FORVM, No. 263/264
November
1975

Planwirtschaft
von rechts?
von links?

Friedrich Pollock: Stadien des Kapitalismus. Herausgegeben und eingeleitet von Helmut Dubiel. C. H. Beck, München 1975,134 Seiten, DM 14,80, öS 114

Brecht gegen Pollock

Am 28. Juli 1943 schreibt Brecht in sein Arbeitsjournal, anläßlich von Mussolinis Sturz habe er die „Tuis“ des Instituts für Sozialforschung spöttisch gefragt, „was nunmehr mit ihrem Ökonomen Pollock geschehen würde, der ein faschistisches Jahrhundert erwartete, an die Planwirtschaft der deutschen Bourgeoisie glaubte usw. ... Als ich vor einem Jahr ihnen meine Meinung entwickelte, daß es sich in Deutschland um nichts als eine oberflächliche Kriegswirtschaft handelt, mit sehr wenig echter Koordination, sehr fahrigem Eingriff des Staats in die Wirtschaft, zogen sie nur die Augenbrauen hoch.“

Das vorliegende Buch mit vier Aufsätzen Friedrich Pollocks aus den Jahren 1932, 1933 und 1941 beleuchtet den Hintergrund dieser Kontroverse. Pollocks Studien über den Staatskapitalismus bilden, wie der Herausgeber in der Einleitung bemerkt, den politökonomischen Unterbau für den politischen Pessimismus der „Dialektik der Aufklärung“ von 1944. Die Totalitarismustheorie Adornos und Horkheimers erhielt im Kontext des kalten Krieges eine scheinbar klar antikommunistische Pointe. Tatsächlich wurde aber gerade dem liberalen Kapitalismus der autoritäre Staat — eine despotische Planwirtschaft von rechts — als unausweichliche Zukunft prophezeit. „Was zu Ende geht, ist nicht der Kapitalismus, sondern nur seine liberale Phase“, nimmt Pollock 1933 die zentrale These der „Dialektik der Aufklärung“ vorweg. „Ökonomisch, politisch und kulturell wird es in Zukunft für die Mehrzahl der Menschen immer weniger Freiheiten geben“ (p. 68).

Wie eine Antwort auf die heutige Neue Rechte, die unter der Flagge des Liberalismus segelt, auf Typen wie Helmut Schmidt oder Franz Joseph Strauß, mutet Pollocks Feststellung aus dem Jahr 1941 an: „Wenn unsere Annahme von dem nahen Ende des Privatkapitalismus richtig ist, so kann der tapferste Kampf um seine Erhaltung ... unter Umständen sogar dem Totalitarismus auf die Beine helfen“ (p. 73). Pollocks Studien zur Ökonomie des Faschismus gehen ebenso wie die „Dialektik der Aufklärung“ und Adornos „Minima Moralia“ von dem Axiom aus, die klassenlose Gesellschaft sei hier und jetzt objektiv möglich — was allerdings fehlt, ist der subjektive Faktor, und deshalb werde der real mögliche Sozialismus zum Staatskapitalismus pervertiert. Diese fatalistische Haltung, bislang ein Opfer der linken Kritik, gerät gegenwärtig ins Schußfeld der Neuen Rechten, der das Gespenst einer kapitalistischen Planwirtschaft keineswegs behaglich ist. Der Spieß wird umgedreht und die „Dialektik der Aufklärung“ zur Beute ihrer eigenen Totalitarismustheorie. Alexander Schwan zieht einen kompromittierenden Vergleich: „Wie für Heidegger das Ge-stell der Technik, so ist für Adorno und Horkheimer das Zeitalter der Aufklärung im ‚Wesen‘ totalitär. Das ist es jedoch nur deshalb, weil es von den Autoren schablonenhaft so total darauf fixiert wird.“ [1]

Eine solche Kritik, die natürlich weniger den gutbürgerlichen Existenzialphilosophen als die unorthodoxen Marxisten treffen will, ignoriert den springenden Punkt: klagt doch die „Dialektik der Aufklärung“ nicht über ein dumpfes Ge-schick, sie bedauert vielmehr die Integration der Arbeiter in einen „totalen“ Staatskapitalismus, wie er von Pollock als ökonomischer „Idealtypus“ konstruiert worden war. Auf diese Konstruktion könnten sich heute sowohl die (der DKP zugerechneten) Stamokap-Theoretiker als auch die konträre (unter den Jusos dominierende) Staatstheorie von Jürgen Habermas und Claus Offe berufen.

