dann ist das wohl der lächerlichste Ausdruck eines endgültig auf dem Misthaufen der Geschichte zu entsorgenden ständischen Politikverständnisses. Politische Angebote, die Studierende lediglich als Studierende ansprechen, laufen ins Leere. Die Erkenntnis ist vielleicht nicht neu, sie gewinnt allerdings angesichts der zunehmenden Heterogenität studentischer Biographien und der tendenziellen Auflösung der Studierendenrolle an Gewicht. „Studentische“ Politik ist gestorben. Es geht um Politik an der Uni.

[1So zum Beispiel Klaus Landfried, Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz: „Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“, alle Ebenen ziehen „gemeinsam“ am gleichen Strang damit sich die Nation im „Wettbewerb der Kulturen und der Volkwirtschaften“ auch „behaupten“ kann (Landfried, 21.4. 2000 im Rheinischen Merkur zit. nach Bultmann). Landfried war Referent bei einer parlamentarischen Enquete des Nationalrates zum Thema „Universitätsreform“ im April 2001.

[2Eine dementsprechende Anfrage von StudierendenvertreterInnen im Rahmen der zitierten parlamentarischen Enquete wurde — wie es so schön heißt — net amal ignoriert. Im Strategiepapier Universitäten im Wettbewerb. Zur Neustrukturierung österreichischer Universitäten einer Arbeitsgruppe der Rektorenkonferenz im Auftrag des Bildungsministeriums heißt es lapidar: „So wichtig und verdienstvoll der Beitrag z.B. der ÖH in vielen Entscheidungen und Gremien war und ist, so ist doch festzustellen, dass die Mitbestimmung durch die Hochschülerschaft kein Ersatz für Marktmechanismen ist [...]“ (Präsentationsentwurf vom Mai 2000).

[3Für die Bundesrepublik Deutschland konstatieren mehrere Studien in den letzten Jahren einen Rückgang von Kohärenz und Handlungsrelevanz linker Selbstverortungen von Studierenden. So stellt zum Beispiel eine qualitative Untersuchung von Demirovic/Paul im Zeitraum 1994/95 fest, dass unter den Studierenden zwar nach wie vor eine Selbstkennzeichnung als linksorientiert verbreitet ist, dass damit aber keine konsistente linke Weltsicht mehr einhergeht. Wenn 60% der Aussage zustimmen, „Wissenschafter sollten sich mit ihrer Arbeit für die Sicherung des Standortes Deutschland einsetzen“ und 58% dafür sind, dass „kriminelle Ausländer sofort abgeschoben werden sollen“, dann reicht die Akzeptanz dieser Items bis weit in das sich selbst als „links“ definierende Lager hinein (vgl. Bultmann, Torsten/Sabine Kiel: Politische Sozialisation von Studierenden und die Anforderungen an linke Hochschulpolitik, 1997). Bultmann/Kiel interpretieren die Ergebnisse dieser und anderer Studien dahingehend, dass „die ehemalige starke organisatorische und politische Präsenz linker Strömungen an Hochschulen heute noch als relative kulturelle Hegemonie nachwirkt“, dass dieses „Linkssein“ allerdings tendenziell „zu einer Frage der oberflächlichen Konvention mit einem entsprechend wachsenden Grad an Unverbindlichkeit“ (ebd.) wird.

[4Kraushaar, Wolfgang (Hrsg.): Frankfurter Schule und Studentenbewegung, 1998, zit. nach: Keller, Andreas: Hochschulreform und Hochschulrevolte, 2000.

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