Amelie Lanier, 4. Abschnitt
Februar
2013
16.2.2013

Protokoll 31

Maschinerie und große Industrie 6, Kapitel 13/7-8

13. Kapitel: Maschinerie und große Industrie

7. Repulsion und Attraktion von Arbeitern mit Entwicklung des Maschinenbetriebs. Krisen der Baumwollindustrie

Auf den Seiten 478-482 beschreibt Marx, wie die Kosten der Krise 1862 (zur Zeit des am. Bürgerkriegs) auf die Arbeiter abgewälzt wurden: erstens kriegten sie schlechteres Material, wurden aber nach Stücklohn bezahlt, wodurch die Zeit, die sie bei der Bearbeitung des minderwertigen Materials verloren, auf ihre Kosten ging. Zusätzlich wurde auch der Stücklohn verringert. Und sofern sie in werkseigenen Wohnungen wohnten, wurde ihnen auch noch die Miete vom Lohn abgezogen, was besonders schwer ins Gewicht fiel, wenn sie auf Kurzarbeit ohne Lohnausgleich reduziert waren. Außerdem waren die zugesetzten Ersatzstoffe gesundheitsschädlich. (Das ganze klingt ja fast wie das Strecken vom Heroin am Schwarzmarkt!) Dabei hatten diese Zusatzstoffe noch den Vorteil, das Gewebe schwerer zu machen und es konnte teurer verkauft werden, da der Preis dieser Stoffe offenbar nach Gewicht festgesetzt wurde. Um sich irgendwie über Wasser zu halten, prostituierten sich die überflüssig gemachten weiblichen Arbeitskräfte, aber nach all dem Geschilderten kann man sich auch nicht vorstellen, daß dadurch sehr viel Geld ins Haus kam.

Zu dem allen kamen die Entwicklungen auf dem Weltmarkt, weil die Konkurrenz schläft ja auch nicht:

Man findet also in den ersten 45 Jahren der britischen Baumwollindustrie, von 1770-1815, nur 5 Jahre der Krise und Stagnation, aber dies war die Periode ihres Weltmonopols. Die zweite, 48jährige Periode von 1815 bis 1863 zählt nur 20 Jahre des Wiederauflebens und der Prosperität auf 28 Jahre des Drucks und der Stagnation. Von 1815-1830 beginnt die Konkurrenz mit dem kontinentalen Europa und den Vereinigten Staaten. Seit 1833 wird Ausdehnung der asiatischen Märkte erzwungen durch „Zerstörung der Menschenrace“. Seit Widerruf der Korngesetze, von 1846 bis 1863, auf acht Jahre mittlerer Lebendigkeit und Prosperität 9 Jahre Druck und Stagnation.

(S. 482, letzter Absatz)

8. Revolutionierung von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit durch die große Industrie

Zumächst wird beschrieben, wie die Maschne in den beiden Formen der Manufaktur wirkt, um Arbeitskraft zu ersetzen. ein wenig Rätsel gibt der Satz auf:

Sofern eine einzelne Arbeitsmaschine an die Stelle der Kooperation oder der Manufaktur tritt, kann sie selbst wieder zur Grundlage handwerksmäßigen Betriebs werden.

(S. 484, 1. Absatz)

Damit ist gemeint, daß sie zwar einzelne Arbeitsgänge durch eine Maschine ersetzt, die darauf folgenden jedoch noch händisch ausgeführt werden müssen – solnge, bis dorthin auch eine Maschine erfunden wird.
Außerdem kann der Antrieb durch eine Maschine hergestellt werden, aber die eigentliche Arbeit noch händisch verrichtet werden. Das sind aber alles Zwischenstufen, über denen schon das Damoklesschwert des weiteren Ersatzes von Arbeit durch Maschinen schwebt.
Was ist von folgendem Satz zu halten?

Diese Metamorphose bleibt dort am schwierigsten, wo die manufakturmäßige Produktion des Machwerks keine Stufenfolge von Entwicklungsprozessen, sondern eine Vielheit disparater Prozesse einschließt.

(S. 484, 1. Absatz)

Wo das Produkt durch hintereinander stattfindende Arbeiten entsteht, kann man Stück für Stück Handarbeit durch Maschinen ersetzen, und dabei auch zwei oder mehr Arbeitsgänge zusammenziehen. Wo diese vielen Arbeiten gleichzeitig verrichtet werden, geht das viel schwerer – da braucht man für jeden einzelnen Arbeitsgang ein Gerät, und die muß man dann koordinieren. Man mußte hier zuerst die Arbeitsvorgänge selbst umgestalten, um sie dann maschinell ausführen zu lassen.
Auch die Hausarbeit wird verändert, weil sich die Heimarbeiter eben in Zulieferbetriebe der Fabrik verwandeln, für die sie Vorprodukte herstellen. Diese Zersplitterung der Arbeiter in Fabrik- und verstreute, aber völlig abhängige Heimarbeiter macht es einfacher, diese konkurrenzmäßige gegeneinander auszuspielen und deren Lohn weiter zu drücken. So entsteht auch eine Klasse von Revolutionierung der Manufaktur und Agrikultur die ihre abhängigen Arbeiter billiger verkaufen als die in erst zu errichtenden maschinellen Arbeitsplätzen arbeitenden Leute. Und durch die Revolutionierung der Manufaktur und Agrikultur werden immer mehr Menschen (Männer & Frauen & Kinder) überflüssig, die man für diesen Zweck einsetzen kann.