Trotz der reichlichen Polemik gegen die „Frankfurter“ Totalitarismustheorie leben ihre Voraussetzungen in der Diskussion um Staat und Kapitalismus weiter, in der die neoleninistische Orthodoxie mit dem linken Revisionismus die Klingen kreuzt. Pollock lehrte — wie heute der „Revisionist“ Habermas — die Unterordnung des ökonomischen Kalküls unter die politische Herrschaft und stellte damit den historischen Materialismus auf den Kopf, während er andrerseits — wie der „orthodoxe“ Stamokap — die Verschmelzung politischer, militärischer und bürokratischer Macht mit den ökonomischen Potenzen der Monopole behauptete.

Was ist Staatskapitalismus?

Zweideutig sind beide Positionen. Wie in der Totalitarismus- und Konvergenztheorie werden die Divergenzen zwischen den Gesellschaftsformen fast unmerklich verwischt. Stamokap will die Planwirtschaft der Monopole durch bloßen Firmenwechsel in den Sozialismus überführen; Habermas, wie Pollock „den Übergang von einer vorwiegend wirtschaftlichen zu einer im wesentlichen politischen Ära“ (p. 80) unterstellend, hält anscheinend eine Umwälzung im Rahmen des bürgerlichen Rechtsstaates für möglich.

Schon rein logisch ist der Begriff des Staatskapitalismus eine Monstrosität sofern man unter ihm nicht, wie Lenin, das staatliche Eigentum an Betrieben versteht, die sich ansonsten weitgehend privatkapitalistisch verhalten (die Verstaatlichte Industrie in Österreich). Anders der Staatskapitalismus Pollocks: er beseitigt keineswegs das Privateigentum an den Produktionsmitteln, der Staat darf sich „nur“ die Unternehmerfunktion der Besitzer aneignen. Pollock deutet jedoch an, daß ein auf den Rentierstatus reduziertes Bürgertum über kurz oder lang verschwinden würde — bringt uns also der Staatskapitalismus auf dem Umweg einer Revolution von oben die klassenlose Gesellschaft? Pollock lehnt diese Schlußfolgerung ab, in ihr zeigt sich aber die ganze Problematik seiner Konstruktion.

Hier rächt sich die fehlende marxistische Auseinandersetzung mit der Planwirtschaft unter politischen und soziologischen Gesichtspunkten. So bewegt sich auch Pollocks Pionierarbeit über „Die planwirtschaftlichen Versuche in der Sowjetunion“ aus dem Jahr 1929 vornehmlich auf dem Boden einer detaillierten ökonomischen und administrativen Pragmatik. [2] Hingegen haben die grundsätzlichen Ausführungen von Pollocks vorliegendem Buch über Klassen, Plan und Markt einen schematischen, ja fast algebraischen Charakter. Die überscharfe Stilisierung der Begriffe — eher kantianisch als dialektisch — verdinglicht gewisse Trends des Monopolkapitalismus (z.B. die Rolle der Staatsinterventionen) zu staatskapitalistischen „Tatsachen“.

Pollocks Auffassung der Konkurrenz (als Gegenteil des Plans) orientiert sich mehr an Thomas Hobbes und dessen „Kampf aller gegen alle“ als am wirklichen Verhalten der Kapitalisten, denen doch bereits Adam Smith die Vorliebe für Kartelle und Monopole vorgeworfen hat. Es besteht eine paradoxe Ähnlichkeit zwischen Pollocks schematischer Auffassung von Markt und Konkürrenz und dem reaktionären Ordo-Liberalismus Walter Euckens, der nach 1945 in der BRD die Philosophie des „Wirtschaftswunders“ lieferte; Eucken und Pollock teilen den pedantischen Hang zu einer ahistorischen, klassifizierenden Typologie der Wirtschaftsformen, die nur zu abstrusen Haarspaltereien verführt: Was ist noch Markt? Was schon Plan?

