Streifzüge, Heft 46
Juni
2009

Reanimation statt Aufbruch

Katja Kipping hat ein Buch geschrieben

Worte sind schneller als Gedanken. Bevor wir den Inhalt rezensieren, besprechen wir doch Titel und Untertitel. Kauf, Politik und Demokratie, drei Schlüsselbegriffe werden hier genannt und in Beziehung gesetzt. Verwendet werden sie als plakative Postulate. Katja Kipping, 31 Jahre jung, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Parteivorsitzende der Partei „Die Linke“, weist sich sofort als eine Politikerin aus, die fest auf den Grundlagen des bürgerlichen Systems und seiner Werte steht. Fürchten, dass die Autorin eine verkappte Revolutionärin ist, braucht sich niemand. Ihr geht es um das Obligate: Um Kaufkraft, Mittelstand, Staatsbürger, Nachfrage, Bezahlbarkeit und immer wieder Gerechtigkeit. „Die Linke versteht sich ausdrücklich als Partei der sozialen Gerechtigkeit.“ Noch immer wärmt dieses flüchtige Abstraktum die Seele der Menschen.

„Die junge Politikerin Katja Kipping unterzieht die eigene Zunft einer kritischen Analyse und ruft zur Reanimation der politischen Kultur“, heißt es im Werbefalter des Verlags. Genau das versucht sie. Felsenfest glaubt sie an die Prämissen ihrer Profession. Politik, so ihr Credo, dürfe sich nicht so billig hergeben. Da sie ihr teuer ist, muss jene sich teuer verkaufen. Die Politikerin versucht sich als Animationskünstlerin an einem Organismus, den sie in keiner Weise hinterfragen möchte. Sie identifiziert sich mit ihm, auch persönlich: „Zweifelsohne kann Arbeit für viele Menschen Selbstverwirklichung bedeuten – etwa für eine Bundestagsabgeordnete oder eine Journalistin…“, schreibt sie. Dass da einmal mehr das Verwirklichte mit dem zu Verwirklichenden verwechselt wird und sich Realismus nennt, sei unterstellt.

Schuld an der Misere der Politik sind jedenfalls die Politiker, die politische Klasse habe „ihre eigene Glaubwürdigkeit untergraben“, behauptet sie. Warum die Politik weltweit so einfach kapituliert hat, wird hingegen nicht erklärt. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass Politik (polity, politics und policy) sich nur noch ausverkaufen lässt, dass sie der Ramsch ist, den die Leute in ihr vermuten, dass lediglich das kulturindustrielle PR-Spektakel, sprich Event und Campaigning, sie am Leben erhält. Dass hier ein letztes Angebot und Aufgebot steht, das von der Krise der Form kündet und nicht von falscher Politik oder schlechten Politikern. Während viele, wenn auch intuitiv, nicht mehr glauben wollen, schlägt Kipping vor, einfach weiter zu glauben. „Dieser Entwicklung dürfen wir nicht tatenlos zusehen“, so das herzhafte Stoßgebet, das freilich schon die letzten Jahrzehnte unerwünschte Resultate so gar nicht zu erschüttern vermochte.

Die Abwertung, die die Politik erfahren hat, sei eine „Selbstabwertung“. Aufwerten ist also angesagt. Aber wie soll das gehen? Wer soll das tragen? Und warum soll es funktionieren? Hartnäckig hält sich das Vorurteil, der aktuelle Status der Politik sei Folge politischer Fehlentscheidungen gewesen, die man jederzeit durch selbstermächtigende Beschlüsse korrigieren könne. Das nennt sich dann „andere Politik“ und ist nicht nur ein Everred vieler Linker, sondern gerade dabei, wieder Mainstream zu werden. Das gemeine Gerede von der „Allmacht der Wirtschaft“ suggeriert andererseits, dass diese, worüber sie verfügt, auch herrscht.

„Die politische Klasse führt einen Entmachtungsfeldzug gegen sich selbst und gegen das demokratische System. Das Politische wird zur Magd des Marktes.“ Doch war die Politik je jenseits des Marktes? Schon allein, dass fast alle politischen Beschlüsse im Medium des Geldes ausgedrückt werden, sollte zu denken geben. Die Kostenfrage bildet stets den Fokus aller Politiken. Eine Volksabstimmung, die die Löhne verdoppelt und die Preise halbiert, das halten wohl zu Recht alle für ein Hirngespinst. Das heißt aber zudem, dass Souveränität in der bürgerlichen Gesellschaft nicht außerhalb ökonomischer Prämissen liegt. Sie ist somit immer eine vorbestimmte und beschränkte.

