Und es gibt ihn doch!
In Ljiljana Radonic „Die friedfertige Antisemitin“ wird das Modell eines weiblichen autoritären Charakters aktualisiert.
Die Kritik an Freuds Weiblichkeitstheorie stellt in der Diskussion rund um Geschlechterverhältnisse keine Neuheit dar. Ebenso bekannt ist der Vorwurf, dass Adornos Modell des autoritären Charakters an ein männliches Subjekt gebunden ist. Ljiljana Radonic versucht in ihrem 2004 erschienen Werk die Debatten und Fortführungen beider theoretischer Ansätze zusammenzufassen und gleichzeitig für ein Konzept eines weiblichen autoritären Charakters brauchbar zu machen. Sie verwirft dabei nicht nur Freuds biologistische Argumentationen, sondern auch einige Ansätze seiner feministischen Kritikerinnen und wirkt nicht zuletzt auch den theoretischen Auseinandersetzungen entgegen, die Frauen ein mangelndes Interesse am Antisemitismus unterstellen.
Ausgehend vom Verweis auf die gesellschaftliche Bedingtheit weiblicher Identitätsbildung, eignet sich Radonic die altbekannten Grundpfeiler der freudschen Psychoanalyse und die Erkenntnisse der Kritischen Theorie in Bezug auf Antisemitismus an, um die Frage nach dem psychischen Gewinn von Antisemitismus geschlechtsspezifisch zu erklären. Den Mittelpunkt und eigentlichen Meilenstein ihrer Forschungsarbeit stellen dabei die kritische Auseinandersetzung mit Frauen im NS und deren Rezeption in der „Neuen deutschen Frauenbewegung“ dar. Radonic thematisiert somit, was der Großteil deutschsprachiger feministischer Schriften der letzten 60 Jahre verabsäumt hat. In einer profunden Auseinandersetzung mit historischen Fakten liefert sie eine Vielzahl von Belegen, die Frauen als aktive Täterinnen und Profiteurinnen des NS-Regimes verurteilen. Gleichzeitig wirkt Radonic auch der oftmals postulierten Friedfertigkeit und dem Opferstatus der Kategorie „Frau“ entgegen, wie sie sich in Margarete Mitscherlichs Werk „Die friedfertige Frau“ finden lassen. Im Vordergrund werden dabei jene, den Holocaust verharmlosenden Tendenzen dieses Denkens analysiert, die in erster Linie den Wunsch nach einer identitätsstiftenden Bezugnahme befriedigen wollen, indem sie die grausame Mittäterinnenschaft deutscher Frauen im NS ausblenden.
In Anlehnung an eine Studie über antisemitische Persönlichkeiten, die 1944 in den USA mit Frauen durchgeführt wurde, kommt die Autorin zu dem Schluss, dass „die Funktionsweise und der psychische Gewinn des Antisemitismus“ bei Männern und Frauen gleich wären, da beide über die gleiche Persönlichkeitsstruktur verfügen, die Inhalte, der auf Juden und Jüdinnen projizierten verdrängten Wünsche und Regungen ihrer narzisstischen Kränkungen jedoch unterschiedlich.
Trotz ihrer Schärfe, Präzision und Detailhaftigkeit ist Radonic vorzuwerfen, dass sie neuere feministische Ansätze aus ihrer Analyse vollkommen ausklammert, kaum bis keinen Bezug nimmt auf die Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse auf andere Phänomene wie Rassismus, und auch die Notwendigkeit der von Freud und Adorno ausgesparten Patriarchatskritik innerhalb einer umfassenden Gesellschaftsanalyse nur marginal betont.
Die friedfertige Antisemitin? — Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main u.a., 178 Seiten, 39,— Euro, ISBN: 3-631-53306-3
