FORVM, No. 496-498
Juni
1995

So verrückt wie sie meinen

Warum die Grünen die Hetze gegen das TATblatt nicht mitmachen

Wie gewaltbereit ist die linke Szene wirklich? Seit Jahren hat kein Thema die emotionalen Wogen der Österreicher so in die Höhe gepeitscht wie der Anschlag von Ebergassing. Leider, denn der rechte Terror hat bereits Opfer gefordert, ohne gewaltige Reaktionen dieser Art auszulösen.

Die Grünen unterscheiden in ihrer Antwort klar zwischen den verunglückten Tätern und den in der Öffentlichkeit gewaltsam mit ihnen in einen Tatzusammenhang gerückten Herausgebern der selbstverwalteten Zeitschrift ‚Tatblatt‘. Nein, die ‚Tatblatt‘-Macher sind keine Terroristen und das ‚Tatblatt‘ ist nicht das Zentralorgan eines bewaffneten Kampfes gegen den Staat, als das es in den letzten Wochen von Freiheitlichen, Teilen der ÖVP und Wiener Medien hingestellt wurde.

Gerade weil wir bei dieser Pauschaldiffamierung nicht mitmachen, stellen wir kritische Fragen und bemängeln die fehlende Distanz des ‚Tatblatt‘ zu politisch motivierten Gewalttaten. So rechtfertigen die Macher in der letzten Ausgabe (8/95) den Abdruck von RAF-Bekennerschreiben mit den Worten: »Das bedeutet noch lange nicht, daß wir das alles gut finden. Es schließt dies aber sicherlich auch nicht aus.« Wir lehnen diese verbale Koketterie mit Gewalt entschieden ab und verlangen vom ‚Tatblatt‘ eine klare Distanzierung von dem versuchten Anschlag von Ebergassing. Schon jetzt sitzt das ‚Tatblatt‘-Kollektiv zwischen den Stühlen der Distanzierer und einer Handvoll von Anhängern staatsfeindlicher Militanz — dabei will das ‚Tatblatt‘ gar nicht sitzen, sondern sich bewegen.

Ohne die unmißverständliche Ausgrenzung gewaltbereiter Personen und ihrer Meinung wird es keine finanzielle oder materielle Unterstützung einer Alternativzeitung von unserer Seite mehr geben; das haben die Grünen in ihrem höchsten Gremium nach dem Bundeskongreß, dem Erweiterten Bundesvorstand, am 12. Mai beschlossen.

Unser Bekenntnis zum gewaltfreien Widerstand

Keine andere Partei oder politische Bewegung der österreichischen Geschichte hat sich so nachdrücklich für Gewaltfreiheit als oberstes Prinzip der politischen Auseinandersetzung eingesetzt wie die Grünen. Das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit ist der politische Kern unseres Parteiprogramms und erfolgt nicht aus politischem Kalkül, sondern weil wir zutiefst davon überzeugt sind, daß gewaltfreie Methoden die einzig zielführenden Aktionsformen des Widerstands von Bürger- und Basisinitiativen sind. Selbst bitterste Frustrationen, soziale Ungerechtigkeiten und Ausgrenzungen dürfen nie dazu führen, die Gewaltfreiheit aufzugeben.

Wir sehen die Bedeutung des gewaltfreien Widerstands im wesentlichen in der Politisierung größer werdender Bevölkerungsteile. Politisierung meint mehr als den Transport von Inhalten, Politisierung meint das Aktivwerden der Bürger in Richtung auf ein Mehr an Selbstständigkeit, an Solidarität, in der Entwicklung von Widerstandsbereitschaft, in der Suche nach neuen Formen des zwischenmenschlichen Verkehrs.

