FORVM, No. 481-484
April
1994
Friedrich Achleitner / FPÖ Braunau / Gerhard Skiba

Rassismus, Kunst- und Meinungsfreiheit

Käsfussi, kalte Fussi, Schweißfussi
Auch Friedrich Achleitner, Professor für Architektur an der Akademie für Angewandte Kunst in Wien, war von der SchülerInnen-Jury angeschrieben worden, hier seine Antwort:

Liebe Schüler-Jury,

ehrlich gestanden, ich wollte auf Ihren selbstgerechten und selbstgefälligen Brief mit beigelegtem Werbematerial nicht antworten, da ich mich auch nicht erinnern konnte, in irgend einer Weise gegen Sie protestiert zu haben. Ich weiß bis heute nicht, wo Weilheim liegt, schon gar nicht wüßte ich, daß es ein so bedeutendes Literaturzentrum ist. Die gigantische Liste der dorthin eingeladenen Dichter und Denker kann mich nicht sonderlich beeindrucken, weil ich leider viele nicht kenne, und die mir bekannt sind, machen mich auch nicht erschaudern. Aber der Osten ist dunkel, wie schon Gertrud Fussenegger schrieb, und ich sitze halt zu weit im Osten und zu lange schon im Dunklen. Wie immer bei solchen Wallungen von Gerechtigkeit, sind nicht die Täter schuld, sondern diejenigen, die auf die Taten aufmerksam machen oder gar dagegen protestieren. Daß solche Spiele auch nicht von jungen Menschen durchschaut werden, soll nicht nur in Bayern Vorkommen.

Zu den Fakten:

Ich wurde von Christian Michelides angerufen, ob ich mich am Protest gegen diese Preisverleihung (ausdrücklich für ein Gesamtwerk und noch dazu im Namen des von mir verehrten Jean Paul) beteilige und den beiliegenden Text unterschreibe. Da ich gerade vorher ein Interview mit der Bepreisten gelesen hatte, worin sie beteuert, man könne die zitierten Textstellen nur aus der Zeit heraus verstehen (kein Wort des Bedauerns oder dergleichen), habe ich unterschrieben, weil man wohl von den tiefen Denkern unter den Literaten verlangen kann, daß sie einsehen, was sie damals unterstützt, besungen etc. haben, und daß heute nichts gefährlicher ist, als solche Huldigungen zu verharmlosen.

Um es ganz klar zu sagen: Ich werfe Frau Fussenegger nicht vor, daß sie in jungen Jahren, sozusagen milieugeschädigt, Nationalsozialistin war. Ich teile auch nicht die Selbstgerechtigkeit der Nachgeborenen (ich bin Jahrgang 1930), die mit dem historischen Wissen heute viel klüger sind und auch viel tapferer gewesen wären. Man muß aber von einer Schriftstellerin ihres ihr zugestandenen Ranges heute verlangen, daß sie weiß, was diese Haltung bedeutet hat, und dazu eine klare Sprache findet. Natürlich verlange ich auch von einer Jury, die im Namen eines wehrlosen Jean Paul Preise verteilt, daß sie weiß, was sie tut.

Noch zur »Mohrenlegende«

Ich habe diesen Text mit Widerwillen gelesen. Ich kann zu einer Sprache keine Sympathien entwickeln, die etwa letzte Drecksarbeit als »niedrigstes Amt« bezeichnet. Das ist ständestaatliche Manipulation der Wirklichkeit. Natürlich kann man diesen Text mit heutigen Augen als rassistisch lesen, muß man aber nicht. Meiner Meinung nach, wäre das zu einseitig und zu flach, denn die Ambivalenz dieses Textes liegt viel tiefer, er kommt aus jenem »dunklen« katholischen Grund, in dem (in unseren Regionen) Rassismus und Antisemitismus geboren wurden. Immer taucht das unheimlich Schwarze, Dunkle (Symbol: der kleine »unschuldige« Mohr) als das Bedrohliche, Böse, Teuflische auf. Man kann seine Haltung dazu noch so objektivieren, humanisieren, irgendwann schlägt das Prinzip des Bösen, das er versinnlicht, doch zu. Der Gastfamilie wird halt doch der einzige goldgelockte, gesunde Sohn vom Mohren entführt und indirekt auch getötet. Das Böse hat, vielleicht sogar »widerwillen«, doch gesiegt, wenn es auch im Schatten der Kirche erfror. Für mich ist das eine Anderl-von-Rinn-Geschichte. Meinen Bedarf an Fussenegger haben Sie damit gedeckt. Und das Unerträgliche: alles eingetaucht in eine geschönte, abgehobene Prosa, in den Weihrauch einer Weihnachtslegende.

Wenn Sie sich mit dem Problem einer literarischen Trauerarbeit beschäftigen wollen, empfehle ich Ihnen die nachschrift von Heimrad Bäcker. Vielleicht entdecken Sie dann, daß bei Gertrud Fussenegger auch der Westen sehr dunkel ist.

Mit freundlichen Grüßen,



Wien, am Krampustag 1993
Auf Achleitners Brief reagierten die Weilheimer ebensowenig wie auf die Antworten von Elfriede Gerstl, Marie-Thérèse Kerschbaumer, Christian Michelides, Karl Müller, Gerhard Ruiss und der Forschungsgruppe Kulturgeschichte. Den kalten Fussis eilten auf Schweißfüßen berühmte Vorkämpfer für Kunst- und Meinungsfreiheit eifrig zu Hilfe:

Viele Braunauer werden überrascht gewesen sein. Ihr Bürgermeister ist als eifriger Briefeschreiber über die Grenzen unseres Landes hinaus aktiv. Und noch dazu als Sachverständiger in Literatur.

Als vor einigen Wochen der österreichischen Schriftstellerin Gertrud Fussenegger vom Freistaat Bayern der mit OS 175.000,— dotierte »Jean-Paul-Preis 1993« zuerkannt wurde, gab es Gegenstimmen — aus Österreich! Bürgermeister Skiba aus Braunau war einer der ersten, der in einem offenen Brief an den bayerischen Landtag protestierte: »Mit dieser Auszeichnung wird eine Frau gewürdigt, die über acht Jahre lang ohne Zwang antiösterreichische Lyrik und antisemitische Prosa verfaßt hat.«

Es mag sein, daß auch Gertrud Fussenegger die Nazizeit nicht sehr »ehrenvoll« hinter sich gebracht hat.

Seither sind aber nahezu 50 Jahre vergangen. Auch 50 Jahre künstlerischen Schaffens einer Gertrud Fussenegger. Eine im In- und Ausland anerkannte, mit zahlreichen Preisen geehrte, bekannt als betont katholisch schreibende, österreichische Schriftstellerin.

Wer könnte da angesichts dieser Tatsachen weitere Ehrungen dieser 81-jährigen Künstlerin verbieten?

Wer möchte aller Welt, offiziellen und kompetenten Stellen, vorschreiben, an wen Auszeichnungen zu verleihen sind? Wer wollte sich anmaßen, unsere Stadt mit solchem antifaschistischem Getue in die Schlagzeilen zu bringen und darüber hinaus zahlreiche Braunauer, die Gertrud Fusseneggers Werke schätzen, zu bevormunden? ...... unser Braunauer Bürgermeister?

Der Bürgermeister von Braunau

Lieber Herr Oberschlick!

Ich habe es noch keine Sekunde bereut, daß ich Ihrer Einladung, den Protest mitzutragen, gefolgt bin.

Beste Wünsche und herzliche Grüße, Ihr


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