FORVM, No. 499-504
Dezember
1995

Rechtmäßig und recht mäßig in Einem

Exklusiv im FORVM: Der Gesetzesentwurf des Innenministers
zur Reform des Fremdenrechts

Gewiß ist ein erfahrener Bewährungshelfer als Innenminister ein Segen; bedarf doch kaum jemand dringender der Resozialisierung als jene Beamten, die die österreichischen Gesetze zur Ausländerhetze vollziehen.

Caspar Einem hat sich ein halbes Jahr Zeit genommen, um eine Reform des Fremdenrechts zu erarbeiten. Daß das Resultat zumindest von den leitenden Beamten des Ressorts offenkundig unterstützt wird, zeigt: Der Minister hat bei der Reintegration der Behörden in den demokratischen Rechtsstaat ermutigende Erfolge erzielt. Allerdings darf sich das Verständnis, mit dem der Bewährungshelfer dem Missetäter zu begegnen hat, nicht auf dessen Missetaten erstrecken; und dies hat Caspar Einem nicht gebührend beachtet. Einen Kompromiß zwischen der Anti-Ausländer-Politik der vergangenen Jahre und den Menschenrechten kann und darf es nicht geben; Einem sucht ihn trotzdem. Nicht zufällig kommt »Kompromiß« von »kompromittieren«.

Der Öffentlichkeit gab das Ministerium von seinen Plänen ein ungenaues, zum Teil sogar falsches Bild in Gestalt einer Presseinformation. Den tatsächlichen Gesetzesentwurf (der die ÖVP mit dem Auszug aus dem Parlamentsausschuß drohen ließ) zu präsentieren, bleibt dem FORVM vorbehalten.

Das Aufenthaltsgesetz soll, stark verkürzt, künftig im Wesentlichen nur mehr die Festlegung der Einwanderungsquote regeln. Positiv ist dabei zu bemerken, daß die Ausnahmen aus der Quote (für ausländische Ehegatten von Osterreichern, für hierzulande geborene Kinder von Fremden) nicht mehr der alljährlichen Verordnung — und damit dem Gutdünken — der Regierung anheimgestellt, sondern im Gesetz festgeschrieben sind.

Die Erteilung der Aufenthaltsbewilligungen soll aus dem Aufenhalts- ins Fremdengesetz übertragen werden (ohne daß sich an der Zuständigkeit der Bundesländer etwas änderte). Das hat gesetzestechnisch seinen schönen Sinn, weil so der Übersichtlichkeit gedient ist: Es kommt zu einer besseren Vereinheitlichung zwischen der Gewährung von Aufenthaltsbewilligungen und jener von »gewöhnlichen Sichtvermerken«, mit denen die Fremdenpolizei — zu milderen Konditionen — Privilegierte wie etwa Priester, Künstler und Journalisten ausstattet. Kraft dieser Vereinheitlichung würde in Zukunft bei allen Ausländern die Prüfung der »ortsüblichen Unterkunft« entfallen. Es verschwände der skandalöse Sippenhaftungsparagraph, nach dem mit einem Fremden, der wegen mangelnden Einkommens sein Aufenthaltsrecht verliert, gleich die ganze Familie des Landes verwiesen wird, einschließlich jener, die Arbeit haben. Außerdem könnten auch Aufenthaltsbewilligungen (und nicht nur gewöhnliche Sichtvermerke) einem »Sichtvermerksversagungsgrund« zum Trotze aus humanitären Gründen erteilt werden.

Bisher ist die Behörde sogar bei Vorliegen aller Voraussetzungen nicht verpflichtet, sondern nur berechtigt, eine Bewilligung zu gewähren; der Entwurf räumt den Antragstellern einen Rechtsanspruch ein, solange der Vorrat (sprich: die Quote) reicht. Bei rechtzeitiger Stellung eines Verlängerungsantrages soll das Aufenthaltsrecht bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Behörde bestehen (auch über den Ablauf der Bewilligung hinaus), statt wie derzeit unglaublicherweise nur bis zum Bescheid der ersten Instanz.

