Amelie Lanier, 4. Abschnitt
Januar
2013
13.1.2013

Protokoll 29

Maschinerie und große Industrie 4, Kapitel 13/3-5

13. Kapitel: Maschinerie und große Industrie

3. Nächste Wirkungen des maschinenmäßigen Betriebs auf den Arbeiter

c) Intensifikation der Arbeit

Die Intensifikation der Arbeit führt zu einer Veränderung der Maßeinheit des Wertes, der Arbeitszeit:

Diese Zusammenpressung einer größren Masse Arbeit in eine gegebne Zeitperiode zählt jetzt als was sie ist, als größres Arbeitsquantum. Neben das Maß der Arbeitszeit als „ausgedehnter Größe“ tritt jetzt das Maß ihres Verdichtungsgrads. Die intensivere Stunde des zehnstündigen Arbeitstags enthält jetzt so viel oder mehr Arbeit, d.h. verausgabte Arbeitskraft, als die porösere Stunde des zwölfstündigen Arbeitstags.

(S 432/433)

Eine Arbeitsstunde schafft jetzt mehr Wert, weil in sie mehr Arbeit hineingepreßt wird – selbstverständlich erst dann, wenn sich diese neue Intensität als gesamtgesellschaftlicher Durchschnitt etabliert hat.

Es fragt sich nun, wie wird die Arbeit intensifiziert?
Die erste Wirkung des verkürzten Arbeitstags beruht auf dem selbstverständlichen Gesetz, daß die Wirkungsfähigkeit der Arbeitskraft im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Wirkungszeit steht. Es wird daher, innerhalb gewisser Grenzen, am Grad der Kraftäußerung gewonnen, was an ihrer Dauer verlorengeht.

(S 433, Absatz 2&3)

Es läßt also bei längerer Arbeitszeit die Konzentration in einem Maße nach, das durch Arbeitszeitverkürzung wettgemacht werden kann. Der Normalarbeitstag hat sich offenbar nach dem Prinzip von Trial and Error eingependelt, neben Protesten und Gesetzgebung.

Die Frage taucht auf, wie eigentlich die ursprüngliche Arbeitszeit zustandegekommen ist, bevor das Ringen um seine Verkürzung begonnen hat. Wurden die Leute gleich zu einem 12-stündigen Arbeitstag eingestellt, weil sie dergleichen aus der Landwirtschaft gewohnt waren? Oder wurde kürzer angefangen und dann der Arbeitstag bis an die Schranke des Machbaren verlängert?
Die Obergrenze des Arbeitstags, wie Marx früher festgehalten hat, wird durch die Natur vorgegeben. In die andere Richtung hingegen ist die Untergrenze ein Ergebnis des Wechselspiels der gesellschaftlichen Kräfte.

Auf jeden Fall ist es offensichtlich ein bewährtes Mittel, durch Einführung des Stücklohns die „Motivation“ des Arbeiters zu steigern und sich dadurch Kontrolle oder Maschinerie zu sparen. (Die Fabriken Gardners waren Textilfabriken.)
Die weiteren Ausführungen sind nur Bebilderung, wie die Intensität der Arbeit meßbar zunimmt, indem viel mehr Arbeitsschritte in gleicher Zeit vollzogen werden.

Es folgt die Analyse der Organisation dieser Intensivierung:

4. Die Fabrik

Zwei Beschreibungen der Automatisierung, die sich widersprechen:

In dem einen erscheint der kombinierte Gesamtarbeiter oder gesellschaftliche Arbeitskörper als übergreifendes Subjekt und der mechanische Automat als Objekt; in dem andren ist der Automat selbst das Subjekt, und die Arbeiter sind nur als bewußte Organe seinen bewußtlosen Organen beigeordnet und mit denselben der zentralen Bewegungskraft untergeordnet. Der erstere Ausdruck gilt von jeder möglichen Anwendung der Maschinerie im großen, der andre charakterisiert ihre kapitalistische Anwendung und daher das moderne Fabriksystem.

(S 441, Absatz 3-5)

Beim ersteren wendet der Mensch die Maschine an, im zweiten die Maschine den Menschen. Damit findet Emanzipation von Geschicklichkeit bzw. Spezialisierung statt. Die einzigen Unterschiede bleiben Körperkraft oder -größe.
Die Frage stellt sich: läßt sich das so trennen? Die automatisierte Fabrik kommt unter der Herrschaft des Kapitals zustande – läßt sich deren Umkehrung so einfach bewerkstelligen? Oder werden dann die dort Arbeitenden auch zum Anhängsel der Maschine, diesmal zum höheren und „besseren“ Ziel der „Produktivität“ oder „Versorgung der Gesellschaft“?
Umgekehrt ist es natürlich wichtig, den technischen Fortschritt nicht ganz auf den Misthaufen zu werfen, wie manche Aussteiger es proklamieren, und mit Maß und Ziel einzusetzen, sofern sich einmal eine Gelegenheit bieten sollte.

