MOZ, Nummer 58
Dezember
1990
Gentechnologie

Reihenuntersuchung = Langfristige Kostenersparnis

Von 11. bis 14, Oktober fand in Zürich ein internationales Treffen des feministischen Netzwerkes FINRRAGE [1] statt. Mit einem Video des letzten Zusammenkommens der streitbaren Technikkritikerinnen in Bangladesh wurde die Diskussion um Stand und Widerstand bezüglich neuer Fortpflanzungs- und Gentechnologien eingeleitet.

Erstmals beteiligten sich Frauen aus Polen, Ungarn und der ehemaligen DDR. Ihre Beiträge bezogen sich auf die massiven Angriffe auf bestehende Abtreibungsregelungen und auf die kaum vorhandene öffentliche Diskussion über Gen- und Fortpflanzungstechnologien. In Anknüpfung daran wurde über die auch im österreichischen Wahlkampf heiß umstrittene Abtreibungspille RU 486 debattiert. Den meist so polarisierten und ideologisch eng geführten Auseinandersetzungen zwischen konservativen Lebensrettern und progressiven Selbstbestimmern wurden grundsätzliche Fragestellungen hinzugefügt: Bietet ein neues pharmazeutisches Produkt eine akzeptable Lösung für die Problematik des Schwangerschaftsabbruches? Führt diese scheinbar leichtere Methode nicht zu einer noch grösseren Individualisierung der Abtreibung? Ist die Möglichkeit der prophylaktischen Verwendung von RU 486 (‚Pille danach‘) nicht ein weiterer Anlaß, sich der Geschlechterkonfrontation auf Kosten der Gesundheit der Frauen zu entziehen? Nicht zuletzt wurden die mangelnden Informationen über Wirkung und Nebeneffekte des Produktes beklagt.

Internationales Treffen des feministischen Netzwerkes FINRRAGE in Zürich

Die neuesten Rechenkünste der Fachdisziplin Gesundheitsökonomie boten abgründige Einblicke in Kosten-Nutzenanalysen staatlicher Gesundheitspolitik. Zwar ist der finanzielle Aufwand für künstliche Befruchtungstechniken extrem hoch, und diese nehmen im staatlichen Gesundheitsservice eine untergeordnete Rolle ein; in Verbindung mit vorgeburtlichen Untersuchungen sowie Genanalysen und -therapien gewinnen neue Fortpflanzungstechniken jedoch zusehends Bedeutung für langfristige Kostenersparnis. Nach dem Motto ‚Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen‘ käme eine Reihenuntersuchung sämtlicher schwangerer Frauen über 35 billiger als die Pflege eventuell behinderter Kinder; zusätzlich werden die Diagnostikmethoden selbst immer einfacher: Sobald die Trennung von weiblichen und fötalen Zellen gelingen wird (Fötal-Zellen sind überall im Blut einer Schwangeren vorhanden), können pränatale Untersuchungen mittels einer Blutabnahme der Frau durchgeführt werden. Eine billige Methode, die zur Routine jeder Schwangerschaftsvorsorge werden kann. Wie sich auch am Beispiel Österreichs zeigt, werden künstliche Befruchtungstechniken (Retortenzeugung) auf Grund des hohen technischen und finanziellen Aufwandes nur familienideologisch beschränkt von Seiten des Gesetzgebers forçiert. Pränatale Diagnostik und humangenetische Beratung werden hingegen als Vorsorgemaßnahmen gefördert.

Zum Abschluß des Schweizer FINRRAGE-Treffens wurden die wichtigsten Themenschwerpunkte für den nächsten internationalen Kongreß in Rio de Janeiro/Brasilien vorgeschlagen:

  • 500 Jahre Kolonisation sind der Aufhänger für eine Analyse von Be- völkerugnsprogrammen und neuen Formen des Rassismus in Zusammenhang mit internationalem Organ-, Embryo- und Gametenhandel.
  • Die Medikalisierung des weiblichen Lebens sowie gemachte Unfruchtbarkeit etwa durch Verhütungsmittel oder den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft.
  • Die „Dritte Welt“ als Experimentierfeld für neue Fortpflanzungs- und Gentechniken.
    Kurzum, die alten Abhängigkeiten und die gleichen Proteste.

[1Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering

[2Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering