MOZ, Nummer 56
Oktober
1990

Solidarität beginnt am Golf

Täglich donnern fünf bis zehn Großraumflugzeuge der US-Airforce über Tirol, Salzburg und Kärnten Richtung Südosten. Tausende Soldaten und Tonnen von Kriegsmaterial fliegen von Ramstein/BRD ihrem Einsatzort am Golf entgegen. Empörung darüber findet — außer bei den Oppositionsparteien — nicht statt. Die veröffentlichte Meinung von „AZ“ bis „WAZ“ spricht von „Übereinstimmung mit UN-Beschlüssen“ und „westlicher Solidargemeinschaft“.

Zur selben Zeit reist der österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim — unbeliebt, wie außer „Krone“ und „Presse“ sämtliche Publikationen hinzufügen — nach Amman und Bagdad und kehrt mit den 100 im Irak festgehaltenen Österreicher/innen nach Wien zurück. Vom „Ausscheren aus der westlichen Solidargemeinschaft“ und der „Entehrung Europas“ ist die Schreibe. Zynischer geht’s wohl nicht mehr. Die Logik der Weltpolitik wird dermaßen von Washington bestimmt, daß US-Fliegern mit tausenden Kriegern an Bord westlich-solidarisch die Flugschneisen geöffnet werden, während der AUA-Flug des Bundespräsidenten als „unsolidarischer Alleingang“ kommentiert wird. Die verkehrte Welt, möchte man meinen — wenn es nicht für manche die richtige wäre.

Nun bin ich kein Verehrer Waldheims und habe auch, wie jeder anständige österreichische Journalist, einen niemals zu Ende geführten Waldheim-Presseprozeß vorzuweisen; das plötzliche, nach acht Jahren Golfkrieg auftauchende Saddam Hussein-Feindbild scheint mir jedoch ein zu dürftiger Anlaß, um die Waldheimmission zu brandmarken und die US-Airforce zu hofieren. Das Ganze dann noch unter dem Mäntelchen des Antifaschismus.

Abgesehen vom Wunsch der Amerikaner, ihre Soldaten ohne Umwege von der BRD in die Krisenregion zu transportieren, spricht alles gegen die Erteilung von Überflugsrechten durch die österreichische Bundesregierung. Weil es noch zu keinen kriegerischen Auseinandersetzungen am Golf gekommen ist, so der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes, gebe es keine neutralitätsrechtlichen Bedenken für den täglichen Lufttransit von C-5-Galaxy und C-141-Starlifter-Transportern. Wozu, glaubt denn der Verfassungsdienst, brauchen die USA am Golf 150.000 Soldaten plus dazugehöriges Kriegsgerät? Um die Wüste zu bewässern?

Nun könnte man einwenden, daß auch der UNO-Sicherheitsrat eine begrenzte militärische Kontrolle des Embargos, mit dem der Irak belegt worden ist, billigt. Aber erstens handelt es sich von Seiten der USA und Großbritanniens schon längst um eine Blok- kade — nach Auffassung von Völkerrechtsexperten eine unerklärte Kriegshandlung —, und zweitens hat Österreich ja nicht einmal den vielzitierten Embargodurchsetzungsbeschluß der UNO — in dem übrigens von Gewaltanwendung nichts zu lesen ist — abgewartet, bevor es sein o.k. für die US-Überflugsrechte gab.

Und dann, ein wenig kompliziert und pitzlig ist die Sache eben, wenn es um Krieg oder Frieden geht, ist in Österreich noch ein Bundesgesetz über Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial in Kraft, nach dem mehrere Richterkollegien in berühmt gewordenen Verfahren einer ganze Riege von Verstaatlichtenmanagern — zu denen sich in Zukunft möglicherweise noch die halbe ehemalige Regierungsmannschaft dazugesellen wird — den Prozeß machen. Und dieses Gesetz fordert eine Lizenz auch zur Durchfuhr von US-Kriegsmaterial. Die ist bis heute nicht erteilt — und nicht angefragt worden. Zu Recht, denn wer will schon überprüfen, was da tagtäglich über österreichisches Hoheitsgebiet geflogen wird? Eine Genehmigung für Unbekanntes, diese Peinlichkeit hat sich die österreichische Ministerrunde, die im Rahmen eines „Rundlaufbeschlusses“ in trauter Eintracht an der Erteilung der Überflugsrechte beteiligt war, erspart; und lieber das Bundesgesetz mißachtet.