Was bedeutet dieser Satz?

Die durch den Maschinenbetrieb erst systematisch ausgebildete Ökonomisierung der Produktionsmittel, von vornherein zugleich rücksichtsloseste Verschwendung der Arbeitskraft und Raub an den normalen Voraussetzungen der Arbeitsfunktion, kehrt jetzt diese ihre antagonistische und menschenmörderische Seite um so mehr heraus, je weniger in einem Industriezweig die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit und die technische Grundlage kombinierter Arbeitsprozesse entwickelt sind.

(S. 486, 2. Absatz)

Damit ist gemeint, daß diejenigen Menschen, die dadurch überflüssig gemacht werden, daß ein bestimmter Produktionsprozeß mechanisiert wird, dorthin gehen müssen, wo noch Handarbeit nötig ist. (Man erinnere sich, das hatten wir schon! Im vorigen Kapitel, bei der Kompensationstheorie ff.) Und dort alle Arbeitsbedingungen annehmen müssen, auch wenn sie unter ihrer früheren Qualifikation sind. Das ist übrigens heute genauso. Man ersetze nur „Maschinen“ durch „Computer“ und „Internet“.

Die Ausführungen von Marx über den Handel mit Lumpen und die Arbeit in den Ziegelfabriken (S. 487-89) sind von erschreckender Aktualität. Man erinnere sich an Videos über den Altkleiderhandel, der teilweise vom Roten Kreuz zur Selbstfinanzierung betrieben wird, wo die ganzen in den Altkleider-Containern gesammelten Kleidungsstücke sortiert, gewaschen und in Ballen in die 3. Welt exportiert werden, wo sie die dortige Textilindustrie ruinieren. Oder an Berichte über Ziegeleien in China, wo auf der Straße geraubte oder den Eltern abgekaufte Kinder in Ziegelfabriken als Sklaven gehalten und dort erbarmungslos verbraucht werden.
Das Lamento über die sittliche Verkommenheit dieser Weibsbilder ist den Sorgen eines Mannes geschuldet, der selber 3 Töchter hatte. Aber es hat auch dazu beigetragen, wie ablehnend sich die sozialistische Arbeiterbewegung zum Lumpenproletariat verhalten hat, und welche puritanische Moral der Reale Sozialismus gepredigt und seiner Bevölkerung aufgenötigt hat. „Arbeiter, meidet den Schnaps!“

Diskussion

Was genau ist diese „Hausarbeit“?
Man soll sich da auch immer wieder in Erinnerung rufen, wie Marx im Kapitel über „Teilung der Arbeit und Manufaktur“ zwei Arten von Manufaktur unterscheidet: die zentralisierte und die dezentrale. Was er jetzt über die Hausarbeit schreibt, ist auf dem aufgebaut, und setzt sich fort bis in unsere Zeit. Die hier auf S. 488-89 beschriebene Hausarbeit ist eine Weiterentwicklung, wo irgendwelche Heimarbeiter Anhängsel einer mit Maschinen ausgestatteten Fabrik sind. Und da ist es ganz wurscht, ob das Männer, Frauen oder Kinder sind. Ihre Arbeit ist durch das bestimmt, was die Maschinen und der Rhythmus in der Fabrik vorgeben.
Die „Überwachung“ entsteht durch den Druck des Stücklohns, nach dem diese dezentralisierten Heimarbeiter entlohnt werden.

Die Heimarbeit scheint sehr ungesund zu sein, wie die ansteigende Rate der Schwindsucht zeigt. Außerdem wird die Heimarbeit nicht gesetzlich durch die „Fabrikakte“ geregelt, sodaß dort keiner die Arbeitsbedingungen überwacht. Die Enge und sonst unerfreuliche Ausstattung, Heizung und Belüftung dieser Räume wird erschöpfend beschrieben und läßt auch Rückschlüsse auf die damaligen Wohnverhältnisse am Land zu.

Ganz zu schweigen von der moralischen Verkommenheit der solchermaßen „Erzogenen“, wenn sie erst einmal erwachsen sind! Oh Schreck oh Graus!

