Amelie Lanier, 2. Abschnitt
November
2011
21.11.2011

Protokoll 14

3. Kauf und Verkauf der Arbeitskraft

Der Mehrwert, der auf dem Markt erzielt wird, kann also weder aus bloßen Preisaufschlägen noch aus ehrlich investierter Arbeit der Verkäufer selbst entstehen. Also muß es eine Ware geben, die es in sich trägt, Wertsteigerung zu schaffen.
Da wir bereits wissen, daß mit Arbeit Wert zugesetzt wird, so kann es nur eine Ware sein, die es in sich hat, Arbeit zu verrichten. Diese Ware ist die Arbeitskraft. Diese muß selbst als Ware auf dem Markt vorfindlich sein, um ihre Rolle erfüllen zu können:

Die Veränderung muß sich also zutragen mit der Ware, die im ersten Akt G - W gekauft wird, aber nicht mit ihrem Wert, denn es werden Äquivalente ausgetauscht, die Ware wird zu ihrem Werte bezahlt. Die Veränderung kann also nur entspringen aus ihrem Gebrauchswert als solchem, d.h. aus ihrem Verbrauch.

(S 181, 2. Absatz)

deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein

(S 181, 2. Absatz)

„Quelle“ heißt eben nicht sowas wie eine Goldmine, sondern damit die Gewinn abwirft, muß man Arbeitskraft hineinstecken. Weil von selber sprudelt die eben nicht.

Erzeugt Sklavenarbeit auch Mehrwert?
Ja und nein. Erstens bringt der Sklave natürlich dem Besitzer mehr ein, als er ihn kostet, sonst wäre die ganze Sklaverei witzlos. Zweitens ist der Sklave ja gar nicht der Besitzer seiner eigenen Arbeitskraft, kann sie daher auch nicht verkaufen.
Der Umstand, daß die Anwendung der Arbeitskraft im Kapitalismus effizienter und zweitens unvereinbar mit Sklavenarbeit ist, hat den amerikanischen Bürgerkrieg verursacht.

Aber klärt das irgendwas darüber, wie die Arbeitskraft im Kapitalismus vorkommt, wenn man sich mit vorkapitalistischen Produktionsformen beschäftigt?

Dazu einmal ein Zitat von jemandem, der gemeinhin nicht mit dem Kapital in Verbindung gebracht wird:

Sklaven und Arbeiter. – Daß wir mehr Wert auf Befriedigung der Eitelkeit als auf alles übrige Wohlbefinden (Sicherheit, Unterkommen, Vergnügen aller Art) legen, zeigt sich in einem lächerlichen Grade daran, daß jedermann (abgesehen von politischen Gründen) die Aufhebung der Sklaverei wünscht und es aufs ärgste verabscheut, Menschen in diese Lage zu bringen: während jeder sich sagen muß, daß die Sklaven in allen Beziehungen sicherer und glücklicher leben als der moderne Arbeiter, daß Sklavenarbeit sehr wenig Arbeit im Verhältnis zu der des »Arbeiters« ist. Man protestiert im Namen der »Menschenwürde«: das ist aber, schlichter ausgedrückt, jene liebe Eitelkeit, welche das Nicht-gleichgestellt-sein, das Öffentlich-niedriger-geschätzt-werden als das härteste Los empfindet.

(Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, KSA 2/296)

Alles andere, was in der Debatte noch gesagt wurde zu „Fairness“, „gerecht“ und „Äquivalententausch“ ist hier noch nicht Gegenstand. Außerdem sollte man nicht die ökonomischen Bestimmungen, die hier abgehandelt sind, mit den moralischen Sichtweisen, die es zu ihnen gibt, durcheinanderbringen.

Die in der Debatte gemachte Feststellung, Marx „rechtfertige“ hier (S 183, 2. Absatz) die Differenz zwischen gezahltem Lohn und erlöstem Gewinn, ist abwegig, aber vermutlich nicht ganz unüblich in der Kapital-Rezeption. In diesem Absatz geht es gar nicht um Lohn oder die Anwendung des Arbeiters, sondern nur um ein paar Kleinigkeiten der Produktion für Verkauf, auf die Marx hier hinweisen will: Zum Beispiel darauf, daß ein Mensch Produktionsmittel braucht, die er ja auch erst einmal am Markt erwerben muß. Und sowohl die Produktions- als auch Verkaufszeit, die er auch irgendwie aus eigenen Mitteln überbrücken muß, bis er sein Zeug verscherbelt hat. Es wird also darauf hingewiesen, daß man, um zu produzieren, Geld haben muß, und nicht jeder so ohne weiteres Schuster oder Schneider werden kann. Und einer solchen Klasse von Menschen, die keine Produktionsmittel und kein Geld haben, um sie sich zu kaufen, sind nötig, damit man Arbeitskraft als Ware [*] vorfinden kann:

Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.