Die Vermachtung des Marktes im Dritten Reich erscheint daher als exemplarischer Fall des Staatskapitalismus. Die Monopole haben zwar durch ihre Zersetzung der Marktwirtschaft die große Krise verursacht, bereinigt werden konnte sie aber nach Pollocks Meinung nur durch eine staatliche Planwirtschaft, welche die kapitalistischen Eigentümer zu bloßen Parasiten degradiert. An die Stelle „egoistischer“ Kapitalisten treten Technokraten, die den Profit ihren politischen Zielen unterordnen. Pollock schreibt über den Staat Hitlers: „Das Interesse der herrschenden Gruppe als Ganzes entscheidet, nicht das individuelle Interesse derer, die die Gruppe bilden“ (p. 78). Das sei das historisch Neue am Staatskapitalismus, im Gegensatz zur Anarchie des klassischen Kapitalismus.

Investitionslenkung

Aber genau diesen angeblich typisch „staatskapitalistischen“ Sachverhalt hat Marx schon an der Marktwirtschaft unter dem Begriff des „Gesamtkapitalisten“ erfaßt, zu dem sich die einzelnen Unternehmer wie die Aktionäre zur AG verhalten. In Rosa Luxemburgs Worten: „Was für den Einzelkapitalisten völlig Hekuba, wird für den Gesamtkapitalisten ernste Sorge“ — z. B. der gesellschaftliche Gebrauchswert. [3] Luxemburgs Kritik der bürgerlichen Nationalökonomie in ihrem Buch „Die Akkumulation des Kapitals“ weist nach, daß die gesellschaftliche Reproduktion — also die Kontinuität der Produktion — vom Standpunkt des Einzelkapitalisten und seines Konkurrenzverhaltens aus unverständlich bleibt. Mit dem Begriff des Gesamtkapitalisten transzendiert Marx die Ideologie der reinen Konkurrenz, die strenggenommen lediglich auf einen fiktiven Zustand kleiner Warenproduzenten ohne Lohnarbeiter zutreffen könnte, also auf ein System, das eben nicht kapitalistisch ist. Schon der Bau der Eisenbahnen im 19. Jahrhundert wäre unter puristischen Konkurrenzbedingungen unmöglich gewesen.

Das Modell des Gesamtkapitalisten — unter dem sich Marx die Verteilung des Profits vorstellte, während der Plan den Profit höchstens als Anreiz benützt — reicht durchaus als ökonomische Erklärung des Dritten Reichs. Wie Charles Bettelheim erläutert, diente die nationalsozialistische Kartellpolitik, die allerdings die Freiheit des Unternehmers empfindlich beschränkte, der Stabilisierung des Profits, nicht seiner Verwandlung in ein Instrument des Plans: „Die Preisfestsetzung schmälerte also nicht den Gesamtprofit der Kapitalisten, sondern organisierte nur die Verteilung des Gesamtprofits zugunsten der Monopolkapitalisten um.“ [4] Denn einerseits bilden die Monopole und ihre Investitionen den Motor der Wirtschaft, andrerseits sind sie es, die zuerst in der Krise bewegungsunfähig werden.

Pollock selbst wies schon 1933 auf die geringe Elastizität der Monopole hin, die durch den hohen Anteil fixer Kosten daran gehindert werden, sich in Krisenzeiten einer sinkenden Nachfrage ohne mörderische Verluste anzupassen: daher ihr Streben, „mit allen erdenklichen Mitteln den Konkurrenzmechanismus innerhalb und womöglich auch außerhalb der Landesgrenzen für sich selbst auszuschalten. Das einzige dem Liberalismus zur Verfügung stehende konjunkturpolitische Mittel, die ‚Diskontschraube‘, ist gegenüber den für die großen Einheiten auf dem Spiele stehenden Gewinnen und Verlusten ohnmächtig. Durch einen derartigen Widerstand werden die Disproportionalitäten, die ohnedies entstehen müssen, bedeutend verschärft“ (p. 48).

Unter monopolistischen Bedingungen gewinnt die ökonomische Kategorie des „Gesamtkapitalisten“ eine unmittelbar politische Dimension, die Pollock hartnäckig mit kapitalistischer Staatsplanung verwechselt. So geht es bei der aktuellen Kontroverse um die „Investitionslenkung“ in der BRD zentral um die „Disproportionalitäten“ der verschiedenen Branchen (z.B. der Bauwirtschaft oder der Autoindustrie), die man durch „sektorale Steuerung“ in den Griff bekommen will. [5] Diese Renaissance der faschistischen Kartellpolitik (nicht das Eigentum oder der Profit des Unternehmers sollen angetastet werden) bringt aber noch lange keine staatskapitalistische Planung im Sinne Pollocks mit sich. Ob es zur Investitionslenkung kommt, wie sie öffentlich vor allem von Stamokap-Linken und Habermas-Anhängern verlangt (und inoffiziell auch in Unternehmer-Kreisen diskutiert wird), hängt natürlich in letzter Instanz von der Finanzlage des Großkapitals ab.