Das „Trucksystem“war eine Form der Naturalentlohnung, wo die Arbeiter ihre Lebensmittel und andere Güter ihres Bedarfes aus Geschäften des Unternehmers beziehen mußten. (Dagegen bildet sich in Österreich die Konsumgenossenschaft.)

So etwas wie das Spitzenklöppeln ist der Erinnerung eines Anwesenden zufolge bei uns in den Kinderheim-Mißbrauch-Skandalen auch vorgekommen zu sein. Da wurde Heimarbeit in doppeltem Sinne angewandt, indem die Heimleiter sich durch das Vermieten der ihnen ausgelieferten Kinder für solche Jobs ein Zusatzeinkommen verschafften. Sogar in diesem Detail ist also das „Kapital“ sehr aktuell.
Folgender Satz ist nicht ganz so einfach zu verstehen, wie Marx meint:

Man fängt an zu verstehn, wozu die Maschinerie so ungeheure Produktenmassen hervorzaubern und so ungeheure Arbeitermassen „freisetzen“ hilft.

(S. 494, 2. Absatz)

Erstens einmal, warum „wozu“ und nicht „wodurch“? Die vorher angeführten Zahlen sagen ja nur aus, daß sehr viele Leute in diesen stickigen Behausungen mit Heimarbeit beschäftigt sind. Die sieht man sozusagen gar nicht, wenn man sein Auge nur auf die mit Maschinen vollgestellten Fabriken richtet, und nicht auf die Berichte diverser Kommissionen.
Offenbar soll auf den Umstand hingewiesen werden, daß die Produktenmasse nicht von Maschinen „hervorgezaubert“, sondern mit Blut, Schweiß und Tränen und oftmals ohne jegliche Maschinerie hergestellt wird. Und „freigesetzt“ werden normale Fabrikangestellte deshalb, weil Kinder in der Provinz das Zeug billiger machen.
Der Satz ist ein Angriff auf Ökonomen, die die Produktivität von Maschinerie bewundern und besingen.
Das „wozu“ schließlich bezieht sich darauf, daß die kapitalistische Produktionsweise diese Ausbeutungsformen schafft und sich der Maschinerie nur als eines Hilfsmittels bedient.

DISKUSSION zu Seite 495

Es ist in der Tat nicht so, daß die Ausbeutung einen Grad erreicht, wo es nicht mehr weitergeht, und dann muß eine Maschine her. Das verkennt den ganzen Einsatz von Maschinen. Da wird dauernd daran gebastelt, Arbeitskraft zu ersetzen, weil das ja für den Unternehmer eine größere Verläßlichkeit und auch Sicherheit in Bezug auf Gleichmäßigkeit und Qualität verschafft. Dieses bisher geschilderte System der Heimarbeit hat ja auch eine Menge Unsicherheitsfaktoren.

Was über die Umwälzung der Textilindustrie im Zeichen der Nähmaschine gesagt wird, erinnert an die kürzlich wieder einmal in die Presse geratenen Zustände der Kleidungsindustrie in Bangladesh und anderswo. Also das ist ein Stück Kapitalismus, wo sich sehr wenig geändert hat.

Die Nähmaschinenproduzenten sind ebenfalls erfinderisch im Verwerten ihres Kapitals: Sie vermieten Nähmaschinen, die sie nicht verkaufen können, an Heimarbeiter, die sie sich nicht leisten können, und damit stacheln sie noch deren Konkurrenz an.
Irgendsoetwas ist doch mit den menschenfreundlichen Mikrokrediten des Herrn Junnus auch passiert ...

Überhaupt ist die ganze Globalisierung doch eigentlich nur eine Fortsetzung in globalem Maßstab dessen, was hier beschrieben wird: die Maschinerie wird dort eingesetzt, wo sie profitabel ist. Wo menschliche Arbeitskraft billiger ist, wird Kinderarbeit genauso eingesetzt wie Heimarbeit und der Lohn bis ans Existenzminimum oder darunter gedrückt. Gibt’s irgendwo Gegenwehr, so zieht die Karawane der Unternehmer weiter und eröffnet woanders eine Produktionsstätte oder bezieht einen anderen Landstrich in dieses System der Heimarbeit ein – genau so lange, bis es dann doch wieder günstiger ist, irgendwo eine hochautomatische Fabrik hinzustellen.
Ein bißl Anschauungsmaterial zu Textilindustrie heute.

Stimmt es, daß verbesserte Transportmittel und Infrastruktur die saisonalen Schwankungen der Auftragslage ausgleichen, wie auf Seite 502-505 behauptet wird? Ja und nein. Sie können diese Schwankungen ja auch befördern, indem z.B. ein Modefetzen schnell weltweit auf den Markt geworfen werden muß, und dann auf einmal eine Flaute eintritt, weil ihn jeder Eskimo und Buschmann auch schon hat.

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