Amelie Lanier, 3. Abschnitt
Februar
2012
26.2.2012

Protokoll 19

2. Darstellung des Produktenwerts in proportionellen Teilen des Produkts

Die ganze Rechnerei lauft zunächst einmal nur darauf hinaus, daß bisher getrennt wurde zwischen konstantem und variablen Kapital nach der Herkunft dieser Produktionselemente. Jetzt trennt man einfach im Endprodukt nach Anteilen.

20 Pfund Garn = 30 sh. 1 Pfund Garn ist also 1 1/2 sh. wert
Davon 24 sh. konstantes Kapital, 6 sh. zugesetzte Arbeit, aufgeteilt in 3 sh. notwendige & 3 sh. Mehrarbeit.
Der Unternehmer investiert also 27 sh., und erhält 30. Das Verhältnis Vorschuß : Überschuß ist daher 9 : 1.

Also 24/30 = 4/5 c, 1/5 v. Umgerechnet auf die Garnmenge: 16 Pfund c, 4 Pfund v.
Die 16 Pfund teilt er jetzt wieder in 13 1/3 Rohmaterial und 2 2/3 Spindelabnützung, oder von den
24 sh. c sind 20 sh. Rohstoff und 4 sh. Abnützung.
Für 20 Pfund Garn sind 20 Pfund Baumwolle als Rohstoff vonnöten, ein Pfund Baumwolle kostet also 1 sh.

Wenn der Spinner in 12 Stunden 6 sh. abstrakte Arbeit zugesetzt hat, so sind in den ganzen 30 sh. 5 x 12 = 60 Stunden verausgabt.
Die Arbeitsstunde schafft also 1/2 sh. an Wert. Kosten tut sie allerdings nur die Hälfte, 1/4 sh.

Der Kapitalist verausgabt also für ein Pfund Baumwolle 1 sh., für den Abnützungs-Kleinkram 1/5 sh. pro Pfund Baumwolle, eine Stunde Arbeit 1/4 sh.

(Vielleicht wäre alles einfacher mit Dezimalstellen ...)

In den ersten 8 Stunden, um dem Beispiel auf S. 237 zu folgen, verspinnt der Arbeiter also 13 1/3 Pfund Baumwolle à 13 1/3 sh. und konsumiert 2 2/3 sh. Spindel usw. und der Unternehmer zahlt 2 sh. Lohn, macht 18 sh.Ausgaben, und erhält einen Garnwert von 20 sh. Das Verhältnis Vorschuß : Überschuß ist daher immer noch 9 : 1.
Aber wenn er das auf die Endsumme von 30 sh. umrechnet, so hat er inzwischen Garn im Gegenwert von 20 sh. in der Hand. Dann muß der Arbeiter noch die restlichen investierten 7 sh. abarbeiten, das stellt sich wieder in Arbeit als weitere (beinahe) 3 Stunden dar, (erhaltene Garnmenge mal aufgewendeter Zeit mal Garnwert) und so kommt der Spinnereifabrikant zu dem Schluß, daß er erst in derletzten Stundeder Anwendung der Arbeitskraft Gewinn macht – weil er sie erst heraus-, dann wieder hineinrechnet. (Er bedenkt nämlich nicht, daß er in 8 oder 11 Stunden Arbeitszeit weniger Geld investieren müßte, weil er weniger c + v verbrauchen würde.)

Es wird auch hier so getan, als ob der Arbeiter 11 Stunden langden ganzen Wert schaffen und nicht nur seine Arbeitskraft zusetzen würde, während er in der 12 Stunde alles aus dem Nichts erschafft.
Für diese Art von Argumentation ist die Grundlage die unbegriffene Unterscheidung (siehe voriges, 6. Kapitel) zwischen übertragener und neu zugesetzterArbeit, die nicht zur Kenntnis nehmen will, daß in den aus den Kolonien angelieferten Rohstoffen auch bereits Arbeit drinsteckt.

