EuropaKardioGramm, EKG 5-6/1995
Oktober
1995
Gentechnologie

Patentrechte auf die Zukunft

Turbokühe, Retortenbabies, die gentechnologische Hexenküche scheint überzukochen. Folgt man den Medien, dann kommt man sich wie in einem Fortsetzungsfilm von Frankenstein vor.

Mit der EU brechen böse, gentechnische Lebensmittelimporte in unsere von Bauernhöfen geschützte Nahrungslandschaft ein. So hat der EU-Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit eine umstrittene Richtlinie zur Kennzeichnung gentechnisch manipulierter Lebensmittel bei einer „signifikanten“ Veränderung“ gegen Deutschland, Dänemark, Schweden und Österreich beschlossen. Genetisch veränderte Organismen sind nicht kennzeichnungspflichtig. Doch müssen wir nicht etwas vorurteilsloser an dieses komplexe Thema herangehen, sollten wir uns nicht genauer informieren, ehe wir der Panikmache durch Medien erliegen? Gibt es nicht auch in Österreich Genforschung und deren Früchte in der Lebensmittelerzeugung?

Was ist Gentechnologie?

Gentechnologie ist die Menge aller Methoden, die sich mit Erkennen, Analysieren und Isolieren von genetischem Material beschäftigen, um neue Kombinationen zu bilden und diese in die Umwelt wieder einzuführen.

Bei der Wiedereinführung in die Umwelt stößt diese Technologie auf die gesellschaftlichen Schranken der Akzeptanz, da sie an dieser Schwelle politische, ökonomische und gesellschaftliche Folgen auslöst, die noch nicht zu deuten sind. Hier kommen dann irrationale Argumente ins Spiel, um die Menschen zu überzeugen, verschiedene Lobbies kämpfen mit unterschiedlichen Bildern um die Ängste der Menschen. Heutzutage muß man sich oft zwischen zwei Wahrnehmungsperspektiven der Wissenschaft, der Technik und der Technologie entscheiden: eine ist die heilversprechende, die andere die katastrophische. Die eine beschwört den Segen der Technologie für die ganze Menschheit, die andere prognostiziert den sofortigen oder den schleichenden Untergang der Menschheit. Was können wir bei der Gentechnologie für wahr nehmen?

»Es tut mir leid, Mr. Farnsworth. Sie haben Kühe.«

Nun, die experimentellen Versuche in den Labors sind eine Sache, die Freisetzung in die Umwelt eine andere, denn im Labor ist eine zugreifende Kontrolle jederzeit möglich, Freilandversuche sind unkontrollierbar. Einmal in der freien Natur sind manipulierte Organismen nicht an Fortpflanzung und Mutation zu hindern, ihre weitere Entwicklung ist nicht vorhersagbar. Damit widerspricht dies zwei zentralen Kategorien der Naturwissenschaft: Vorhersagbarkeit und Wiederholung. Und rückrufen, wie eine defekte Autoserie, läßt sich ein fehlgeschlagenes Gentechnologieexperiment in der freien Natur nicht, denn es läßt sich nicht entsorgen. Insofern kann die ganze Welt zu einem Großexperiment werden, dessen Folgen niemand seriös abschätzen kann. Wer soll das noch verantworten?

Andererseits ist diese Gentechnologie sehr vielfältig anwendbar, sie steigert die Effizienz in der Landwirtschaft, bei Medikamenten, bei Chemikalien durch ihre maßgeschneiderten Genprodukte, die spezifisch auf die Anforderungen der Industrien zugeschnitten sind. Sie produziert vollkommen neue Güter, lebende Güter sozusagen, die patentierbar sind, mit jedem neuen entschlüsselten Gen werden neue Erkenntnisse über das Leben möglich, das Geheimnis des Lebens wird langsam entschleiert, Leben wird machbar, die Unsterblichkeit rückt in Sichtweite der Wissenschaft. Allerdings ist diese Technologie auch eine des Krieges, eine des Todes, die vielleicht nur einmal angewandt werden muß.

Im profanen Alltag ist die Gentechnologie ein Mittel zur Produktivitätssteigerung. Doch die in den USA mancherorts schon eingesetzte Genomanalyse bei Lohnabhängigen zeigt auch schon die ersten gesellschaftlichen Folgen der Genetik. Nicht nur, daß potentiell für irgendeine Krankheit anfällige Menschen in Zukunft schwerer Beschäftigung finden, sondern daß die Genomanalyse von den Firmen so genützt wird, weist auf einen Rückfall in rassistische Barbarei hin: hier Gesunde, dort eventuell Kranke. Hat man dieses Gen, wird man das und das. Ein neuer biologischer Determinismus ist so im Entstehen begriffen. In den USA sind mit Hilfe der Präimplantations-Gendiagnose schon mehr als 30 Kinder auf die Welt gekommen. Dabei vereinen die Gentechniker die Ei- und Samenzellen von Trägern einer Erbkrankheit in vitro. Die fehlerhaften Embryos werden für die spätere Forschung tiefgefroren, die fehlerlosen führt der Gynäkologe in die Gebärmütter wieder ein. Wer hat schon etwas gegen gesunde Kinder? So wird Eugenik als positiver Wert in die Gesellschaft eingefügt.

