ZOOM 1/1996
Januar
1996

So wie es ist, ist es nicht

„Muß von zwei einander völlig widersprechenden Aussagen unbedingt die eine wahr und die andere falsch sein?“ (Verschleierungstechniken, in: Wichtig – Kunst von Frauen, Wien 1989) Ein Gesprächsporträt von Liesl Ujvary, Künstlerin in Wien.

Was die Welt zusammenhält

 
Harte Zeiten – Weiche Knie
Volle Brüste – Leere Taschen
Heisse Nächte – Kalter Kaffee
Saure Trauben – Süßes Leben
Enge Hosen – Weite Herzenr
Teure Heimat – Billige Angebote
Reiche Ernte – Arme Schlucker
Große Chancen – Kleine Fische
Dünne Suppe – Dicke Luft
Leichte Mädchen – Schwere Geschütze
Helle Köpfe – Dunkle Geschäfte
Lange Finger – Kurzer Prozeß
Alte Lieder – Neue Gesichter
Scharfe Sachen – Milder Wein
 
aus: Sicher & Gut, Wien 1977
ZOOM: In der Publikation „Wichtig – Kunst von Frauen“, die 1989 erschienen ist, versuchst Du, Alternativen zur zweidimensionalen Logik herzustellen.

Liesl Ujvary: Ja, ich wollte zeigen, daß diese zweiwertige Logik, also ja–nein, gut–böse, oben–unten, aber eben auch Mann–Frau, also, daß diese zweiwertige Logik, die ja schon auf Aristoteles zurückgeht, ein Beschreibungsmodell ist, das schwerwiegende Folgen für unsere ganze moralische Einschätzung, für unser ganzes Weltbild hat. Es sagt heute natürlich kaum mehr jemand, daß Frauen dümmer sind als Männer, glücklicherweise, aber in dem Gegensatzpaar Mann–Frau passieren trotzdem immer wieder seltsame Zuordnungen.

Das Wertesystem, das sich um die zweiwertige Logik angesiedelt hat, erweist sich als relativ stabil. Diese Konnotationen gliedern sämtliche gesellschaftlichen Hierarchien und Institutionen bis hin zum Wetterbericht. Schönwetter ist Hoch, Schlechtwetter ist Tief. Natürlich sind alle diese Zuschreibungen sehr komplex, aber wir wissen, ich meine: Wir können alle vermutlich auf Anhieb sagen, welche dieser Zuschreibungen zum Beispiel für Frauen gelten. Natürlich kann man aus diesen oft negativ besetzten Feldern bei Bedarf auch leicht Rollenzuschreibungen für andere Gruppen herstellen.

Also wenn Du mich nach Chancen fragst, die sich durch Einbeziehen anderer Denkmodelle ergeben können, würde ich sagen, es sollten sich neue Chancen ergeben. Vielleicht ist die Art von Literatur, wie wir sie machen, also zum Beispiel eine Infragestellung der zwingenden Kausalverhältnisse, ein kleiner Schritt in diese Richtung.

Gibt es bei Dir einen Zusammenhang zwischen politischer Realität und Deiner künstlerischen Arbeit?

Hier gibt es natürlich einen Zusammenhang. Wir erleben ja die politische Realität auf verschiedene Weise: Einerseits indem sie uns direkt betrifft, als reale Zwänge, unter denen wir leiden, andererseits, die zweite Ebene, wie wir sie im Fernsehen vermittelt bekommen, wie zum Beispiel ein Politiker im Fernsehen redet, sich inszeniert. Oder die „Kronen Zeitung“ mit ihrem sprachlichen Umfeld. In der Literatur ist natürlich die hauptsächliche Vermittlungsebene die Sprache.

In meinen literarischen Arbeiten geht es nicht darum, die Menschen zu beschreiben, quasi sie aus ein paar Eigenschaften nach dem Legosteinprinzip zu konstruieren und zu erklären, sondern es geht darum, gerade die Stimmungen, Uneindeutigkeiten darzustellen. Ich hab das in meinem kürzlich erschienenen Roman „Lustige Paranoia“ versucht. Es ist eine Art des Problematisierens unseres Leben, über die Dinge, die uns nicht gefallen, und das, woran wir trotzdem Spaß haben. Wir können natürlich sagen, alles läuft relativ beschissen, Sparpaket zum Beispiel, aber dann scheint wieder die Sonne, und wir versuchen das zu machen, was uns Spaß macht.

Würdest Du sagen, daß es in Deiner Kunst ein subversives Potential gibt?

Es geht darum, das Denken, auch das eigene, zu verändern. Die Sprache, also der sprachliche Ort, an dem Literatur stattfindet, ist eine ganz eigene Sphäre. Sprache ist nicht nur ein Instrument zur Realitätsspiegelung, sondern sie ist auch ein Instrument des Denkens. Ein sprachlicher Tatbestand kann nicht mit Realität gleichgesetzt werden. Umgekehrt läßt sich die Wirklichkeit sprachlich nicht als eindimensionale Kausalität darstellen.