Diese Art von mathematischen Rechenkunststücken ist dann beliebt und wird nachgefragt, wenn irgendwelche „Sykophanten“ (das sind Leute, die ins GULAG gehören) gegen Arbeitszeitverkürzung alles nur Erdenkliche ins Feld führen wollen:

3. Seniors „Letzte Stunde“

Clauren, um auch dieses Mißverständnis zu klären, war eine Art Rosamunde Pilcher zu Marx’ Zeiten und steht für Groschenromane, und Senior ist also ein Groschenroman-Ökonom, der süßlich den Fabriksherren nach dem Mund redet und deshalb von denen als Koryphäe verehrt wird.

Der Factory Act, der hier erwähnt wird, war offenbar das erste Gesetz zur Beschränkung von Kinderarbeit, und dagegen zogen die Fabriksherren sofort zu Felde, Herrn Seniors spitze Feder zu Hilfe nehmend.
Die Rechnereien, die nun folgen, sind ein schönes Beispiel für den Mißbrauch der Mathematik für sehr unsympathische Zwecke. Es geht darin um genau das gleiche wie oben, nur werden hier auch noch absichtlich möglichst komplizierte Bruchzahlen verwendet, um erstens vom Nachrechnen abzuschrecken und zweitens den Eindruck zu erwecken, hier wäre jemand besonders gründlich zu Werk gegangen.
Diese Art von Spiegelfechterei ist auch heute noch sehr in der Nationalökonomiebeliebt, wo z.B. völlig erfundene Größen oder aus dem Ärmel geschüttelte Modelle sehr genau und kompliziert berechnet werden.

Der Verweis auf heutige Arbeitszeits-Debatten ist nicht ganz absurd, weil im Rahmen des sogenannten Durchrechungszeitraums sehr wohl die Normalarbeitszeit zuungunsten der höher bezahlten Überstunden verlängert wird. Man denke auch an die Debatte über die Anhebung des Pensionsalters und die Lohnnebenkosten, wo die Lebensarbeitszeit verlängert und die Pensionsberechtigung für den Arbeiter/Angestellten erschwert, für Staat und Kapital verbilligt wird.

(Mehrwert: Heute gibt es zwar eine „Mehrwertsteuer“, aber in der Nationalökonomie wird diese Kategorie nicht verwendet, da hat J. recht, weil dieser Begriff ja auf derArbeitswertlehre aufbaut, die heute in der Volkswirtschaft abgelehnt wird.)

Wo hat der Kapitalist objektiv einen Nachteil, wenn er weniger Arbeitsstunden anwendet?
Auch das hatten wir auch schon einmal, im vorigen Kapitel.

Wenn er weniger Zeit arbeiten läßt, so stehen die Arbeitsgeräte herum und geben keinen Wert ab. Darum gibt es Schichtarbeit, damit die immer ausgelastet sind.

Zweitens – auch da erinnere ich wieder an früheres, wie im 5. und 6. Kapitel erwähnt: Wird der gleiche Lohn gezahlt, aber weniger gearbeitet, so verschiebt sich – auf dem derzeitigen Stand der Analyse, wo die Reproduktionskosten der Arbeitskraft als fix vorausgesetzt sind – das Verhältnis zwischen notwendiger und Mehrarbeit zu ungunsten des Kapitalisten, und seinGewinn verringert sich. Es ist also nicht falsch, daß Senior meint, Arbeitszeitverkürzung schade dem Unternehmer, sondern nur, wie er diesen Schaden berechnet. Nämlich nicht anhand des wirklichen Exploitationsgrades der Arbeit (6 : 6 bzw. 5 3/4 : 5 3/4), sondern einer verkehrten Berechnung, welche ihn viel geringer (10 1/2 : 1) erscheinen läßt. Dadurch würde der Mehrwert sich nicht bloß verringern, sondern ganz verschwinden.

4. Das Mehrprodukt

wird hier nur gesondert erwähnt, um für den Rest des Buches den Begriff einzuführen, da dies der Teil des Endproduktes ist, der bestimmt, wieviel Reichtum die Kapitalistenklasse aus der Anwendung fremder Arbeit an sich ziehen kann.

Nach diesen Ausführungen, die zeigen, wie sehr die Fabrikanten an jeder Arbeitsstunde hängen, die sie sich aneignen können, ist es angebracht, sich der Betrachtung dessen zuzuwenden, wie sich der Klassenkampf an der Länge des Arbeitstages entwickelt.