Krankheiten kosten nur. Viele können sie sich nicht mehr leisten und, wie man hört, auch die Krankenkassen, die Versicherungen und die Spitäler nicht mehr. Die möchten in Zukunft eine ordentliche genetische Auskunft über die Menschen, die glauben, sie hätten Anrecht auf einen Kassenschein, eine Versicherung oder auf eine Behandlung.

Doch die Wirklichkeit der Interaktionen der Gene ist viel komplexer. Eine Erbkrankheit, die häufig in Afrika auftritt, ist die Sichelzellenanämie, doch das sogenannte defekte Gen ermöglicht eine höhere Malariaresistenz, was ja in Afrika nicht unwichtig ist. Hier wäre also eine Optimierung, das heißt eine Kombination der besten Gene, wer immer das festlegen sich traut, nicht wünschenswert. Aber leider scheint der Wunsch stärker zu sein, die Menschen besser an eine kranke Umwelt (Warum sonst sollten Firmen ihre ArbeitnehmerInnen genomanalytisch untersuchen? Führt man diese ganzen Überlegungen weiter, bis nach Absurdistan, so müßten mit der Zeit in der Umgebung von Atomkraftwerken nur mehr radioaktivitätsresistente Leute arbeiten und leben können, respective dürfen.) anzupassen, als die Kosten für eine lebenswerte Umwelt zu tragen. Auch die Abfallfolgen und Arbeitsbedingungen einer großtechnologischen Anlage für Gentechnologie geben zur Sorge Anlaß. Diesbezügliche Schlagzeilen in Tirol bei der Anwendung von Biotechnologie sollten Warnung genug sein. Doch statt dessen gibt man sich schon den nächsten Erwartungen bezüglich einer Effizienzsteigerung bei der In-vitro-Fertilisation hin, der Entdeckung, daß die kleinste Einheit des Organismus aus einem Zellpaar besteht, eins hell, eins dunkel. Und anstatt darüber nachzudenken, wie es möglich war, falls die Erkenntnis stimmen sollte, daß man ein Jahrhundert lang die dunklen Zellen als scheinbar abgestorben ignorierte, freut man sich schon auf Produktivitätszuwachs bei gentechnisch manipulierten Weizen und Rindern.

Wie aber steht es eigentlich um die gentechnologisch veränderte Landwirtschaft?

In der Landwirtschaft selbst kommen Genübertragungen sowie Verabreichung von gentechnologisch veränderten Hormonen und Impfstoffen zu immer häufigerer Anwendung bei den Tieren. Das Ziel ist eine höhere Leistung in kürzerer Zeit. Die Tiere, welche durch einen Gentransfer verändert werden, werden als transgene Nutztiere bezeichnet. Allgemein wird diese Methode der Gentechnologie als Vorstufe zur Keimbahntherapie des Menschen angesehen. Bis jetzt scheint es keinen ausreichenden Erfolg zu bringen, eher einen Verlust an Fitness bei den Tieren. Weder ausreichendes Wachstum wurde erreicht noch verbesserte Vermehrung, dafür traten bei Schweinen, die menschliche Wachstumshormone bekamen, Knochendeformationen auf.

Bei Pflanzenmonokulturen wiederum sind Pflanzenviren eine häufige Belastung.
Hier versucht man mit Hilfe des Gentransfers Informationen in die Pflanze einzuschleusen, um die Entwicklung dieser Viren zu stören. Das Institut für Angewandte Mikrobiologie hat einen transgenen Marillenbaum entwickelt, der gegen einen bestimmten Virus nun resistent ist. (So stelle man sich in Hinkunft die Zusammenarbeit zwischen Universität und Wirtschaft und die Zielrichtung der Forschung vor, allerdings trägt im Falle dieses Institutes der/die SteuerzahlerIn noch die Kosten.) Da kann dann die Welternährungsorganisation FAO vergeblich vor der Industrialisierung der Landwirtschaft warnen, die ihrer Meinung nach den Artenschwund durch anfällige Hochleistungssorten ein- und derselben Varietät erzeugt, wenn diese Grundproblematik durch die Gentechnologie kurzfristig umgangen wird. Tabak, Tomaten und Zuckerrüben sind in Österreich häufig als Monokulturen angebaut und daher sehr anfällig. Daher ist es nicht weiter verwunderlich, daß es in Österreich die ersten virusresistenten Tabakpflanzen gibt. Weitere Pflanzenschutzmaßnahmen sollen den Pilzen und Bakterien gelten. Das wichtigste jedoch waren und sind herbizidresistente Pflanzen. Damit hofft man, die Pflanzen an die Pflanzenschutzmittel, die meist giftig sind, anpassen zu kKönnen. Das heißt, das Gift soll alle anderen Pflanzen als Konkurrenten der einen herbizidresistenten Nutzpflanze ausrotten. Allerdings nimmt sie, die herbizidresistente Pflanze nämlich, das Gift trotzdem auf, und schon erfolgt der Transit in die Nahrungskette. Was das für die Böden und das Grundwasser bedeutet, kann man sich wohl vorstellen.