Es ist sicher ein Problem der sogenannten realistischen Literatur, daß sie ein sehr mechanisches Bild der Wirklichkeit darstellt. Die Personen haben dann einen Namen, ein Alter, einen Beruf und eine Freundin. Und diese Freundin hat wieder einen Namen, ein Alter, einen Beruf und so weiter. Das wird dann nach dem Bausteinprinzip aufgebaut. In meinen Texten entwickelt sich in diesem Sinne nichts, denn ich frage mich, wo sich bei den Menschen so viel entwickelt, zum Beispiel zwischen Frühjahr und Herbst, wenn man irgendwie so dahinstolpert und dahinholpert durchs Leben, und das tun wir ja alle. Ich meine: Heute gehst du schwimmen, morgen zum Rechtsanwalt, am Abend bist du müd’ und kannst dann nicht schlafen in der Nacht. Mir geht es eher darum, Denkmuster darzustellen. Zum Beispiel in den „Heissen Stories“ geht es um hochemotionalisierte Blicke auf die Wirklichkeit, die gesellschaftliche Wirklichkeit und unsere persönliche Wirklichkeit, wie sie sich realisieren kann.

Die letzten Veranstaltungen, die Du organisiert hast, waren Diskussionen zu den Themen „Rechtsradikale Mythen“, „Die Seele des Fußballs“ und „Post-Punk-Musik“.

Ich habe vier Personen aus verschiedenen Gebieten eingeladen, zum Beispiel Stefan Krist als Ethnologen, Sabine Scholl als Autorin und Gerhard Grössing als Physiker, die sich, jede und jeder auf seine oder ihre Art und Weise, mit diesen Themen auseinandersetzten.

Das Thema „Rechtsradikale Mythen“ sollte sich mit der Frage befassen, was die Menschen an solchen Mythen fasziniert und wie das in der Kultur, man muß schon sagen, überhandgenommen hat. Es ging nicht nur darum festzustellen, daß das schlecht ist, sondern auch um die Frage, woher diese Faszination kommt. Das Thema hatte besondere Aktualität durch den Aufsatz „Anschwellender Bocksgesang“ [1] von Botho Strauß.

Das Thema „Die Seele des Fußballs“ sollte sich mit dem Sport als Psychodrama befassen, was mir beim Fußball besonders deutlich erscheint, weil es ein Mannschaftssport ist. Im Unterschied zum Schifahren, wo es zwar auch emotionalisierte psychodramatische Effekte gibt, aber sie kommen nicht so deutlich zur Darstellung: Man sieht einen oder eine nach der anderen runterfahren und vergleicht Zwischenzeit und Resultat.

Musik fasziniert mich sehr, ich höre sehr viel Musik, mache auch selber Musik am Computer, die gibts dann zum Beispiel in verschiedenen Kunstradiosendungen zu hören. Das ist mir ganz wichtig. Es macht auch ungeheuer viel Spaß.

Woran arbeitest Du gerade?

Mein nächstes Buch wird in der „Edition ch“ erscheinen. Es heißt „NeuroZone“. Das Grundthema ist die Frage nach Identität und Kontinuität. Es gibt da so ein Gartengestaltungsprogramm, wo sich die Leute ihre Gärten am Computer gestalten können, man kann Bäume aussuchen, den Boden wellig oder eben machen, bestimmte vorgefertigte Teile zu Häusern zusammenfügen. Ein sehr lustiges Programm. Ich habe nun solche Bilder von Gärten und Häuschen gestaltet und diesen Bildern Texte mit der Frage nach Identität zugeordnet.

Wie jemand seine Wohnung gestaltet oder sich kleidet, ist Ausdruck von sogenannter Identität. Zum Beispiel habe ich da ein kleineres Häuschen hingestellt, das definiere ich als Elternhaus. Und das steht wieder für eine ganz bestimmte Art von Lebensform und Konstruktion der Identität. Dann gibt es natürlich die Frage nach der Notwendigkeit von Identität, naja, und eine Antwort auf diese Frage gab vor kurzem eine Partnersuchsendung, wo sich junge Menschen auf der Suche nach Freund oder Freundin vorstellen und dazu ihre wesentlichen Merkmale beschreiben. Ein junges Mädchen sagte da: „Ich lese viel, so verschiedene Sachen, ich habe eine Katze, und mein Freund soll lustig sein und pünktlich.“ Also solche Selbstbeschreibungen und Erwartungen werfen auch ein bestimmtes Licht auf den Begriff Identität.

Bei meinem neuen Buch gehen die gestalteten Gärten von pubertärem Größenwahn bis zur Altersdepression, also in die Richtung, in die wir uns ja alle bewegen, mehr oder weniger.

Du hast viel mit Frauen zusammengearbeitet und Dich in feministischen Zusammenhängen engagiert. Gibt es da eine Enttäuschung, daß zuwenig erreicht wurde?

Im Augenblick gibt es ein Rollback, allgemein und überall. Aber ich denke, die Frauen, also wir alle, sollten uns davon nicht entmutigen lassen. Es sind jetzt viele Sachen Allgemeingut geworden, die es vor zwanzig Jahren noch nicht waren, und den meisten Frauen ist bewußt, daß sie benachteiligt sind und daß es notwendig ist, sich für manche Sachen einzusetzen. Es ist auch so, daß diese Bewegung sicher wieder stärker werden wird, auch wenn es vielleicht ein Weilchen dauert. Das ist vielleicht nicht total ermutigend, aber immerhin.

[1Im „Anschwellenden Bocksgesang“ („Spiegel“, 8.2.93) philosophiert der Autor Botho Strauß über die Wichtigkeit, „rechts zu sein, nicht aus billiger Überzeugung, aus gemeinen Absichten, sondern von ganzem Wesen ...“.

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