(S 183, 2. Absatz)

Der Verweis auf den Kredit ist zwar nicht ganz verkehrt, aber auch hier geht es wieder nicht um das, was an dieser Stelle im Buch Thema ist.

Der Unterschied zwischen Sklaven und freien Lohnarbeitern ist doch nicht die „Motivation“! Lauter Sozio- und Psychologen und Gruppendynamiker sitzen hier herum! Den Sklaven muß man zwingen und beaufsichtigen, alle Unkosten für ihn tragen, für ihn Geld zahlen – beim Freien ist das alles das Problem des Hacklers, wie er mit seinem Lohn zurechtkommt.
Das ist nicht nur eine Kosten-Ertrags-Kalkulation, sondern geht an das Eingemachte des ganzen Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit, das eben auf der Freiheit des Individuums, und damit auch auf der Freiwilligkeit beruht. Das ist doch ganz was anderes, als daß man dauernd hinter jedem her sein muß und schauen, daß er nicht faulenzt, nix kaputt macht, und keine Aufstände plant. Da braucht man mehr Aufsichtspersonal als Arbeiter. Man darf ja nicht vergessen, daß es auf jeden Fall ein Gewaltverhältnis ist, wenn einer den anderen für sich arbeiten läßt.
Ein anderes Argument ist später auch in der Diskussion gefallen: Der Markt kann sich unter den Bedingungen der Sklaverei nicht entwickeln, weil die Sklaven als Konsumenten ziemlich wegfallen – sie kriegen nur das zugetelt, was ihr Besitzer für sie erwirbt.
(Das war der Hauptgrund für den amerikanischen Bürgerkrieg: Der industrialisierte Norden fand im Süden einen eingeschränkten Markt für seine Produkte.)

Der Absatz S 183/184, daß es ein Charakteristikum der kapitalistischen Gesellschaft ist, daß die Warenproduktion den überwiegenden Teil der Produktion erfaßt hat, ist auch wieder nur eine Rückerinnerung an den 1. Abschnitt.
Jetzt wird hier daran angeknüpft und darauf hingewiesen, was das für den Eigentumslosen heißt: Nicht nur die Produktionsmittel, sondern alles muß er am Markt kaufen. Er braucht also Geld.

Was ist hiermit gemeint:

Die Darstellung des Produkts als Ware bedingt eine so weit entwickelte Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft, daß die Scheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, die im unmittelbaren Tauschhandel erst beginnt, bereits vollzogen ist. Eine solche Entwicklungsstufe ist aber den geschichtlich verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen gemein.

(S 184, 1. Absatz)

??

Das heißt doch soviel wie: Warenproduktion gab es schon öfter, und zwar so, daß sie den größten Teil der Produktion umfaßt hat.
Das stimmt nicht: für das europäische Mittelalter, bzw. nicht einmal bis ins 18. Jahrhundert, sondern beginnt erst mit dem Merkantilismus. In den Städten gabs Warenproduktion, aber am Land kaum.
Es stimmt nicht für die vorkolonialen Gesellschaften Amerikas.
Es stimmt nicht für China.
Vielleicht trifft es, wie S. erwähnt hat, fürs Römische Reich zu. (Man denke an Asterix und die Märkte von Lutetia ...)
Aber abgesehen davon, worauf es sich bezieht, soll wohl nur gesagt sein: Umfassende Warenproduktion ist noch nicht Kapitalismus, Und, was hier an dieser Stelle wichtig ist: Es ist zwar eine Voraussetzung dafür, daß auch Arbeitskraft zur Ware wird, letzteres ist aber keine notwendige Folge des Warenaustausches, sondern da muß noch einiges andere geschehen (Konzentration von Reichtum in einer Hand, völliger Ausschluß von allen Gütern, vor allem dem Boden, auf der anderen Seite.)