Das „Relaissystem“ [1] war in der Tat der Vorläufer der Schichtarbeit, anfänglich nur für Kinder.

Was ist gemeint mit:

Diese Teilung der Arbeit ist rein technisch.

(S 443, Absatz 2)

??

Zum Unterschied von früher erwähnten Grundlagen der Arbeitsteilung, wie Spezialisierung oder natürliche Unterschiede, bestimmt sich hier aus den Notwendigkeiten der Maschinenbedienung, wer was zu machen hat, und wofür man sogar Kinder einsetzen kann. Die technische Arbeitsteilung ist daher die angemessene dort, wo der Mensch Anhängsel der Maschine ist.

Einiges an Nachdenken bereitet das Zitat Ures:

Selbst heutzutage, wo das System in seiner ganzen Vollendung organisiert ist, ist es fast unmöglich, unter den Arbeitern, die das Alter der Mannbarkeit zurückgelegt haben, nützliche Gehilfen für das automatische System zu finden.

(S 447, Absatz 2)

Wieso das?
Hat es nicht gerade geheißen, als Anhängsel der Maschine kann jeder funktionieren, nach kurzer Anlernzeit?
Oder sind Aufseher gemeint, die „Industrieunteroffiziere“?

Der britisch-amerikanische Geograph David Harvey bemerkt in seinem Kapital-Kommentar dazu, Marx habe die Fabrik als eine (unangenehmes) Form der gesellschaftlichen Organisation im Kapitalismus betrachtet, und sich dabei von den Beschreibungen Engels’ der Textilfabriken von Manchester beeinflussen lassen. Außerdem habe er die Schriften von Ure und Babbage zu ernst genommen in dem Sinne, als ob sie nicht fromme Wünsche darüber geäußert hätten, wie eine Fabrik funktionieren solle, sondern genau beschrieben hätten, wie eine Fabrik beschaffen ist.
Und da meint Harvey, dieses Modell der vollautomatisierten Fabrik sei schon damals nicht die einzige Verlaufsform der maschinellen Produktion gewesen. Birmingham war das Zentrum der metallverarbeitenden und in deren Gefolge vieler anderer Industrien, die dezentral, mit vielen kleinen Werkstätten und dann irgendwelchen Zusammenbau-Hallen organisiert waren – so wie es Marx im Kapitel über die Manufaktur bei der Uhrenindustrie besprochen hat. Dieses Modell hat sich bis heute auch gehalten und weiterentwickelt, siehe Japans Erfolgsweg nach 1945, oder die Autoindustrie heute. Für manche Produkte erweist sich offenbar als zielführender, sie nicht an einem Ort vollautomatisch herzustellen.
Es ist also unrichtig, wenn Marx unter „Die Fabrik“ nur diese große Produktionskaserne anführt. Das ist keine nebensächliche Frage, der Art, Marx hätte hier was „vergessen“ oder so.

Anlaß für Mißverständnisse geben erstens diese und ähnliche Formulierungen:

Der Fabrikkodex, worin das Kapital seine Autokratie über seine Arbeiter, ohne die sonst vom Bürgertum so beliebte Teilung der Gewalten und das noch beliebtere Repräsentativsystem, privatgesetzlich und eigenherrlich formuliert, ist nur die kapitalistische Karikatur der gesellschaftlichen Reglung des Arbeitsprozesses, welche nötig wird mit der Kooperation auf großer Stufenleiter und der Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel, namentlich der Maschinerie.

(S 447, Absatz 3)

Man könnte hier herauslesen oder besser hineinlesen, daß kapitalistische Organisation der Arbeit und die Demokratie in einem Widerspruch zueinander stehen und deswegen fordern, daß im Interesse einer vollständigen Durchsetzung der Demokratie der Kapitalismus bekämpft gehört. Kritik am Kapital vom Standpunkt der „wahren, echten“ Demokratie, – leider sehr bekannt.

Zweitens wurde diese Art von Fabrik auch im Realen Sozialismus als „Modell“ für Fortschritt und Produktivität angesehen. Mit dem Ergebnis – unter anderem –, daß Bauindustrie und Handwerk von den Planungsbehörden als irgendwie rückständig angesehen und dort ordentlich gepfuscht wurde, weil sich diese zentrale Art der Arbeitsorganisation dorthin nicht übertragen ließ.