Alfred Sohn-Rethel beschreibt in seinem Buch über „Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus“ [6] analoge Vorgänge am Ende der Weimarer Republik, die man nur aus der engen Verflechtung innerhalb des deutschen „Gesamtkapitalisten“ verstehen kann. Ursprünglich wurde Hitler durch die vom Bankrott bedrängten industriellen Hintermänner der „Harzburger Front“ unterstützt (die „Fronde der faulen Debitoren‘“). Doch mußte sich schließlich auch das „gesunde“ Kapital, teilweise gegen seine direkten Interessen (etwa im Export), dieser Verzweiflungspolitik anschließen, um weitere große Bankrotte — wie den spektakulären Zusammenbruch des Textilkonzerns Nordwolle 1931 — zu verhindern, die über die Banken das ganze deutsche Wirtschaftssystem mit hineingezogen hätten.

Vielleicht dachte Pollock an den Zusammenbruch der Nordwolle, als er 1932 den „garantierten“ Kapitalismus voraussagte: „Heute sind viele Unternehmungen ... so riesenhaft angewachsen, daß keine Staatsgewalt ... ihren Untergang untätig mit ansehen kann. Von einer bestimmten Größe des Kapitals an darf das Unternehmen zwar den Gewinn noch für sich beanspruchen, das Risiko aber auf die Masse der Steuerzahler abwälzen“ (p. 24). Aus diesem Grund dämmt die moderne Konjunkturpolitik auch die an sich unvermeidlichen „Reinigungskrisen“ rechtzeitig ein: deren heilsame Rolle in der Beseitigung der Disproportionalitäten zwischen den unkontrolliert wuchernden Produktionszweigen soll eben durch die strenge Hygiene der Investitionslenkung übernommen werden. Das Problem des gesellschaftlichen Gebrauchswertes, vom Einzelkapitalisten zynisch negiert, erscheint mystifiziert in den ökologischen Visionen einer planetarischen Umwelt-Katastrophe.

Wer zahlt, schafft an

Die „Identität“ des Staats mit dem Monopolkapital trägt keinen konspirativen Charakter. Die Kapitalisten delegieren an den Staat die volle Verantwortung für das Funktionieren der ökonomischen Randbedingungen. Wie die Regierung das schafft, darüber dürfen sich Politiker den eigenen Kopf zerbrechen. Diese „Autonomie der Politik“ erlaubt es Bankern und Unternehmern, bei einem bösen Ende ihre schmutzigen Hände in Unschuld zu waschen. Die Monopole sparen gewiß nicht mit guten Ratschlägen (siehe die Wehrwirtschaftspläne [7] der IG Farben 1935): doch ein oligarchisches Machtkartell in der Fasson des „Staatsmonopolkapitals“ — vom lupenreinen Staatskapitalismus ganz zu schweigen — wäre unter allen Umständen einfach unpraktikabel.

Eine sozialdemokratische Regierung, wenn sie an der Vollbeschäftigung hängt, ist von den Monopolen viel abhängiger als eine konservative, der ein paar Prozent Arbeitslose Wurst sind. Darin, und nicht in Oberflächenphänomenen wie der Regulierung des Marktes, liegt der Unterschied zum 19. Jahrhundert. Aber eine zu große Intimität der „Wirtschaft“ mit dem Staat hätte explosive Konsequenzen. Deshalb ist die Therapie gegen die Krise für den politischen Status quo ebenso gefährlich wie die Krise selbst. Absurderweise sind es heute (trotz Sonthofen) gerade die konservativen Krisenmacher um Strauß, Schmidt, Friderichs und Apel, die — wie Brüning 1931 — durch ihre Roßkuren die bürgerliche parlamentarische Demokratie verteidigen, welche auf die Dauer schwerlich mit einem System der Investitionslenkung koexistieren könnte. Bevor man sich an solche — noch gar nicht im Sinne Pollocks „staatskapitalistische“ — Experimente wagt, müßte erst die politische Machtfrage ausgekämpft werden: wer bezahlt wessen Schulden?