Der Fehler der Debatte mit dem Schlosser ist, daß er zwar für 10 Pfund einkauft und 10 braucht, um sich zu reproduzieren, aber ob ers für 20 loswird, hängt davon ab, wieviel Arbeit er zugesetzt hat, und inwiefern das ges. notw. durchsch. Arbeitszeit ist. Es ist nicht sein Bedürfnis, das den Preis bestimmt, sondern seine Arbeitsleistung. Der Wert, den er zugesetzt hat, ist die aufgewendete Arbeit. Er erlöst den Preis, den er dann am Markt kriegt, nicht den, den er gern hätte.
Alle weitere Debatte mit dem Äquivalententausch fußt auf dieser Verwechslung von Reproduktionskosten zu zugesetztem Wert. Und genau das ist es ja, was der Mehrwertproduktion zugrundeliegt: Daß die Ware Arbeitskraft mehr Wert erzeugt, als sie zu ihrer Reproduktion benötigt. Dazu wiederum braucht es eine durchrationalisierte Produktion, die Stückkosten und damit die die Dinge des täglichen Bedarfs verbilligt, dadurch die Reproduktionskosten senkt, während sie gleichzeitig die Warenmenge erhöht. Die Details dazu stehen aber im Rest des Buches, das sollte man nicht hier abhandeln.

(„Selbstausbeutung“ ist, da geb ich L. recht, ein verkehrter Begriff. Wenn man mehr verdient, als man zum Leben braucht – wie ist das übrigens zu entscheiden? – so hat man halt ein gutes Auskommen, aber keine „Ausbeutung“ betrieben. Noch dazu wird der Begriff doch immer auf Leute in kleinen Klitschen angewendet, die eigentlich nur gerade so notdürftig über die Runden kommen, weil ihre Arbeit im Vergleich zur durchgesetzten Durchschnittsarbeitszeit unproduktiv bzw. minderproduktiv ist.
Der Selfmademan hingegen, der mit einem 1-Mann-Betrieb ein Vermögen macht, und dann zum erfolgreichen Unternehmer wird, den gibt’s nur deshalb, weil er in einer Sparte tätig wird, wo es keine Konkurrenz gibt und er ein Pionier ist. Er lauft eben außer Konkurrenz.)

Bei Lehrlingsausbildung bitte auch nicht immer Zünfte und kapitalistische Produktion durcheinanderbringen. Das Problem beim Lehrling heute ist doch, daß man aus ihm nicht so viel herausholen kann, und auf ihn Zeit verwenden muß. Deshalb wird die Lehrlingsausbildung auch subventioniert, bzw. für überflüssig erklärt, indem die Bedingungen für Konzessionen gelockert, also auch die ungelernten Arbeiter auf dem Facharbeitermarkt zugelassen werden.
(Die Zünfte waren eben, genauso wie die Sklaven, Behinderungen der Freiheit der Unternehmer wie der Arbeiter, deswegen sind sie untergegangen.)

Es wär halt schlauer, man täte sich erstens beim Lesen des Kapitals auf das zu besinnen, was bereits klar ist, und dann an dem weiterzumachen, und an dem herumzuüberlegen, was gerade im Buch dasteht, – und nicht etwas anderes erklären zu wollen, wie das Funktionieren eines kapitalistischen Betriebs oder den Kredit, was erst viel später Thema ist und genau erläutert wird. Weil so debattiert man an einem Absatz eine Stunde und kommt nicht weiter.

Aussage in der Debatte: „Die Unterscheidung zwischen Gebrauchs- und Verkaufs(= Tausch.)wert macht ja nur dann Sinn, wenn du der bist, der das Ding selber hergestellt hat.“
Nein. In der Ware ist völlig ausgelöscht, wie sie zustandegekommen ist. Sie ist ein nützliches Ding für den Konsumenten, und er muß für sie etwas berappen. Fertig.
Die Art, wie sie hergestellt wird, ist Gegenstand der restlichen paar 100 Seiten dieses Buches.

Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also seine Existenz voraus.

(S 185 ganz oben ff.)