Hilflos wirken in diesem Zusammenhang auch bildungspolitische Stehsätze wie: „Statt die Kinder aufs Konkurrenzdenken auszurichten, sollte Solidarität vermittelt werden“. Indes, die ganze Gesellschaft ist auf Konkurrenz ausgerichtet. Das kann man in Frage stellen (was die Verfasserin allerdings nicht tut), die Schule aber zu kontrafaktischer Erziehung aufzurufen, ist gelinde gesagt schräg. Wenn man positiv zum kommerziellen Wettbewerb steht, ist es Pflicht, den Nachwuchs dementsprechend zu wappnen.

Was für die Politik gilt, gilt Kipping natürlich auch für die Demokratie: „Denn es gilt, die Demokratie vor dem schleichenden Verfall zu retten. Sie muss wieder mit Leben erfüllt werden.“ Wieder? Wann war die Demokratie je erfüllter? In Adenauers Zeiten? In den Tagen Willy Brandts oder Helmut Kohls? Irgendwie schrammt die Autorin am Wesentlichen vorbei, gerade weil sie beharrlich und unentwegt mit dem Rosenkranz der Aufklärung fuchtelt. Kriterium dieser Erbauung ist das Bekenntnis, nicht die Erkenntnis. Der kritische Geist weicht den Gebeten, der „Andacht, deren Innerlichkeit in der Hymne zugleich Dasein hat“, wie Hegel es in seiner „Phänomenologie des Geistes“ ausdrückte.

Doch bedenken wir, dass vor allem Politiker der „Linken“ angehalten sind, permanent Geständnisse abzulegen, um überhaupt satisfaktionsfähig zu sein. Das haben sie nicht nur internalisiert, das betreiben sie ganz exzessiv, gelegentlich bis zur letzten analytischen Peinlichkeit. Vor lauter Demokratietrunkenheit wird nicht ernsthaft über Partizipation und Interesse, Legimitation und Organisation, Bürokratie und Freiheit bzw. deren Grenzen und Möglichkeiten gesprochen. Schlagwörter wie Transparenz werden nicht abgeklopft, sondern aufpoliert. Auf dass sie glänzen.

Den vorgegebenen Rahmen der Demokratie oder genauer: der Sozialdemokratie, den engen Raum verordneter Staatsbürgerkunde, den verlässt Kipping nie. Der Kommunismus hat hier nicht Kreide gefressen, er ist endgültig ad acta gelegt worden. Da mag die Autorin noch so jung sein, was sie vorlegt, schaut ziemlich alt aus. Und genau das ist in anderer Hinsicht auch zu fürchten. Es ist nicht auszuschließen, dass solch Politikansatz, sofern er nicht in den Zynismus kippt, früher oder später in der Verhärmung endet.

Politik ist nicht nur farbenblind (inzwischen sind lediglich Grautöne wahrnehmbar), Politik ist auch zusehends betriebsblind geworden. Das Niveau hohler Phrasen, unverbindlicher Stehsätze und polternder Ansagen ist dementsprechend entwickelt, was meint, es wird reklametüchtig antrainiert. Und die Exponenten nehmen dadurch keinen Schaden, weil das reklamesüchtige Publikum wiederum nicht gewohnt ist, in qualitativen Unterschieden zu denken, sondern bloß in Beliebigkeiten zu schwanken. Politiker haben kaum noch Zeit und Raum für Reflexionen, sie sind vielmehr permanent angehalten, unmittelbaren Stimmungen (Meinungsumfragen) nachzugeben und entsprechende Sachzwänge umzusetzen. Sie sind den Erfordernissen recht hilflos ausgeliefert, müssen aber andauernd so tun, als hätten sie alles im Griff und auch im Begriff.

Politiker schreiben Bücher nicht, weil sie etwas zu sagen haben, sondern weil sie so tun müssen, als hätten sie etwas zu sagen. Mag drinnen stehen, was will, ein Buch, das ist ein intellektueller Ausweis. Gelingt es den Verlagen, die Wichtigkeit einer Publikation zu suggerieren, entsprechende Rezensionen anzuleiern und den Band gar auf Bahnhofskiosken zu platzieren, dann ist der Erfolg garantiert. Politisch Unverdrossene greifen zu, lesen es an und legen es ab. In ein bis zwei Jahren landet die Restauflage dann in den Ramschabteilungen der Diskonter oder im Papiermüll.