müssen können dürfen

Beantragt der Fremde die Verlängerung des Visums verspätet, wird er nicht mehr, wie heute, des Landes verwiesen (und gezwungen, einen wenig chancenreichen Antrag auf Neuzuwanderung zu stellen); unter der Bedingung, daß er seinen Hauptwohnsitz beibehalten hat, darf er in Österreich bleiben, gilt aber, so will es der Entwurf, bis zur neuerlichen Erteilung der Aufenthaltsbewilligung als Illegaler. Dies freilich ist von äußerst zweifelhaftem Wert, erstens weil tolerierte Illegalität in einem Rechtsstaat ein Bubenstück ist, zweitens, weil die Fremdenpolizei so in die Lage versetzt wird, die gute Absicht der Novelle zu durchkreuzen. Wer nämlich mehr als einmal wegen illegalen Aufenthaltes eine Verwaltungsstrafe erhalten hat, über den wird ein Aufenthaltsverbot verhängt; und daran soll sich nur ändern, daß die Fremdenpolizei derzeit verhängen muß und in Zukunft verhängen kann. Sie wird also die Möglichkeit haben (und nützen, darauf darf man wetten), Ausländer zu selektieren, die ihr nicht zu Gesicht stehen, sie während des langen Wartens auf den Bescheid der Aufenthaltsbehörde zweimal zu strafen — und sie, noch ehe dieser einlangt, mit einem Aufenhaltsverbot im Reisegepäck abzuschieben.

Ein Kernstück des Entwurfs ist das Prinzip der Aufenthaltsverfestigung: Nach fünf Jahren legaler Anwesenheit hat ein Ausländer, gemäß Einems Plänen, Anspruch auf einen unbefristeten Sichtvermerk, die Aufenthaltsbehörde darf sich nicht mehr dafür interessieren, ob sein Unterhalt gesichert sei, und die Fremdenpolizei ihm wegen Mittellosigkeit und Schwarzarbeit kein Aufenthaltsverbot mehr geben; nach acht Jahren ist ein solches nur mehr zulässig, wenn er zu mehr als zwei Jahren Freiheitsentzug rechtskräftig verurteilt ist. Die zweite Generation von ausländischen Staatsbürgern, egal ob hier geboren oder »nur« hier aufgewachsen, soll unter keinen Umständen mehr des Landes verwiesen werden dürfen, nicht einmal im Falle schwerster Kriminalität. Das vielbeschworene »Recht auf Heimat« können in Österreich auch Menschen mit ausländischem Paß haben. Daß sich das Innenministerium zu einem solchen Standpunkt durchringt, ist eine wahre Sensation, und der Minister als Bewährungshelfer verdient darob Lob, Preis und Dank.

konform mit haben

Seine stattdessen gepriesenen Vorschläge zur Familienzusammenführung hingegen sind zwiespältiger Natur. Derzeit darf ein Fremder seinen Ehepartner und seine Kinder (sofern diese nicht selbst Arbeit haben) erst nach zwei Jahren Aufenthaltes in Österreich (und einem halben Jahr Ehedauer) zu sich holen. In Zukunft darf er sie nach Einems Willen sofort mitbringen — im Rahmen der Quote und selbstverständlich nur bei ausreichendem Unterhalt. In den Genuss dieser Regelung kämen also allein höher Qualifizierte, die von Anfang an ein komfortables Einkommen beziehen. Für alle anderen jedoch wird die Wartefrist für den Nachzug ihrer Angehörigen noch um ein Jahr verlängert! Zynische Begründung des Ministers: Der Rückstau an Anträgen auf Familienzusammenführung sei bereits immens; die vorgesehene Regelung lasse drei Jahre keinen neuen Rechtsanspruch entstehen, und in dieser Zeit hoffe man, allen liegengebliebenen Anträgen entsprechen zu können. So wird zuliebe dem Dogma, auch eine einmalige Erhöhung der Quote komme nicht in Betracht, das Menschenrecht auf Familienleben zurechtgebogen.

Wie um diesen Skandal auszugleichen, soll die Familie, sobald sie lange genug gewartet hat, sofort zusammengeführt werden, auch bei erfüllter Quote; die Anrechnung erfolgt dann auf die Einwanderungsziffer des nächsten Jahres.

Ausländische Ehegatten von Österreichern müssen sich »nur« ein halbes Jahr gedulden, bis sie einen Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung außerhalb der Quote haben; den Antrag können sie laut Entwurf im Inland stellen. Das ist zwar ein Fortschritt gegenüber der jetzigen Gesetzeslage (der Antrag muß im Ausland gestellt werden, was bedeutet, daß sich die Wartezeit ungeschaut um ein halbes Jahr verlängert, bis die Genehmigung erteilt ist), aber zu einer EU-konformen Regelung hat es nicht gereicht: Nach dem EU-Recht kommen Ausländer, die mit EU-Bürgern verheiratet sind, in der gesamten EU (zusammen mit ihrem Gatten) in den Genuß der Niederlassungsfreiheit, sprich: Ab ihrem Hochzeitstag haben sie ein Aufenthaltsrecht. Den Ehepartnern aller anderen EU-Bürger wird dieses — auch jetzt schon — von Österreich zugestanden. Nur die Angehörigen von Inländern (und damit natürlich die Inländer selbst) sind diskriminiert — und sollen es bleiben.