Der Mensch, der Arbeiter muß da sein, das ist klar. Aber er muß auch im Besitz seiner Arbeitskraft sein, also frei, und er muß imstande sein, sie einzusetzen, also halbwegs gesund. (Alles keine Selbstverständlichkeiten unter der Bedingung, daß dieses Individuum gleichzeitig nix hat, wovon es leben kann, außer seiner Anwendung durch einen Käufer.)
Die Frage nach dem „vorher“ klärt hier (wie woanders auch) nix.

Zum Wert der Ware Arbeitskraft sind sowohls Ms Bemerkung, daß das ganz am Anfang bei „einfacher“ und „komplizierter“ Arbeit bereits Thema war, und Js Hinweis, daß diese Unkosten bei der Wertsteigerung dieser Ware der Staat trägt, wichtig: Deswegen kriegen manche Leute für ihre Arbeit mehr bezahlt, obwohl sie genauso Lohnarbeiter sind.
(Das mit dem Staat ist übrigens bei uns so, aber z.B. in GB und den USA nicht: Da muß man einen Kredit aufnehmen, um eine Ausbildung zu finanzieren. Also da werden schon die Leute selbst zur Kasse gebeten, um für sich oder ihren Nachwuchs die Investition in die Ware Arbeitskraft zu finanzieren, die dann vom Kapital in Form des Gehalts abgegolten werden, weil diese Arbeitskräfte für sie wichtig sind für die Produktion von Mehrwert. Daß hierzulande diese Kosten – noch? – vom Staat getragen werden, ist eben Standortpolitik, seit der Kreisky-Ära.)
Aus all dem ergibt sich die Notwendigkeit des Sozialstaats, also des staatlichen Eingriffs: Der Unternehmer möchte billige, willige und auch gut ausgebildete Arbeitskräfte vorfinden, die Löhne, die er zahlt, reichen jedoch nicht für die Reproduktion der Arbeiterklasse nach den Ansprüchen des Kapitals: ungelernte, Facharbeiter, Ingenieure usw. Also springt der Staat ein und übernimmt die Unkosten, die die Ausbildung der Lohnarbeiterklasse erfordert. Das ist die Erklärung des staatlichen Bildungswesens.
(In der heutigen globalisierten Welt schaut das wieder anders aus, wo sich das Kapital locker an den Vorgaben und Angeboten der ganzen Welt bedienen kann, z.B. in Indien, wo es jede Menge von ausgebildeten Leuten gibt, die noch dazu die Weltsprache Englisch auf muttersprachlichem Niveau beherrschen.
Die gut ausgebildeten Leute in Indien streben übrigens nicht nach Europa, wie die diesbezügliche Offensive gezeigt hat, weil sie dadurch für sich nix gewinnen. Auch in Indien ist der Kapitalismus angekommen, und bietet gute Jobs für gut ausgebildete Leute.)

Die Reproduktionskosten sind auch sehr flexibel, wie man derzeit an Griechenland ff. sehen kann: Die Löhne, Pensionen usw. werden gekürzt, ohne daß die Preise sinken.

Fortpflanzung und Bildung (S. 185 unten, S. 186 oben): Es ist nicht so, daß der Staat hier „noch nicht vorkommt“, also theoretisch noch nicht zum Thema gemacht worden wäre, sondern daß zu Marx’ Zeiten das wirklich noch ausschließliches Problem der Individuen war.

Zur Schulpflicht in England, die ja auch noch gegen die Kinderarbeit durchgesetzt werden mußte:

Das ist was anderes als Abstraktionen, die gemacht werden, um den Fortgang des Gedankens zu erleichtern.
Den Sozialstaat, der sich aller möglichen Abteilungen zum Erhalt der Arbeiterklasse annimmt, entsteht erst im 20. Jahrhundert und oft waren es deklarierte Anhänger von Marx, die ihn durchgesetzt haben. Es war eben ihre (Sozialdemokraten und Bolschewiken) Kritik nicht die, daß die Lohnarbeit dem Arbeiter schadet, sondern im Gegenteil, daß sie ihn adelt und er dafür auch angemessen belohnt und auf die Schulter gklopft gehört.