In Zeitungen wie dem ‚Tatblatt‘ werden Teile einer Szene vernetzt, die ansonsten in der Anonymität der Großstadt rasch ihr Ende fänden. Das ist gut so. Um aber politisch ernstgenommen zu werden, ist es für Alternativmedien unerläßlich, die Rhetorik der Verschwörung über Bord zu werfen und einen konstruktiven Dialog über gewaltfreie Formen von Protest und Widerstands zu entfalten. Das Instrumentarium des zivilen Ungehorsams ist dafür groß genug; es umfaßt eine breite Palette friedlicher Aktionen: von Sit-Ins und Sleep-Ins über Demonstrationen, Blockaden und Boykotts bis hin zum organisierten Streik als letztem Mittel. Besonders Sitzblockaden und Demonstrationen haben der Umweltbewegung in Hainburg gezeigt, daß sich ziviler Ungehorsam gegen ungerechte Gesetze, Gerichts- und Strafverfahren auf Dauer bezahlt macht.

Wo beginnt, wo endet die Gewaltfreiheit? Gibt’s nur das harmlose Sitzen und Sitzenbleiben oder vielleicht auch das aktive, absichtsvolle Sich-Hinsetzen, das dem Genötigten nur die Wahl läßt, zu weichen oder den Blockierer unter erheblicher körperlicher Kraftanstrengung wegzutragen? Das sind spannende Fragen, die zeigen, daß gewaltfreie Methoden kein feiges Davonstehlen sind, sondern ihre Wirkung ständig neu überprüft werden muß. Erst im März hat beispielsweise der deutsche Bundesverfassungsgerichtshof entschieden, daß Sitzblockaden vor militärischen Einrichtungen nicht als Straftatbestand der Nötigung gewertet werden dürfen.

Wie wir aus der Geschichte wissen, kann der gewaltfreie Widerstand im Extrem auch das Recht auf symbolische Angriffe gegen öffentliches Eigentum umfassen, das etwa keine Existenzberechtigung mehr hatte, als es in Form von Einberufungsbefehlen unmittelbar zur Ausführung des verbrecherischen Kriegs in Vietnam diente. Ich habe mein Buch »Das grüne Projekt« ganz bewußt dem österreichischen Widerstandskämpfer Karl Gröger gewidmet, der mit der Zerstörung der Einwohnerkartei von Amsterdam zahlreiche jüdische Mitbürger vor den Gaskammern retten konnte. Keine dieser Extremsituationen liegt im demokratischen Österreich von heute vor.

Der Erfolg der Gewaltfreiheit ist momentan sicher in der Umwelt- und Tierschutzbewegung am größten. Die spektakulären Aktionen von Greenpeace, Robin Wood, Global 2000 und Friend Of The Earth haben bei der Mobilisierung breiter Bevölkerungsteile tausendfach geholfen, was sich von den boshaften Heldenstreiche der autonomen Stammtische nicht gerade behaupten läßt. Umgekehrt hat der Anschlag von Ebergassing niemandem mehr geschadet, als den burgenländischen und niederösterreichen Bürgerinitiativen, die gegen den Bau einer weiteren 380kV-Leitung für den zukünftigen Atomstromtransit kämpfen.

Überzeugungsarbeit unter den Sympathisanten von Ebergassing

Wenn sich die Grünen heute etwas vorzuwerfen haben, dann nicht daß sie zu einer Periode, in der das ‚Tatblatt‘ staatliche Zuwendungen aus den Mitteln der Presseförderung und der Arbeitsmarktverwaltung erhielt, Wahlkampfinserate schalten ließen. Wenn sich die Grünen etwas vorzuwerfen haben, dann daß sie den politischen Dialog mit der autonomen Szene zeitweise vernachlässigt und nicht intensiv genug geführt haben.

Wer enttäuschten Jugendlichen nur mit der Staatsgewalt begegnet, schneidet den Dialog ab. Wir betrachten die Täter von Ebergassing und ihre Sympathisanten als politische Gegner; genauso wie jene ÖVP-Politiker, die vermummte Jugendliche genußvoll zu gefährlichen Bombenlegern hochstilisieren. Im Unterschied zur ÖVP wollen wir die gewaltbereite Szene aber nicht sich selbst überlassen. Der Dialog muß uns interessieren, weil wir diskutieren wollen, wie sich der Anschlag auf jene auswirkt, die von Gesetzen und Parlamenten eigentlich nichts halten.