Nicht wenige unerträgliche Bestimmungen tastet der Entwurf nicht an: die Möglichkeit, Fremde ohne Schubhaftbescheid (der einem Haftbefehl entspricht) festzunehmen; das Recht der Behörde, Wohnungen, in denen sie illegale Ausländer vermutet, ohne Durchsuchungsbefehl zu kontrollieren; die völlige Rechtlosigkeit der Schubhäftlinge; den mit Hilfe von Geldstrafen auf die Fluglinien ausgeübten Zwang, die Grenzkontrolle vorwegzunehmen und Menschen ohne oder mit falschen Einreisevisa (glso meist Flüchtlinge) gar nicht nach Österreich zu befördern.

Versprochen hat der Minister, es solle in Zukunft nicht mehr zwischen Visa zu verschiedenen Aufenthaltszwecken (Fallstricken, in denen man sich insbesondere bei der Arbeitssuche verheddert) unterschieden werden; wahr war es leider nicht, im Entwurf findet sich davon keine Spur.

Und es werden neue Schikanen geschaffen: Daß ein Mensch nicht mehr als sechs Monate in Schubhaft angehalten werden darf, wird durch die Formulierung »wegen desselben Sachverhaltes« und »innerhalb von zwei Jahren« empfindlich eingeschränkt. Die Polizei wird ermächtigt, am Arbeitsplatz nach illegalen Ausländern zu fahnden (wieder ohne Durchsuchungsbefehl, versteht sich).

Und eine Forderung des freiheitlichen Volksbegehrens zur Aufhetzung gegen die Auländer wird ins Gesetz umgesetzt (in die Realität wurde sie es schon seit längerem): Fremdlinge unterliegen der Verpflichtung, bei Strafe jederzeit ihren Paß mit sich zu führen.

Was das Asylgesetz anlangt, sind die begrüßenswerten Absichten rasch aufgezählt: Nach fünf Jahren Aufenthaltes soll einem anerkannten Flüchtling das Asyl nicht mehr aberkannt werden können, wenn sich etwa die politische Situation in seiner Heimat geändert hat; kommt der Asylwerber einer Ladung nicht nach, soll nicht mehr sein Antrag abgewiesen, sondern das Verfahren unterbrochen werden; und wer nicht Asyl erhält, aber aus irgendwelchen Gründen nicht abgeschoben werden kann, soll verpflichtend jene befristete Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz erhalten, von der zur Zeit kaum je Gebrauch gemacht wird. Nach fünf Jahren würde sie in eine ständige umgewandelt.

Im übrigen aber wird, setzt sich der Entwurf des Ministeriums durch, das Asylrecht noch weiter eingeschränkt (kaum hält man es für möglich).

Einems erklärte Absicht ist es, die Flüchtlinge zu bewegen, ihren Asylantrag schon an der Grenze zu stellen. Bei seiner Pressekonferenz verhieß er, als Belohnung dafür solle ihnen das Recht gegeben werden, von allem Anfang an Arbeit zu suchen. Welche Chancen dabei ein nicht sprachkundiger, nicht integrierter, frischgefangener Flüchtling haben soll, muß man sich nicht mehr fragen; denn der Entwurf kennt ein probateres Mittel, die Leute zur Antragstellung vor der Einreise zu verhalten: Er sieht nicht mehr vor, daß Asylwerber für die illegale Einreise prinzipiell straflos ausgehen. Zwar ist diese Straffreiheit auch in der — im Gesetzesrang stehenden — Genfer Flüchtlingskonvention enthalten; freilich »vorausgesetzt, daß sie (sc. die Flüchtlinge) sich unverzüglich bei den Behörden melden und gute Gründe für ihre illegale Einreise und Anwesenheit vorbringen.«

Drittlandfalle

Der Sinn der Antragstellung an der Grenze ist es, Menschen, die der Weg nach Österreich durch ein — nach behördlicher Auffassung — »sicheres Drittland« geführt hat, gemeinsam mit ihrem Asylantrag zurückweisen zu können: Ihr Antrag soll nicht behandelt, ihre Person nicht aufgenommen werden (es sei denn, sie hätten hier Verwandte), falls sie noch in das Drittland zurückgeschickt werden können.
Dies ermöglichen die geltenden Schubabkommen binnen einer Woche nach der Einreise. Wer sich also nicht gleich an der Grenze abfangen lassen will, muß illegal einreisen und sich eine Woche lang verstecken (nebenbei bemerkt: eine glänzende neue Einnahmequelle für die doch so heftig bekämpften Schlepper). Schafft er es, sieben Tage unentdeckt zu bleiben, muß zwar sein Asylantrag bearbeitet werden, dafür faßt er eine Strafe wegen der illegalen Einreise aus, hat er sich doch nicht unverzüglich gemeldet.

