ZOOM 4+5/1996
Oktober
1996
Stay behind the NATO

Schweiz

Die Schweiz bemühte als einziges Land eine Parlamentskommission, um ihre eigene Untergrundarmee, genannt P-26, zu untersuchen.

Allerdings sind die Enthüllungen über diese Guerillaorganisation in der Schweiz sozusagen auf eigenem Mist gewachsen. Während die anderen europäischen Länder erst durch den Gladio-Bericht des italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti bloßgestellt wurden, war in der Schweiz schon im Frühjahr 1990 der „Fichen-Skandal“ geplatzt.

Durch die Entdeckung der Fichen stolperte man dann über die geheime Truppe P-26. Diese Stay-behind-Truppe soll ab 1967 aufgebaut und mit dem Netz „außerhalb“ der NATO verbunden worden sein. Dabei konnte die Kommission eine Verbindung nach Großbritannien feststellen. So fanden gemeinsame Übungen 1983, 1986 und 1988 statt, bei denen Sabotagekurse veranstaltet und Fallschirmabwürfe von Nachschubmaterial geübt wurden. Der britische Geheimdienst hat für die P-26 militärische Geräte erworben. Ein Dokument, Joint Working Agreement genannt, ist aufgetaucht, das die Benützung von Ausbildungsanlagen in England, den Aufbau einer schweizerischen Funkübermittlungszentrale bei London mit dem in der NATO verwendeten „Harpoon“-System und eine gemeinsame Ausbildung mit aktiven und offiziellen britischen Diensten in einer geheimen Bergfestung namens „Alpengarten“ regelt. Die Exilbasis hätte laut „Dossier Edelweiß“ bei einem Angriff in London etabliert werden sollen. Dort befindet sich auch die größte Filiale des CIA im Ausland. Von dort aus soll die CIA mittels einer Kommandozentrale auch alle Stay-behind-Organisationen lenken. Eben mit Hilfe des deutschen Kommunikationssystems „Harpoon“ der Daimler-Tochter AEG/TST, das für alle Mitglieder (854 Stück zu 130 Millionen Mark) der Stay-behind-Organisationen vom BND (Eigenbedarf 138 Geräte zu 25 Millionen Mark) bestellt, aber abzüglich der deutschen Geräte von den nationalen Regierungen bezahlt wurde. Um den Anschein der Schweizer Neutralität zu wahren, scheint 1987 als Auftraggeber und Weiterverkäufer (je nach Quelle 15 oder 20 Millionen Franken) in die Schweiz der gute bilaterale Engel, nämlich Großbritannien, auf. Mit dem Kommunikationssystem der Schweizer Armee ist das der P-26 nicht kompatibel gewesen, sondern nur mit jenen der anderen Stay-behind-Organisationen.

Notwendigerweise unvollständige Geschichte

Schon 1950, also etwa zeitgleich mit den anderen europäischen Ländern, organisierten einige Oberste der Schweizer Armee eine Widerstandsgruppe, die als „territorialdienstliche Organisation“ der Armee angegliedert war.

Ein Beschluß des Bundesrates vom 12.1.1951, der eine „Verordnung über die Wahrung der Sicherheit des Landes“ zum Inhalt hatte, galt bis zu seiner Aufhebung am 21.2.1990 als Grundlage der „unkontrollierten Tätigkeit der Bundesanwaltschaft“ in der Schweizer „Fichen-Affäre“. Dabei handelte es sich um zivile und militärische Internierungslisten für „Verdächtigte“ und „Extremisten“-Karteien (angeblich 10.000 Menschen). Eine Kategorie für zu internierende Personen lautet so: „Extremisten, bei denen aufgrund ihrer bisherigen politischen Tätigkeiten und aus persönlicher Neigung damit zu rechnen ist, dass sie bei einem bewaffneten Angriff auf unser Land oder im Falle schwerer innerer Unruhen die politische Führung mit oder ohne Hilfe einer fremden Macht übernehmen würden.“ Der Zusammenhang mit der Aufgabenstellung der Stay-behind-Truppen ist evident.