Der Bemerkung von Ch., daß es wohl angemessen war, sich die Textilindustrie zum Vorbild zu nehmen, da sie die fortgeschrittenste, das „Zugpferd“ war, muß ich entgegenhalten, daß eben in den kleinen Werkstätten (z.B. James Watts bei Birmingham) die Maschinen hergestellt wurden, die dann in der Textilindustrie zur Anwendung kamen – also dies eine Arbeitsorganisation der Produktionsgüterindustrie war, die man nicht als nebensächlich vom Tisch kehren kann.

5. Kampf zwischen Arbeiter und Maschine

Rätsel gab folgender Satz auf:

Als Everet 1758 die erste vom Wasser getriebne Maschine zum Wollscheren erbaut hatte, wurde sie von 100.000 außer Arbeit gesetzten Menschen in Brand gesteckt.

(S 452, Absatz 1)

Kann eine Fabrik 100.000 Menschen außer Brot setzen? Oder war es vielleicht die erste dieser Art, und deswegen entlud sich der Volkszorn an ihr? Sind wirklich 100.000 Menschen zusammengekommen, um eine Maschine außer Gefecht zu setzen? Damals gabs ja noch keine Eisenbahnen …

Diskussion:

Gibt es den Standpunkt des Maschinenstürmers heute auch noch? Kann man eine gewisse Technologiefeindlichkeit damit vergleichen? Also den Standpunkt, daß jemand die Produktionsmittel für die Mängel der Gesellschaft verantwortlich macht, und nicht das Produktionsverhältnis selbst. Aber selbst wenn, so wird dieser Standpunkt nicht in diesem Sinne praktisch. Und auch die Technologuefeindlichkeit ist eher eine Kritik am Konsumverhalten, als an den Produktionsmitteln. Und wenn heute gegen den Verlust von Arbeitsplätzen protestieren, so richten sich die Klagen gegen untüchtige Unternehmer – „Mißmanagement“! – oder das Ausland, das „Lohndumping“ betreibt. Aber nicht gegen irgendwelche Geräte, die Leute wegrationalisieren. Im Gegenteil. Dergleichen wird doch als „Standortsicherung“ begrüßt!

Warum gab es in der Manufakturperiode keine Manufaktur-Stürmer? Weil damals ja Leute in Arbeit gesetzt und nicht durch Maschinen auf die Straße geworfen wurden.
Die Kolonien als Märkte – dort wurde die einheimische Subsistenzwirtschaft zerstört, damit sie als Markt für die maschinell hergestellten Textilerzeugnisse funktionieren konnten. Also auch dort wurden Arbeitskräfte überflüssig gemacht.
In der Manufakturperiode und der Anfangsphase der Industrie wurde nur die Produktion stetig ausgeweitet, deswegen sind die ersetzten Arbeiter nur „virtuell“ ersetzte, weil es soviele gar nicht gegeben hätte.
Die Absatzkrise zeigt sich erst bei den Fertigprodukten, während die Vorprodukte (Garn usw.) noch durch Export eine Zeitlang die ausgefallenen Abnehmer zuhause wettmachen können.

Nicht nur in Konjunkturperioden gibt es Innovationsschübe bei der Entwicklung von Maschinerie, sondern auch Krisen wirken da Wunder. So die geheimnisvolle Baumwollkrise zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges.
Wie sich durch Recherchen herausstellt, gab es erstens einen Ausführboykott der Südstaaten, die damit eine Intervention GBs zu ihren Gunsten erzwingen wollten, danach eine Blockade der Südstaaten-Häfen durch Nordstaaten-Schiffe, die mit jedem Jahr effektiver wurde. Das alles verknappte und verteuerte die Baumwolle. Gleichzeitig waren die asiatischen Märkte voll. [http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_461.htm] Die Aufgabe war, mit weniger – und auch qualitativ schlechterer – Baumwolle annähernd gleich viel und günstiger zu erzeugen. Dem verdankte sich dieser Innovationsschub.

Manche Maschinen wurden erst nach und als Reaktion auf Streiks und Arbeiteraufstände erfunden (S 459), um widerspenstige Arbeiter durch gehorsame Maschinen zu ersetzen.

[1„Unter dem Namen Relaissystem („System of Relays“; Relay heißt im Englischen wie im Französischen: das Wechseln der Postpferde auf verschiednen Stationen) wurde daher dieser „Plan“ ausgeführt, so daß z.B. von halb 6 Uhr morgens bis halb 2 Uhr nachmittags eine Reihe von Kindern zwischen 9 und 13 Jahren, von halb 2 Uhr nachmittags bis halb 9 Uhr abends eine andre Reihe vorgespannt wird usw.“ (KAPITAL, Kap 8., S 296)

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