(Exkurs zur Debatte über den Realsozialismus: Der Begriff ist eine Erfindung Honeckers, der dann allgemein in den Bruderstaaten und auch im Westen übernommen wurde, in Abgrenzung zum Kommunismus. Die Idee Honeckers war die, daß man nicht immer herummeckern soll, daß der Übergang zum Kommunismus nicht so richtig hinhaut, was solls, was immer wir gemacht haben, ist gut, weil es gibt es wenigstens, es ist real, alles andere, alle Kritik ist bloß Theorie, Idealismus, Sektierertum. So viel zum „real“. Der Begriff „Sozialismus“ hingegen ist eine derartige Leerformel, daß er auf alles von der Gratis-Schulbuchaktion bis hin zur Verstaatlichung der Produktionsbetriebe, von Reformen im Gesundheitswesen bis zu Gewerkschaftsforderungen nach mehr Lohn angewendet werden kann und auch wird. Sich also darauf zu versteifen, daß er doch etwas „ganz anderes“ – was eigentlich? – bezeichnet, ist irgendwie unzeitgemäß.
In westlichen Debatten und Publikationen ist dieser Begriff von denjenigen verwendet worden, die ihren Kommunismusbegriff vom sowjetischen System ff. abgrenzen wollten, während die bürgerliche Presse die SU gerade als den miesen „Kommunismus“ anprangerte, vor dem man die Jugend und die Arbeiterschaft zu schützen habe.)

Das nächste: Man macht als Revolutionär nach geglückter Revolutions erst etwas ganz anderes, als man eigentlich will, und bezeichnet das als „Übergang“, ist sowieso schon eine verfehlte Strategie. Aber noch verräterischer ist der Begriff des „utopischen“ Sozialismus, den Engels erfunden hat, um Fourier, Saint Simon und Owen zu seinen und Marx „Vorläufern“ zu erklären. In der Rezeption heißt diese Schrift ein Schatzkastl des Marxismus.

(Und noch ein Exkurs: Der „KSV“ in Deutschland war die Studentenvereinigung der KPD und das waren eher Maoisten, zum Unterschied von der moskautreuen DKP, deren Studentenvereinigung der MSB Spartakus war. )

Zurück zum Buch:

Gesetzt, in dieser für den Durchschnittstag nötigen Warenmasse steckten 6 Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in der Arbeitskraft täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen Produktion der Arbeitskraft erheischt.

(S 186/187)

Offenbar war damals eine 12-Stunden-Arbeitstag üblich? Was, wenn es wahr ist, in der Tat sehr ruinös auf die Gesundheit des Arbeiters gewirkt haben muß.

Wenn sich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer Goldmasse von 3 sh. oder einem Taler darstellt, so ist ein Taler der dem Tauschwert der Arbeitskraft entsprechende Preis. Bietet der Besitzer der Arbeitskraft sie feil für einen Taler täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Wert und, nach unsrer Voraussetzung, zahlt der auf Verwandlung seiner Taler in Kapital erpichte Geldbesitzer diesen Wert.

(S 187, 1. Absatz)

Hier ist irgendwie nicht ganz richtig dargestellt, wer das Subjekt der Lohnhöhe ist: Es ist wohl nicht der Arbeiter, der sagt: Das und das brauch ich, her damit! – sondern der Unternehmer, der sagt: Das kriegst du, und damit mußt du auskommen!

Der Fehler von dem Rossi-Zitat liegt in den Worten „ während des Produktionsprozesses“ – er wirft irgendwie Arbeit und Arbeitsvermögen, -kraft durcheinander. Der Arbeiter reproduziert sich ja (bis auf die Jause) gerade außerhalb des Produktionsprozesses, dafür braucht er den Lohn. Den kriegt er aber nicht für sein Arbeitsvermögen, sondern für dessen Anwendung.

„Der Arbeiter kreditiert den Kapitalisten“ stimmt schon, weil er kriegt ja den Lohn nicht im voraus, sondern am Monatsende. Da hat er aber schon jede Menge Arbeit abgeliefert.
Bei der Miete ist umgekehrt: Die muß man bezahlen, bevor man das Mietobjekt konsumiert hat, und eine Kaution auch gleich noch dazu.
Für den Warentausch im Sinne dessen, daß hier Äquivalente getauscht werden und niemand übers Ohr gehaut wird, ist dieses zeitliche Auseinanderfallen von Lohn und Leistung zwar gleichgültig, es weist aber, genauso wie bei der Miete, darauf hin, wer das Subjekt dieses Tausches ist, daß sich hier zwar rechtlich Gleichgestellte, ökonomisch aber nicht Gleiche gegenübertreten.