Katja Kipping liefert keine Kritik des Kapitalismus, sondern eine an den in ihm zu behebenden Missständen. Prototypisch daher die Aussage: „Menschen brauchen ein Einkommen“. Tatsächlich? Menschen benötigen gar vieles: zu essen, zu trinken, zu kleiden, zu wohnen, zu reisen, aber Geld brauchen sie nur dann, wenn der soziale Stoffwechsel über Kaufen und Verkaufen erfolgt. Das ist kein Naturgesetz, sondern Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation.

Das Buch liest sich manchmal wie ein Rechenschaftsbericht, mit dem eine führende Parteipolitikerin ihre Existenz legitimiert. Indes wirkt alles nach einer Pflichtübung einer gebildeten Fachreferentin, die diese inklusive Fleißaufgaben vorbildlich löst. In den Ausschüssen, in denen sie tätig ist, wird sie wohl (so meine Vermutung) aufgrund ihrer Tüchtigkeit sehr geschätzt. Immer wieder finden sich viele praktische und vielleicht sogar unmittelbar praktizierbare Vorschläge, was wir jedoch vergeblich suchen, ist eine Perspektive, die jenseits des Hergebrachten Überlegungen anstellt. Das „klare Ja zur Transformation“ ist eine leere Formel. Kein wirklich radikaler Gedanke versteckt sich in den vielen Seiten. Von Aufbruch geschweige denn Bruch keine Spur.

Doch brechen wir den Verriss hier ab, er hat auch etwas Vermessenes und Strenges. Selbst wenn sich die Freude nie richtig einstellen wollte, hat sich das Leid bei der Lektüre in Grenzen gehalten. Selten ist das Buch langatmig, Konkretes und Abstraktes stehen in guter Proportion. Viele Passagen sind in sich schlüssig und solid argumentiert. Man könnte auch eine ausgesprochen wohlwollende Besprechung abliefern, dann, wenn man die von der Autorin ungewollte Immanenz aller Überlegungen als Maßstab anerkennt. Beziehen wir die Publikation auf dieses Metier der Politiker-Bücher, dann ist es dezidiert kein schlechtes. Im Gegenteil: müsste ich hundert solcher Machwerke vergleichen (was schon einer Bestrafung gliche), dann würde ich das gegenständliche recht weit vorne reihen.

Engagement kann man der Frau in keiner Weise absprechen. Sie ist fleißig, belesen, hat einiges zusammengetragen und bringt oft interessante Details. Etwa, dass das im Vergleich frühere Ableben der sozial schlechter Gestellten eine Subventionierung der Renten der Wohlhabenderen darstellt. Es gehört ja zu den beständigsten bürgerlichen Vorurteilen, dass die Reichen die Armen füttern und nicht die Armen die Reichen. Positiv hervorheben könnte man das Bekenntnis zur Lebenslust und ihre Kritik an der Arbeit, auch an der „zur Schau getragenen Arbeitswut“ in der eigenen Partei. Sympathisch wirkt weiters das Plädoyer für die Langsamkeit, auch wenn gerade das Tempo keine Frage falscher Beschlüsse mündiger Wesen ist, sondern Ausfluss ökonomischer Zwänge.

Im hinteren Teil ist das Buch auch ein recht amüsantes Protokoll zur Vereinigung von PDS und WASG. Weniger als an inhaltlichen Differenzen drohte dieser Zusammenschluss an der Namensfrage oder an der ohnehin unverbindlichen Höhe des Mitgliedsbeitrages zu scheitern. Die Politikerin beschwert sich wohl zu Recht darüber, dass die Frauen aus der Gründungsgeschichte der neuen Formation „Die Linke“ gesäubert wurden, dass einige wenige männliche Parteiführer (Lafontaine, Gysi, Bisky) „zu Machern der Vereinigung hochstilisiert“ werden. Auch dass man Frauen oft vorwirft, was man Männern kaum vorwirft, ist zweifellos grotesk, aber zumeist nicht, weil man es den Frauen vorwirft, sondern weil man es den Männern nicht vorwirft.

Katja Kipping, Ausverkauf der Politik. Für einen demokratischen Aufbruch, Econ Verlag, Berlin, 368 Seiten, geb. 20,50 Euro.

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