Nach dem ungarischen Aufstand gab es einige öffentliche Erwägungen, z.B. von seiten des damaligen Zürcher Nationalrates Erwin Jäckle, der einen totalen Volkswiderstand über die Feldarmee hinaus propagierte. Der Bundesrat und auch der damalige Generalstab lehnten diese Ideen auf Grund völkerrechtlicher, innen- und außenpolitischer Bedenken ab. Ab da schien sich diese Organisation zu verselbständigen und von der Armee zu lösen. 1965 wurde sie schließlich aus dem Territorialdienst der Armee herausgelöst und als „Spezialdienst“ der Untergruppe Nachrichten und Abwehr (UNA), dem militärischen Geheimdienst, zugeteilt.

Als Vorläuferorganisation der P-26 wurde der streng geheime Spezialdienst D seit 1976 von dem UNA-Oberst Albert Bachmann geführt, geriet aber in die Schlagzeilen und mußte deshalb reorganisiert werden. Die österreichische Abwehr wußte nämlich spätestens seit 1979 von dem streng geheimen Schweizer Dienst. Bachmann schickte einen Agenten namens Kurt Schilling (nomen est omen) nach Österreich, um eine Raumverteidigungsübung des Bundesheeres auszuspähen. Er wurde gefaßt, verurteilt und in die Schweiz abgeschoben, wo er noch einmal verurteilt wurde, wegen seines Geständnisses über den streng geheimen Spezialdienst D gegenüber den Österreichern. Dadurch wurde bekannt, daß Bachmann einen privaten Geheimdienst aufgezogen hatte und über Tarnfirmen Hotels in Irland und Grundstücke in Kanada für eine Exilregierung im Besatzungsfall gekauft hatte. Unter dem Decknamen „Schwarze Hand“ lief ein reger Nachrichtenaustausch des Spezialdienstes D mit dem BND in Pullach. Die damit verbundene Neutralitätsverletzung machte Bachmann vollends untragbar.

Der Spezialdienst D soll auf Grund des Berichts des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz (Konzeption der Gesamtverteidigung) vom 27.6.1973 gegründet worden sein. Dort heißt es im Absatz 426: „Eine Besetzung des Landes darf nicht das Erlöschen jeden Widerstandes bedeuten (...). Aber alle Möglichkeiten, günstige Voraussetzungen für den aktiven Widerstand zu schaffen, müssen früh wahrgenommen werden.“

Der Sicherheitsbericht selbst aber ortet seine Feinde in der eigenen Bevölkerung: „Ihre Urheber, ob sie zugunsten eines fremden Staates, im Banne einer fremden Ideologie, oder aus anarchistischen Motiven handeln, nützen innerstaatliche Gegensätze und alle Formen des politischen oder gesellschaftlichen Unbehagens von Bevölkerungsgruppen für ihre Zwecke aus.“ Damit wird das eigene Volk ins Visier genommen, da dann jeder Streik und andere Unmutsäußerungen gegen die Regierung und die Mächtigen des Landes als unschweizerisch, wenn nicht gar als kommunistisch inspiriert bezeichnet werden können. So hat Bachmann schon 1959 das „Soldatenbuch“ herausgegeben, in dem zu lesen ist: „Unzuverlässige Elemente, Ausländer, Verdächtige werden überwacht oder vorsorglich in Lagern untergebracht.“ In Folge der Affäre um Bachmann wurde 1981 auf Anregung der damaligen Untersuchungskommission ein parlamentarischer Beirat zur Begleitkontrolle gebildet, dessen Mitglieder geheimgehalten werden.

P-26

Der Name der Organisation P-26 kommt laut Jörg Zumstein, Generalstabschef in den Jahren 1981 bis 1985, von der entsprechenden Ziffer im erwähnten Sicherheitspolitikbericht 1973, Absatz 426. Darin soll der Auftrag, der Wille zum bewaffneten Widerstand im feindbesetzten Gebiet, festgeschrieben worden sein. Für die materielle Kriegsbereitschaft ist der Generalstabschef zuständig. Zumstein hat die ein Jahr vorher neu strukturierte Organisation bei seinem Amtsantritt übernommen und wies in seiner Verteidigung dieser Gruppe auf ihre Kaderfunktionen, ihre Bereitschaft für den Einsatz durch den Bundesrat im Besetzungsfalle und auf die ihr angehörigen „durchaus senkrechten, ehrenwerten Männer und Frauen“ hin. Die zuständigen Bundesräte und der Beirat waren seiner Meinung nach ausreichend informiert.