Die Planmacht des Staats findet ihre Grenzen an seiner Finanzkraft, und diese hängt ihrerseits ab von der Verteilung des Eigentums. Das monopolkapitalistische System der „Sozialisierung der Verluste“, wie es zuerst Hitler im großen Maßstab praktizierte, ist etwas ganz anderes als das Phantom einer staatskapitalistischen Planwirtschaft, an deren Realisierbarkeit 1932 auch Pollock zweifelte. 1941 jedoch schreibt er, „daß der Nationalsozialismus im Begriff ist, eine neue Wirtschaftsordnung aufzubauen, in der der Markt durch den Befehl ersetzt wird“ (p. 109).

Von der „Befehlswirtschaft“ erwartet sich Pollock Wunderdinge. Er riskiert die Behauptung, „daß unter dem Staatskapitalismus Nationalökonomie als Sozialwissenschaft ihren Gegenstand verloren hat. Wirtschaftsprobleme im alten Sinn existieren nicht mehr, wenn die Gleichschaltung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten ... durch bewußte Planung erreicht wird“ (p. 91). So hoch hätte sich höchstens Stalin verstiegen, der ja nun wirklich Planwirtschaft größten Stils machte. Zwar konzediert Pollock: „Planung in Nazi-Deutschland ist ein bloßes Flickwerk von kurzfristigen Maßnahmen“ (p. 106). Auch will Hitler auf keinen Fall die Eigentumsordnung antasten. Aber nach Pollocks Meinung über das Dritte Reich „sind die Tatsachen im Begriffe, die alte Ordnung zu zerstören ... alle fundamentalen Konzepte und Institutionen des Kapitalismus haben ihre Funktion geändert“ (p. 106). Genau das war der Anspruch der faschistischen Propaganda, wenn sie pharisäisch gegen die westliche „Plutokratie‘‘ wetterte!

Offensichtlich wird dabei die tatsächliche Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus ignoriert, die Finanzierungskünste Hjalmar Schachts mit ihren Clearingabkommen, Rüstungsanleihen, Sonderwechseln und Steuergutscheinen. In diesem System einer spiralenförmigen Staatsverschuldung bestanden die von Pollock so bewunderten Mittel der Befehiswirtschaft, „um die wirtschaftlichen Ursachen von Depression, kumulativer destruktiver Prozesse und Unterbeschäftigung von Kapital und Arbeit auszuschalten“ (p. 117). Zuerst in den „Arisierungen“ und dann im Krieg entpuppte sich die angebliche Befehlswirtschaft der Nazis als eine wahre Borg- und Raubwirtschaft, die auf Pump und durch Erpressungen lebte.

Während ein Abenteurer wie Napoleon III. die Politik der Pariser Börse machte, hatte Hitlers abenteuerlich bonapartistische Politik den Charakter eines überdimensionalen Börsenmanövers à la hausse, in dem man mit Werten spekuliert, über die der Spekulant gar nicht verfügt. Die krebsartig wuchernde Staatsverschuldung des Dritten Reichs — 1939 deckten die langsam wachsenden Steuereinnahmen nur rund 60 Prozent der rapid zunehmenden Staatsschuld — war der Preis einer Wirtschaftspolitik, die mittels der Aufrüstung dem deutschen Kapital „künstliche Binnenmärkte“ als Surrogat für den Verlust der Massenkaufkraft und des Warenexports bereitgestellt hatte. Analog dazu steht heute in der BRD hinter dem Konzept der „Investitionslenkung“ der nicht ausgesprochene Gedanke, den bedrohten Export und die niedrig gehaltene Kaufkraft durch öffentliche Investitionen im Sozialsektor wettzumachen.

Totalitarismustheorie

Auch „rein ökonomisch“ geben die Eigentumsverhältnisse den Ausschlag und nicht primär die Alternative: Markt oder Plan? Pollock läßt sich freilich vom nationalsozialistischen „Vierjahresplan“ beeindrucken: „Selbst den mächtigsten Konzernen hat man das Recht aberkannt, neue Geschäftszweige dort zu errichten, wo die höchsten Profite zu erwarten sind ... gegenüber einer solchen Entscheidung ist der Eigentumstitel machtlos“ (p. 103). Sicherlich, der faschistische Staat durfte anschaffen, solange er zahlen konnte. Ohne Krieg hätte Hitler allerdings den Rubikon überschreiten und seine Gläubiger — in erster Linie das deutsche Finanzkapital — expropriieren müssen. Dann wäre er aber kein Faschist, das Dritte Reich jedoch eine Diktatur des Proletariats gewesen.