Die feine Ironie der Idylle zwischen den beiden ungleichen Vertretern der kapitalistischen Gesellschaft ist eben dann perfekt, wenn man in der Sphäre der Zirkulation verbleibt, wie Bentham und andere Freunde der Marktwirtschaft. Deswegen, um weitere Geheimnisse dieser Gesellschaft zu lüften, muß man sich jetzt der Produktion zuwenden, und schauen, was dort geschieht.

Zur anschließenden Kraut und Rüben-Diskussion:

Ich würde nicht so einfach sagen, daß es „verschiedene“ Begriffe z.B. von Freiheit gibt, weil da führt sich ein Begriff ad absurdum, wenn jeder sich was anderes dazu denken kann. Der Begriff der Freiheit ist ein schwieriger, weil er sehr viel einschließt. Aber worauf Marx hier hinweisen will, ist doch das Moment der Freiwilligkeit, das dem Lohnarbeitsverhältnis innewohnt und es so angenehm für den Unternehmer macht. Heute gilt doch der Arbeitgeber richtig als Wohltäter, der seine Schäfchen vor Not und Elend schützt.
Menschenrechtsaktivisten hängen sich doch auch immer daran auf, daß wer verhaftet wird, Gewalt ausgesetzt ist, bedroht wird usw., also seine Freiheit eingeschränkt ist.
Dieses arbeitsdienstartige Verhältnis in Ungarn, das S. erwähnt, ist ja gerade keine Lohnarbeit, und was man so mitkriegt, eigentlich auch keine nützliche, noch weniger für irgendjemanden gewinnbringende Arbeit, sondern eine reine Beschäftigungstherapie.
Der Staat springt auch nicht ein, um die Leute in die Fabrik zu schleppen. Er hat eine Polizei, um Diebstahl und andere rechtsverstöße zu ahnden, Gefängnisse, um die Leute zu bestrafen, usw. Er hat es gar nicht in der Hand, Leute in Arbeit zu setzen – das ist immer ein Ergebnis der Kalkulation der Unternehmer. Wenn deshalb ein Politiker verspricht, Arbeitsplätze zu schaffen, so lügt er.

Die Gewalt des Staates schützt die Eigentumsordnung im weitesten Sinne, aber auch das ist hier nicht das Thema, sondern einmal das Kapitalverhältnis als solches der Privatsubjekte. Und da soll man sich an dem abarbeiten, was dasteht, und nicht an dem, was nicht dasteht. 

„Der Staat dient nie dem Volk“ – stimmt nicht, weil das Volk definiert sich ja über den Staat, und da gehören die Staatsdiener und die Kapitalisten auch dazu, denen der sehr wohl dient. Aber auch andere, weniger begünstigte Volksteile fühlen sich offenbar von ihm gut bedient, deshalb bestätigen sie ihn mehrheitlich ja bei jeder Wahl.

Bei der Verbrechensbekämpfung betätigt sich der Staat nur insofern, als er den Rechtsbruch bestraft, aber nicht, indem er das Verbrechen verhindert, ja nicht einmal, indem ein materieller Schaden ersetzt wird. Bei Eifersuchts- und anderen Morden zeigt sich doch genau, daß der Staat das nicht verhindern kann. Wenn man genauer nachschaut, so kann man doch sehen, daß er mit Familien- und Ehegesetzgebung dergleichen sogar befördert.

Ein „Nutzen“ ist schließlich bei einem Mord aus Leidenschaft wirklich nicht zu erkennen. Also eine Nutzenkalkulation als Motivation von allem und jedem zu behaupten, führt sich gerade an diesem Beispiel ad absurdum.

[*Damit auch ich eine Abweichung vom Thema machen kann und nicht nur ihr die ganze Hetz habt: In Griechenland, das sich nach ’45 gegen eine und auf den Ruinen einer kommunistische(n) Aufstandsarmee konstituiert hat, war diese massenhafte Proletarisierung nicht durchzuziehen: Jeder klammerte sich irgendwie an eine Scholle, eine Werkstatt, ein Fischerboot, oder ging in den Staatsdienst, und das ist einer der Gründe, warum Griechenland als Standort nie attraktiv für das internationale – und nicht einmal für das nationale – Kapital war.

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