Gegen das unreflektierte Feindbild Polizei

Das ‚Tatblatt‘ hat sofort nach Ebergassing einen Maulhalte-Appell veröffentlicht, um die Ermittlungsarbeiten der Polizei zu behindern. Als Begründung dafür wurde später angeführt, daß die Behörden beabsichtigen, biographische Profile der Verhörten anzulegen, um so die Szene als ganzes zu durchleuchten. Die meisten Österreicher sehen in diesem Argument mit Recht eine Ausrede, mit der sich einige vor einer klaren Distanzierung drücken wollen. Nicht die Sicherheitsbehörden, sondern Wiener Tageszeitungen und Wochenmagazine haben linke Gruppierungen und Alternativmedien unter pauschalen Terrorverdacht gestellt.

Als weitere Begründung für den Maul-halte-Appell wurde angeführt, daß es dieselbe Polizei sei, »die tagtäglich Ausländer und andere Minderheiten terrorisiert« (‚Tatblatt‘ 8/95). Auch dieses Argument ist nicht akzeptabel, da das Gewaltmonopol für den modernen Staat unverzichtbar ist und nicht der Polizei die politische Verantwortung für ihre Arbeit zugeschoben werden kann.

Die österreichische Polizei ist Teil eines Systems zur Herstellung von Ordnung und Konfliktregelung. Zu diesem Zweck verfügt der Staat über ein Gewaltmonopol: ein Monopol auf die Ausübung von physischer Gewalt gegen die körperliche Unversehrheit und Freiheit von Menschen. Dieses Gewaltmonopol haben die modernen Staaten historisch errungen, indem sie feudale, lokale, private Gewaltförmigkeit beseitigt haben. Wer es in Frage stellt, verläßt nicht nur den Boden der Demokratie, sondern will das Rad der Geschichte zurückdrehen.

Unterdrückte Nachrichten — Mythen linker Blattmacher

Zu den liebgewonnenen Mythen der linken Zeitungsproduktion gehört die unkommentierte Wiedergabe sogenannter unterdrückter Nachrichten, worunter im ‚Tatblatt‘ vor allem Bekennerschreiber und Anschlagserklärungen verstanden werden. Keine Redaktion kann sich aus der Verantwortung für das Gedruckte stehlen. Schließlich treffen die Redakteure durch die Auswahl der Nachrichten aus einer Flut von Information eine Entscheidung für ihre Leser und müssen diese begründen können. Der unkommentierte Abdruck von Anschlagserklärungen und das Fehlen klarer Distanzierungen von angeblich bloß dokumentierten Inhalten sind ein unverantwortliches Spiel mit dem Feuer.

Wäre das ‚Tatblatt‘ das, wofür es sich hält, nämlich der substanzielle Teil einer Gegenöffentlichkeit, spräche es eine andere Sprache. Nicht die Sprache der augenzwinkernden Konspiration, sondern die klare, verständliche Sprache derer, die sich sonst nirgends artikulieren können. Wer aus dem Rechtsruck der österreichischen Innenpolitik nicht endlich lernen will, daß man nur etwas verändern kann, wenn man sich um Verständlichkeit bemüht, der meint es gegen Haider nicht wirklich ernst.

Die verrückten Täter von Ebergassing

Ich neige nach den Ereignissen der letzten Wochen dazu, in Peter Konicek und Gregor Thaler Personen zu sehen, deren Verblendung und Wut eine vielleicht verstehbare und menschlich begründbare Geschichte hat, möglich; deren persönlich und politisch fataler Griff zum Sprengstoff aber nicht nur Ohnmacht und Blindheit ausdrückt, sondern gerade zeigt, daß wir immer Gefahr laufen, einen Teil unseres Selbstverständnisses aus den Händen unserer Gegner in Empfang zu nehmen.

Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, daß der gewaltige Druck der Vorurteile, der auf die Köpfe ausgeübt wird, so stark ist, daß die Betroffenen mitunter anfangen, die Vorurteile der Gesellschaft — »Chaoten, Randalierer, grün-anarchistische Bombenleger« — in eigene Regie zu übernehmen und sie eines Tages selbst meinen, sie seien so verrückt, wie sie da gezeichnet werden.

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