Argumentationsnotstand müßte auch Verteidigungsminister Robert Lichal ausrufen. Aber wer tut das schon knapp vor den Wahlen? Denn sein Ministerium war es, das — zugegeben vor Lichals Amtszeit — die Anschaffung der Draken-Abfangjäger genau mit der Beschreibung solcher Szenarien argumentiert hat, wie wir sie heute erleben. In einer „Entschließung zur Umfassenden Landesverteidigung“ aus dem Jahre 1975 heißt es etwa: „Das Bundesheer hat ... im Falle einer internationalen Spannung oder eines Konfliktes ... die Lufthoheit zu wahren ...“ Von Spannung und Konflikt war und ist zwar viel die Rede, von den Abfangjägern indes nichts zu sehen.

Immer noch besser, höre ich den Zweckpessimisten sagen, als die Saab-Draken fliegen gleich mit in die Golfregion. Richtig, dafür sind sie auch nicht gekauft worden. Die US-Luftflotte — stichprobenartig — zwecks Überprüfung der Ladung in Graz- Thalerhof zur Landung zu bringen, dafür haben die Österreicher/innen — gegen ihren Willen, wie ich meine — ihr Geld ausgegeben. Daß dieses nicht passiert, macht aus den 24 Milliarden Schilling für den Ankauf der Draken eine noch sinnlosere Ausgabe, als sie es ohnedies schon ist.

Wohin fliegt sie also, die von Österreich nicht nur nicht aufgehaltene, sondern sogar durchgewunkene US-Airforce? In welcher Mission vergraben sich bisher 150.000 Gis im Wüstensand, genau am ihrer Heimat gegenüberliegenden Ende der Welt?

Die 20. militärische Intervention der USA nach 1945 ist die massivste seit Vietnam. Argumente dafür wurden schon einige verbraucht. „Kuwait schützen“, „für die Freiheit kämpfen“, „das UN- Embargo überwachen”, „die Geiseln befreien“ oder, wie es ein Berater von Präsident Bush für das „Time-Magazin“ zusammenfaßt: „Das Prinzip versteht jeder Dummkopf. Wir brauchen das Öl. Es ist zwar nett, vom Schutz der Demokratie zu sprechen, aber Kuwait und Saudi-Arabien sind nicht gerade Demokratien. Und wenn ihr Hauptexportgut Orangen wären, hätte ein mittlerer Außenamtsbeamter eine Protestresolution (an Saddam Hussein, d.A.) herausgegeben, und wir wären alle im August in den Urlaub gefahren.“ Klartext vom US-Außenamt, derweil über TV und Agenturen das Lied von der Empörung der zivilisierten Welt gespielt wird.

Am meisten Abscheu haben die Zivilisierten vor dem Geiselnehmen, tausende Amerikaner und Europäer befinden sich in den Händen Saddam Husseins. Eine — ohne Wenn und Aber — klar zu verurteilende Vorgangsweise des irakischen Diktators. Aber nicht präzedenzlos, wie uns die Berichterstatter glauben machen wollen. Auch die zivilisierte Welt kennt Geiselnahme und Entführung, Terror werden sie allerdings gemeinhin nur dann genannt, wenn sie gegen die Herrschenden praktiziert werden. Andersherum wird von Selbstschutz oder „Aktion gerechte Sache” gesprochen. So haben beispielsweise die US-Behörden nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Jahre 1941 alle in den USA lebenden japanischen Zivilisten in Geiselhaft genommen und in eigens errichtete ‚camps‘ gesteckt; ihr Eigentum — sogar die buddhistischen Tempel — wurde konfisziert. Die Briten wiederum benutzten Ende der 40er Jahre palästinensische Gefangene als lebende Schutzschilde bei Infanterieeinsätzen gegen palästinensische Siedlungen.