Nach der Affäre Bachmann wurde diese Organisation nicht mehr als Privatarmee geführt, sondern wegen der entstandenen Vertrauenskrise direkt dem Generalstabschef, d.h. Zumstein, unterstellt und damit in die staatlichen Machtstrukturen eingebunden. Durch die parlamentarische Untersuchungskommission wäre, so Zumstein, der Schweizer Widerstand, „liberi ed armatissimi“, über den organisierten Kampf hinaus tot: „Der Vorgang hat historische Dimensionen, er berührt das biologische Grundmuster unserer staatlichen Gesellschaft.“

Der Chef der P-26 war 1990 Generalstabsoberst Efrem Cattelan, Codename „Rico“, der die Tarnfirma Consec AG für Personal- und Kaderschulung an der Freien Straße in Basel führte. Der frühere Vizedirektor der National-Versicherung hatte lange Zeit als Armee- und Offiziersausbildner gedient. Rund 400 Leute (Sollbestand 1000) standen unter seinem Kommando. Finanziert wurde die Gruppe aus Kreditüberschüssen der ordentlichen Waffenbeschaffung und aus Zinserträgen von vorfinanzierten Rüstungsverkäufen. So flossen etwa elf Millionen Franken pro Jahr von Bern nach Basel. Geheime Waffendepots, 1990 in einem technisch modernen Zustand, waren über das ganze Land verstreut. In ihnen befanden sich Maschinenpistolen, Gewehre mit Schalldämpfern, Granaten usw. Eine geheime Anlage befand sich bei Gstaad, sie soll seit 1983 benützt worden sein. Cattelan ist am 30. Juni 1979 vom Generalstabschef Hans Senn, anderen Zeitungsmeldungen zufolge Richard Ochsner zum Gehalt von 240.000 Schweizer Franken als Leiter des Projekts 26 angestellt worden. 1988 ließ der damalige Generalstabschef Goldplättchen im Wert von sechs Millionen Franken als Kriegskasse der P-26 bei verschiedenen Banken einlagern.

Außer dem obengenannten schweizerischen Äquivalent zur italienischen Gladio, welche auch mal von schweizerischen Untergrundoffizieren besucht wurde, existierte auch noch eine P-27-Organisation (was besagt wohl der entsprechende Absatz 27 im Sicherheitspolitikbericht von 1973?) als außergewöhnliches Beziehungsnetzwerk zu ausländischen Persönlichkeiten.

Konsequenzen

Die parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) kritisierte sowohl die fehlende Rechtsgrundlage als auch die nicht vorhandene Kontrolle der politisch Zuständigen für diese Geheimorganisation: „Die Gefahr eines Mißbrauchs durch Selbstaktivierung besteht.“ So gab es auch den Fall eines „Umsturzes im Innern durch Unterwanderung“ für die geheimen Kader, was laut PUK-Bericht folgenden Schluß zuläßt: „Dieses Szenario schliesst nicht aus, dass die Organisation auch bei einem in demokratischen Formen zustande gekommenen Machtwechsel eingesetzt werden könnte.“ Des weiteren wurde festgestellt, daß die militärischen Nachrichtendienste entgegen ihrer Aufträge und ohne adäquate Kontrolle auch im Inland spionierten. Die Arbeit der Kommission wurde immer wieder behindert, ein Protokollführer rechtzeitig als UNA-Spitzel enttarnt. Allerdings konnte sie etwas Wesentliches nicht feststellen: Wer für den Befehl zur Aktivierung der P-26 zuständig war.

Der Bericht von Bundesrat Kaspar Villiger, zuständig für das Eidgenössische Militärdepartment (EMD), vom 13.8.1990 sieht die Rechtsstaatlichkeit hinsichtlich der P-26 so: „Das bedeutet, dass das ‚Legalitätsprinzip‘ sich auf Kompetenzfestlegungen zurückzieht und den Inhalt der Handlungen nicht zu bestimmen beansprucht, auch wo es in strengster und doktrinärer Anwendung angerufen wird.“ Ansonsten begründet man die völlig fehlende Gesetzesgrundlage mit der nötigen Geheimhaltung.