Wie konnte Pollock, Marxist und Emigrant, den nationalsozialistischen „Staatskapitalismus“ für das ökonomische Ei des Columbus halten? Aus dem Modell der sowjetischen Planwirtschaft zog Pollock auch für bürgerliche Verhältnisse die Lehre, daß eine rücksichtslose Zentralisierung der politischen Macht „eine Partei an der Regierung, die anderen im Gefängnis‘‘ — ohne weiteres die Anarchie der Konkurrenz bewältigen und somit Wirtschaftswunder bewirken könne. Die Produktionsverhältnisse sind egal: denn die kapitalistischen Störenfriede würden einfach „mit nicht zu kleinen Pensionen“ in den Ruhestand versetzt, indes schon längst anonyme Manager die wirklichen Unternehmerfunktionen okkupiert hätten. [8] Ein ähnlich monolithisches Bild von einer faschistischen Transformation der Wirtschaft, nur politisch viel kräftiger akzentuiert, gab in den dreißiger Jahren Simone Weil. Sie prognostizierte „eine neue unterdrückende Klasse, unabhängig von jedem Eigentumsmonopol“ [9] — die Kaste der Technokraten, die am Fließband den bildungsstolzen und selbstbewußten Facharbeiter, das revolutionäre Subjekt der Arbeiterbewegungen, durch ein Neoproletariat aus fügsamen, weil jedes Wissens beraubten Arbeitstieren ersetzt.

Jene dem Bolschewismus wie dem Faschismus gemeinsame Kombination wirtschaftlicher Erfolge mit einer blutrünstigen Despotie jagte den westlichen Marxisten die panische Angst ein, „ob der Nachfolger des kapitalistischen Regimes nicht eher ein neues Unterdrückungssystem wird ... Das Ideal einer im ökonomischen und politischen Bereich durch Kooperation der Arbeiter verwalteten Gesellschaft leitet kaum noch irgendeine Massenbewegung, Sei sie nun spontan oder organisiert.“ [10] Unter marxistischem Vorzeichen wurde Max Webers apokalyptische Vision vom „Gehäuse der Hörigkeit“ erneuert, in das sich mit dem Verschwinden des Privatkapitalisten die bürgerliche Gesellschaft nach dem Vorbild des Pharaonenstaats allmählich verwandle. Habermas, der den politischen Fortschritt von der ökonomischen Entwicklung trennt, folgt Pollocks Konzeption der „Befehlswirtschaft“: im Spätkapitalismus stünden „Gesellschaft und Staat nicht länger in einem Verhältnis, das die Marxsche Theorie als das von Basis und Überbau bestimmt hatte“. [11] Aus dieser Umkehrung des historischen Materialismus zieht Stamokap die logische (wenn auch von Habermas bestrittene) Konsequenz: die unmittelbare politische Herrschaft der Monopoikapitalisten über den Staat und damit die Gesamtwirtschaft.

Arbeiter besiegen Stalin

So verschieden in Form und Inhalt die „Pläne“ Hitlers und Stalins auch waren, beide scheiterten indirekt an der jeweils dominierenden Klasse. Die Nazis am Wucher des deutschen Finanzkapitals, unter dessen „Zinsknechtschaft“ sie sich willig beugten; die kommunistischen Ambitionen des Stalinismus an dem von ihm selbst massenhaft erzeugten russischen Proletariat, dessen „Egoismus“ sich zäh gegen die Parolen behauptete. Eine eklatante Lücke in Pollocks schematischer Darstellung der Planwirtschaft ist das Fehlen der Arbeiter, ihrer industriellen und ökonomischen Rolle. Schon 1929, in seinem Buch über „Die planwirtschaftlichen Versuche in der Sowjetunion“, nahm Pollock bedenkenlos den Standpunkt der bolschewistischen Staatspartei ein, die sich damals zum Allein-Unternehmer aufwarf und damit mehr wurde als nur Avantgarde des Proletariats: nämlich sein Schöpfer. 1941, in seiner Idolatrie des „Staatskapitalismus“, beschönigt Pollock die sowjetischen Fehlschläge mit „der ungenügenden Entwicklung der Produktivkräfte, d.h. der Arbeiter“ (p. 92).