»So war’s eben, Sylvia ... ich küsse diesen Frosch, er verwandelt sich in einen Prinzen ... und jetzt sitze ich da mit einem Haufen Kaulquappen.«

Auch in der Lebensmittelindustrie überlegt man zum Beispiel bei der Käsereifung den Einsatz gentechnisch veränderter Mikroorganismen, ohne sich über die Risikofolgen bezüglich ihrer Giftigkeit und Krankheitsförderung bei der Ernährung für die Menschen im klaren zu sein.

Das Milchgerinnungsmittel Chymosin, traditionell aus Kälbermägen gewonnen, ist auf Grund des steigenden Weltbedarfes zur Käseerzeugung knapp und teuer geworden, denn die Kälber werden auf Grund des steigenden Fleischbedarfes schon früh schwer gemästet. Daher produzieren sie weniger Chymosin. Nun wird es mit gentechnologisch veränderten Pilzen und Bakterien gewonnen. In England und in der Schweiz ist esschon zugelassen. Die Industrie weist auf die Identität mit dem natürlichen Enzym hin, jedoch sind ähnliche Reinheitsund Proteinstrukturprobleme wie beim Rinderwachstumshormon zu befürchten. Dabei gibt es doch eine durchaus originelle These, die besagt, daß nicht nur der Mensch die Kuh selektiert hat, sondern umgekehrt auch die Kuh den Menschen. Dies nämlich auf Grund der Einsicht, daß in Europa 80% bis 90% der Bevölkerung lactoseverträglich ist, in Ostasien ist die Prozentzahl genau umgekehrt.

Ein anderes Problem ist die Substitution von traditionellen Nahrungsmitteln durch gentechnologisch veränderte Bakterienstämme, Aminosäuren etc., dem „Food-design“. Ein großer Teil der „light“-Produkte basiert auf neuen, kalorienarmen Süßstoffen, gentechnologisch erzeugt. Das Aspartame z.B. besteht aus Methanol und zwei Aminosäuren. Untersuchungen führten zur Vermutung, daß höhere Mengen depressiv machen und Kopfschmerzen verursachen, da die eine Aminosäure die Gehirntätigkeit beeinflußt.

Weiters hat die USA ihren gesamten Zuckerimport aus der 3. Welt während der 70er und 80er Jahre durch biotechnologische Behandlung von Maisstärke und Umwandlung in Fructosesirup substituieren können. Ein gentechnisch veränderter Raps wird in den USA in Zukunft den Import von Palmund Kokosöl substituieren.

Noch weitere natürliche Importprodukte der 3. Welt stehen auf der Substitutionsliste der westlichen Welt mit Hilfe der Gentechnologie.

Gleichzeitig geht der Trend hin zur Werterzeugung der Nahrungsmittel bei der Industrie, die Bauern werden zu Rohstofflieferanten der Lebensmittelindustrie, Essen wird zu einer pharmazeutischen Angelegenheit, ob unsere Gene rechtzeitig nachjustieren, werden wir wohl nicht mehr erfahren. Erwarten können wir aber gentechnologische Medikamente, die uns das Essen ermöglichen werden, falls sich die gentechnologisch manipulierten Lebensmittel als unserer Gesundheit (z.B. Allergien) nicht zuträglich erweisen sollten. Warum sollte man nicht weitere profitable Probleme schaffen? Denn es geht hier um riesige Märkte, Patentrechte auf die Zukunft des gesamten Planeten. Enorme Erwartungen werden durch Heilsversprechen geweckt, die Wörter heil, besser, mehr, ganz und bald als Werbeträger für Forschungsgeld, für Patentrechte, für die Enteignung am eigenen Leibe ständig eingesetzt, die Mißerfolge der Gentherapien und In-vitro-Fertilisationen verschwiegen, die Zahlen verheimlicht, die wenigen Erfolge ins gleißende Licht der Massenmedien getaucht.

Andererseits aber vertrauen wir der Gentechnik bei der Lebensmittelanalyse beim Aufspüren von gestreckten und vermischten bei angeblich reinen Lebensmitteln. Auch zum Aufspüren von gentechnisch veränderten Lebensmitteln wird in Zukunft wohl nur die gentechnische Methode führen können. Hier ist sie auch in einem vernünftigen Gebrauch, ohne Anspruch auf Katastrophen oder Erlösung, eingesetzt, und genauso kann auch die Gentherapie im Kleinen etwas bewirken, kann sie manchmal helfen. Kleine, vernünftige Schritte unter Öffentlicher Kontrolle und nachvollziehbare Diskussion über die gesellschaftlichen Werte der Genforschung wären eigentlich keiner Forderung wert in einer selbstreflexiven, modernen und offenen Gesellschaft. Aber ich glaube, ich muß zum Arzt: Ich habe Utopie.

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