Die Organisation soll auf Regierungsbeschluß durch den Generalstabschef aufgelöst worden sein. Zusammenhänge mit der NATO wurden trotz des Harpoon-Systems und eines P-26-Dokumentes, das ein Einsatzszenario für Europa zum Inhalt hat, von der Regierung bestritten.

So auch vom Chef der P-26 Cattelan und dem früheren Generalstabschef Hans Senn: Ähnlichkeiten gäbe es zwar zu den Stay-behind-Organisationen, aber die Zusammenarbeit mit London hätte stets bilateralen Charakter und keinen NATO-Hintergrund gehabt. Ihrer Meinung nach habe das Parlament in Bern von der Existenz der Gruppe gewußt und ihr Rechtmäßigkeit bescheinigt. Senn bezeichnete die P-26-Mitglieder als „Knechte des Vaterlandes“. Cattelan behauptete, „im Interesse und zugunsten des Landes“ gehandelt zu haben.

Linke und Grüne hingegen sehen Zusammenhänge zwischen dieser Truppe und den Sprengungen von Strommasten in der Nordwestschweiz und der Bedrohung prominenter AKW-Gegner bei den Auseinandersetzungen um das AKW Kaiseraugst. Die Polizei sah damals zwar auch Profis am Werk, aber die Untersuchungen schliefen ein.

Die geheime Truppe dürfte nur schlafengelegt worden sein, denn in der „Freitagsrunde“ des Schweizer Fernsehens am 7.11.1990 sprach Cattelan wiederholt von einem Sistierungsbeschluß und fügte schließlich auch noch eine Drohung hinzu: „Wenn der Schlußstrich (...) gezogen ist, dann bin ich ein Privatmann. Und dann kann ich nicht mehr garantieren, daß irgendwo eine private Organisation irgendetwas macht.“

Auch der neue Sicherheitsbericht des Bundesrates vom 1.10.1990 bestätigt weiterhin den „militärischen Widerstand auch in besetzten Gebieten“. In der Zeitschrift „Die Weltwoche“ vom 1.8.1996 beschäftigt sich Gustav Däniker, Divisionär a.D., ausgiebig mit den Kritikern des EMD und schreibt im O-Ton: „Die Kritiker von heute täten somit gut daran, zu bedenken, was es konkret hiess, beiden Zielen gerecht zu werden.“ Gemeint sind erstens die in der Schweiz so genannte Abhaltestrategie gegenüber der Sowjetunion und zweitens die „innere Unruhebekämpfung“. Die Kritiker werden wohl das Gefühl nicht los, daß die Militärs zumindest dem zweiten Teil ihrer Strategie gerecht geworden sind. Weiters meint der Divisionär a.D., daß es keine geheimen Absprachen mit der NATO gegeben hätte und daß die Friedensbewegten von dem NATO-Schutzschild, gegen den sie immer so heftig protestiert haben, profitiert hätten. Ja, das hat einem seinerzeit eben keiner gesagt, sonst hätten alle friedensbewegten SchweizerInnen auf den Knien Gott für die Existenz des EMD und der NATO gedankt und die Neutralität zum Teufel gejagt.

Quellen:
friedenszeitung, 43/85, 49/85, 103/90, 104/90, 112/90;
Hamburger Abendblatt, 22.11.1990;
Die Tageszeitung, 23. & 24.11.1990;
Die Welt, 24.12.1990;
Frankfurter Rundschau, 28.11. & 1.12.1990;
Neue Zürcher Zeitung, 2.12.1990;
Neues Deutschland, 7.12.1990;
Die Welt, 8.12.1990 & 9.2.1991;
Süddeutsche Zeitung, 10.12.1990;
Spiegel , 10.12.1990;
WoZ, 14.12.1990;
Die Presse, 16.10.1991;
Die Weltwoche, 1.8.1996;
Leo A. Müller: Gladio – das Erbe des Kalten Krieges. Der NATO-Geheimbund und sein deutscher Vorläufer. Mit einem Beitrag von Werner Raith. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg, 1991;
Erich Schmidt-Eenboom: Der BND. Die unheimliche Macht im Staate, ECON Taschenbuch, Düsseldorf 1995.
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