Aber man braucht gar nicht soweit in die Geschichte zurückzublicken, um derlei Kriegspraktik vorzufinden: Die vorjährige Entführung von General Noriega in Panama war ein Lehrstück verabscheuungswürdiger Kriegsführung — inklusive mehrmalige Verwüstung der kubanischen und nicaraguanischen Botschaftsräume sowie Umstellung einer Reihe anderer diplomatischer Vertretungen. 7.000 panamaische Zivilisten blieben — nach einem erst im Sommer 1990 veröffentlichten Bericht einer US- Kommission — tot auf dem Schlachtfeld zurück, Opfer einer Entführungsaktion.

Der empörte Aufschrei der zivilisierten Welt indes blieb weitgehend aus. Logisch, denn in ihrer Heilsbotschaft geht es nicht um Demokratie und Humanismus, sondern um Macht. Dafür hat Präsident Bush die Krise am Golf benützt und in Übereinstimmung mit Thatcher, Mitterrand, Kohl und — offensichtlich nach einer wirtschaftlichen Zuwaage — auch mit Gorbatschow die NATO-Präsenz tief in den arabischen Raum hinein erweitert. Denn um nichts anderes ging es der NATO, als sämtliche anderen supraregionalen oder lokalen militärischen Mächte zu eliminieren. Nach dem Niedergang der Sowjetunion, die zwar niemals ökonomisch, aber immerhin militärisch eine Konkurrenz im Weltmaßstab darstellte, kann die Etablierung einer Regionalmacht am Golf nicht geduldet werden. Dafür hat man in den Krisenstäben und Geheimdienstzentralen nicht acht Jahre lang den Iran-Irak-Krieg finanziert, um die zwei möglichen ideologischen Säulen einer solchen Macht am Golf, den Panarabismus und den Panislamismus, sich gegenseitig aufreiben zu lassen. Dafür sponsert man nicht den Staat Israel jährlich mit Milliardenbeträgen als Statthalter in der Region. Von einem Saddam Hussein, so hat sich die westliche Solidargemeinschaft verschworen, läßt man sich nicht in die Suppe spucken.

Solange die Achse USA-Westeuropa-Japan in der Frage der Lösung der Golfkrise hält, solange also keine Widersprüche zwischen den westlichen Zentren auftauchen, sieht die arabisch-islamische Zukunft nicht rosig aus, zumal auch ein früherer — fallweiser — Verbündeter der Araber, die Sowjetunion, vor den westlichen Kreditgebern buckelt. Aber die sehr verschieden gearteten Öl-Interessen des Westens könnten aus der Solidargemeinschaft bald eine Hackl-ins-Kreuz-Partie machen. Denn vor allem Japan, aber auch Westeuropa brauchen dringend relativ billiges Golf-Öl, während die USA mit ihrem hohen Anteil an selbstgefördertem Öl über steigende Preise nicht so unglücklich sind. So gesehen könnte sich der letzte OPEC- Beschluß, Ölpreise und Fördermengen bis zum Ende der Krise freizugeben, sprich: die OPEC de facto vorübergehend aufzulösen, nicht nur für die arabische Welt verheerend auswirken, sondern auch den Interessen der militärischen Schutzmacht USA zuwiderlaufen.

Zusammen mit dem katastrophalen Budgetdefizit in den USA könnte dies Bush vom kalkulierten Risiko in einen unkalkulierbaren Krieg treiben. Und dieser würde für die USA, selbst wenn sie Saddam Hussein entmachten, zum Bumerang. Denn entweder sie ziehen sich nach dem Kriegseinsatz aus der Region zurück, was unweigerlich den Aufstand der verarmten arabischen Massen gegen die vom Westen fettgemästeten Scheichtürner zur Folge hätte, oder die USA prolongieren ihre militärische Präsenz am Golf. Dies gäbe ihnen zwar weiterhin die Kontrolle über die Region, aber: Wer soll das bezahlen? Die Aufforderung der USA an Westeuropa und Japan, sich gemeinsam an den Kosten der permanenten Intervention zu beteiligen, stieße nach einem Waffengang auf noch taubere Ohren als zuvor. Die aktuelle Golfkrise als Endpunkt des „amerikanischen Jahrhunderts“?

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