Auf eine unsagbar komplizierte und verschlüsselte Weise hat das Ministerium offenbar die Absicht, einen Katalog der sicheren Drittländer per Verordnung festzulegen. Dadurch ließe sich wohl verhindern, daß — wie heute — der Iran oder Syrien als sicher eingestuft werden; nicht aber, daß die bloße, unverzügliche Durchreise (auch ohne aus dem Auto oder Zug auszusteigen) bereits als Erlangung von Verfolgungssicherheit gilt. Eine große Zahl von Asylanträgen würde also — angesichts der vielen teils wirklich, teils vermeintlich sicheren Länder in unserer Nachbarschaft — gar nicht mehr angenommen. Die Asylbehörden könnten dem Müßiggang frönen; die Asylanerkennungsrate wäre weltweit unerreicht; die Arbeit der lästigen Flüchtlingsbetreuer von der Caritas, von »Asyl in Not« oder von »SOS Mitmensch« würde unmöglich gemacht (schließlich können sie ihre Bürostunden nicht, ausgestattet mit einem Klapptischchen und, je nach Witterung, einem Sonnen- oder Regenschirm, im Niemandsland vor unseren Grenzen abhalten).

Die Pflicht der Beamten, über die Einvernahme des Asylwerbers eine Niederschrift aufzunehmen, soll entfallen. Das heißt, wenn ich es richtig verstehe, daß systematisch nicht nachvollziehbar sein wird, was die an der Grenze Zurückgewiesenen vorgebracht haben, so als wären sie nie hier gewesen.

Es ist ein schwacher Trost, daß den Asylwerbern, deren Anträge angenommen werden, ein Aufenthaltsrecht für die Dauer des Verfahrens eingeräumt wird. Denn die Einschränkungen desselben sind nicht zu unterschätzen: Bei »offensichtlich unbegründeten« Anträgen endet es bereits mit dem erstinstanzlichen Bescheid (und das heißt meist: zwei oder drei Stunden nach der Antragstellung); und wenn die Fremdenpolizei den Asylwerber auszuweisen gedenkt, kann sie ihn trotz Aufenthaltsrecht in Schubhaft nehmen (das ist schlimmer als die derzeitige Rechtslage) und muß nur mit der Abschiebung noch den Ausgang des Asylverfahrens abwarten. Die immer schon praktizierten Verhaftungen im Asylamt, anläßlich der Einvernahme, sollen legalisiert werden; sie träfen vor allem jene, die sich der illegalen Einreise schuldig gemacht haben (was ein Grund für ein Ausweisungsverfahren ist) sowie die »offensichtlich unbegründeten« Asylwerber.
Solche Bestimmungen erkennt jeder als gefährliche Drohungen, der weiß, was alles das Asylamt auch heute schon für »offensichtlich unbegründet« hält.

Schließlich soll die Asylbehörde gleich auch über die Zulässigkeit der Abschiebung in den Heimatstaat entscheiden. Bisher obliegt dies der Fremdenpolizei, was wegen der skandalösen Schludrigkeit, mit der dieselbe derlei Verfahren abwickelt, von geringer praktischer Bedeutung, in der Theorie aber ein guter Rechtsschutz ist — der nun, statt realisiert, geopfert werden soll.

Caspar Einem verdient also nicht nur Lob, Preis und Dank, sondern auch Schimpf und Schande. Die Menschenrechtsbewegung täte gut daran, ihm besser abgewogen gegenüberzutreten als das FORVM in seiner vorigen Ausgabe: Ungewiß ist die Zukunft der Regierung und der SPÖ. Gewiß ist nur, daß Franz Vranitzky seinen Kredit verspielt hat; seine Zeit ist vorbei. In dieser Situation könnte Caspar Einem etwas werden oder zumindest etwas bleiben wollen. Wir sollten ihm klarmachen, daß er unsere Unterstützung genießt, falls er seine Reform reformiert und die Resozialisierung der Beamtenschaft vorantreibt; daß wir aber die Asozialisierung des Ministers keineswegs hinzunehmen bereit sind.

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