Trotz seiner politischen Distanz zum System Stalins vertritt Pollock die Prinzipien der stalinistischen Ökonomie, in welcher Rita di Leo „eine utopistische Fabel über den Plan als Alternative der Arbeiterklasse zum Kapitalismus“ [12] erkennt. Wie die sowjetischen Ideologen versteht Pollock das Eigentum nur als juristische Kategorie, nicht als das tiefgreifende gesellschaftliche Produktionsverhältnis. Hier kommt der linke Ökonomismus ins Spiel, der seine Kritik auf die Anarchie der Markt- und Konkurrenzwirtschaft konzentriert und in ihr die Erbsünde des Kapitals anprangert. Unter dieser Voraussetzung durfte die stalinistische Theorie mit der Einführung der Planwirtschaft das Problem des Mehrwerts und der Ausbeutung in der Sowjetökonomie für erledigt, den Sozialismus hingegen für verwirklicht halten.

Kommt es in der Hauptsache auf den Plan an, warum sollte sich dann nicht auch das Bürgertum an diesem Zopf aus dem Sumpf ziehen? Es ist ganz „bolschewistisch“, wenn Pollock dem Privateigentum jede Bedeutung für den Staatskapitalismus abspricht; bereits Anfang der zwanziger Jahre hatte Bucharin in seiner „Ökonomik der Transformationsperiode“ verwandte Gedanken entwickelt. Wie die stalinistischen Wissenschaftler sieht Pollock im Geld und in der Preisform innerhalb der Planwirtschaft nur Instrumente „im Sinne bloßer Verrechnungsmittel“, was die Abrogation des Wertgesetzes impliziert. „Die arbeitsteilig verbundenen Betriebe müssen miteinander abrechnen, und soweit den Konsumenten ihr Einkommen nicht in Naturalien zugewiesen wird, braucht man ein Mittel zur Verrechnung dieser Einkommen“ (p. 37). Pollock akzeptiert damit eine willkürliche Festsetzung der Preise, was dem Stalinschen Konzept der „teleologischen“ Planung entspricht, die sich — im Gegensatz zur „kausalen‘“ Planmethode — in erster Linie an den Planzielen orientiert und lediglich mit Gebrauchswerten kalkuliert.

Marx brauchte seine Theorie des Arbeitswerts, um die Distribution des Gesellschaftsprodukts unter den Klassen zu erklären: der Mehrwert ist Ausdruck der Ausbeutung. Gilt das Wertgesetz auch im Sozialismus? Während der zwanziger Jahre hatten trotzkistische Nationalökonomen wie Preobrashensky das heikle Thema der Ausbeutung und des Mehrwerts in der „sozialistischen Akkumulation“ diskutiert. Dagegen dekretierte Stalin: im Sozialismus gibt es keinen Mehrwert, die Arbeiter sind mit dem Staat identisch, der Planer kann den Lohnfonds nach Gutdünken festlegen. Die Problematik des Wertgesetzes — also die Frage: Wie teuer muß die Arbeitskraft sein? — wurde durch Ukas entschieden. Hatte noch Bucharin offenherzig die Frühphase des Sozialismus als „Raubwirtschaft“ denunziert, so wurde der erste Fünfjahresplan unter der Devise einer strikten Befehlswirtschaft gestartet. Diese zugleich politische und ökonomische Strategie wird in Pollocks Konstruktion des Staatskapitalismus kodifiziert.

Stachanov rettet Plan

Es waren die Arbeiter, die durch ihre „Unbescheidenheit“ dem Praktiker Stalin und dem Theoretiker Pollock einen Strich durch die allzu glatte Rechnung machten, das Wertgesetz ins Leben zurückriefen und sich damit gegen die von der Partei verleugnete Ausbeutung wehrten. 1942, also mitten im Krieg und ein Jahr nach Pollocks Studie über den „Staatskapitalismus“, mußte Stalin in einer „Konversation“ mit sowjetischen Nationalökonomen dieses Faktum auch theoretisch akzeptieren.

Auf dem Papier hatte Pollock das Problem der Distribution im Rahmen des „teleologischen“ Plans elegant gelöst: „Das Gesamteinkommen, das den Verbrauchern ausbezahlt wird, abzüglich Steuern, erzwungenen und freiwilligen Sparbeträgen, muß gleich hoch sein wie die Summe der Preise aller Konsumgüter, die zum Verkauf stehen ... Der erste Schritt zur Verteilung der Konsumgüter ist daher, daß das ‚Netto‘-Einkommen aller Verbraucher in einer gegebenen Periode gleich der Gesamtproduktion aller Verbrauchsgüter, wie sie von dem Gesamtplan festgesetzt und mit den vorhandenen Produktionsmitteln erreichbar ist“ (pp. 87/88). Schwierigkeiten erwartete sich Pollock lediglich von einer zu großen oder zu kleinen Sparquote und von überraschend wechselnden Konsumpräferenzen, die die Preise der Güter quasi auf einem „grauen Markt“ über Gebühr hinauftreiben und damit die Kalkulationen der Planer durcheinanderbringen könnten.

Worauf Pollock nicht kam, war die Steigerung der Arbeitereinkommen über den im Plan vorgesehenen Lohnfonds. Hier liegt der wunde Punkt des Systems. Die Parole vom Primat der Politik sabotierend, verhielten sich die sowjetischen Arbeiter durchaus „trade-unionistisch“ auch ohne Unterstützung durch die verstaatlichte Gewerkschaft. Umsonst ist der Tod! Die Betriebsleiter erkauften die Arbeitsleistung mit ungeplanten Lohnerhöhungen: unter dem Druck des Plansolls erschütterten sie das System der Verrechnungspreise, also die Basis der Planwirtschaft. Die offizielle Version: „In einigen Arbeitszweigen stieg der Arbeitslohn mitunter schneller an als die Arbeitsproduktivität. Das wirkte sich negativ auf die Arbeit der Betriebe aus, hemmte die Kostensenkung und führte zu einer Überziehung des im Plan festgesetzten Lohnfonds.“ [13] Tatsächlich wurde die Planwirtschaft ausgehöhlt: Stalins Antwort war der sowjetische Taylorismus, seine erste und brutalste Form das Stachanov-System.

Mit der Einführung des Leistungslohns wurde die ideologische Identität der Arbeiter mit dem Staatssozialismus liquidiert und ein Weg eingeschlagen, der heute in der „sozialistischen Marktwirtschaft“ endet. Nach der Interpretation Rita di Leos „setzte die Tatsache, daß die Unterordnung der Arbeiter unter das quantitative Prinzip mit Geld erkauft wurde, jeder Zweideutigkeit ein Ende. Deshalb kann man den Stachanovismus auch als Sieg der Arbeiterklasse über das sowjetische System, über die Ideologie des Sozialismus und über die Partei als Bewußtsein bezeichnen; und zwar in dem Sinne, ... daß durch die Stachanov-Methoden das Verhältnis auf seine nackte Substanz reduziert wurde: Ware Arbeitskraft auf der einen und die Bedingungen für ihren Gebrauch auf der anderen Seite.“ [14] In der Ware Arbeitskraft liegen die Grenzen jeder Befehlswirtschaft, die sich erst in der Sklaverei realisieren könnte — also sicherlich nicht unter industriellen Bedingungen.

[1Denken im Schatten des Nihilismus. Festschrift für Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1975, p. 270

[2Jetzt wieder im Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1971

[3Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Berlin 1923, p. 45

[4Charles Bettelheim, Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus, München (Trikont) 1974, p. 73

[5Spiegel-Gespräch mit dem Frankfurter Oberbürgermeister Rudi Arndt: Spiegel vom 29. September 1975

[6Alfred Sohn-Rethel, Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus, Frankfurt 1973

[7Vgl. Karl Heinz Roth, Die „andere“ Arbeiterbewegung, München 1974, p. 282ff

[8Jose Baptista, Von der Kapitalbürokratie zur Sozialbürokratie, in: NEUES FORVM, September/Oktober 1974, pp. 40ff

[9Simone Weil, Unterdrückung und Freiheit. Politische Schriften, München 1975, p. 127

[10Simone Weil, op. cit., p. 121

[11Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt 1969, p. 75

[12Rita di Leo, Die Arbeiter und das sowjetische System. Die Entwicklung von Klassenstrukturen und Klassenherrschaft in der UdSSR, München (Trikont) 1970, p. 131

[13Woroschilow, Wyschinski u.a. (Hrsg.), Enzyklopädie der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, Berlin 1950, Spalte 1173

[14Rita di Leo, op. cit., p. 109

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