MOZ, Nummer 50
März
1990
Österreicher & Juden nach 1945:

Unzugehörig

Wie zugehörig fühlen sich die jüdischen „Nachgeborenen“ angesichts des unverhohlen zur Schau getragenen Antisemitismus der „anderen“, oft Nachkriegskinder wie sie?

Aus dem Film „Die papierene Brücke“ von Ruth Beckermann
Bild: Filmladen

Wenn die 36jährige Ruth Beckermann auf ihrem Weg zur Nationalbibliothek den Wiener Albertinaplatz überquert, muß sie an Alfred Hrdlickas „Mahnmal gegen Faschismus und Krieg“ vorbei. Vorbei am alten orthodoxen Juden aus Bronze, der zwischen bombastischen Marmorklötzen auf dem Bauch liegt und das Pflaster mit einer Bürste schrubbt. „Pech für die wenigen Wiener Juden, die daran vorübergehen müssen“, schreibt Beckermann und überläßt den Ort „ihnen“, ebenso wie „alle Gasthäuser, Berghütten und Sportplätze, die ich meide, um der Volksseele auszuweichen“.

Ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen als jüdische Nachgeborene setzt sich die Autorin mit Österreich nach der fiktiven „Stunde Null“ auseinander. Ihr Weg bis zu dem 130-Seiten-Büchlein verläuft nicht geradlinig. Erst der anläßlich des Libanonkrieges in der Linken zum Vorschein kommende Antisemitismus antizionistischer Prägung zwang die vordem stets um eine stramme proletarische Linie Bemühte, von der Illusion Abschied zu nehmen, es könne für sie in Österreich jemals Zugehörigkeit geben. Sie begann, selbstkritisch über die vielen kleinen Gesten der Anpassung nachzudenken, die es der „zweiten Generation“ erst ermöglichten, im Land der TäterInnen zu überleben.

Weder der deftige Bildhauer Hrdlicka noch die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung zerbrechen sich über solche Feinheiten den Kopf. Denn ein Dialog zwischen Österreichern und Juden fand nie statt. Daß die „Ostmark“ nach dem „Anschluß“ das „Altreich“ an Parteimitgliedschaftsdichte weit übertraf, ist nie ins allgemeine Bewußtsein gedrungen.

Bild: Filmladen

Bis zur Präsidentschaftskandidatur Kurt Waldheims konnte Österreich der Welt seine Opfer-Debatte unhinterfragt verkaufen. Die Unterscheidung in böse Deutsche und gemütliche ÖsterreicherInnen half auch den Juden und Jüdinnen, ihre Existenz in Österreich zu legitimieren.

„Verdrehung der Geschichte“, „kollektiver österreichischer Kannibalismus“ feixten denn auch Politiker, als der Präsident des World Jewish Congress die Frage nach der österreichischen Beteiligung am Nationalsozialismus aufwarf. Diese „Kollektivverurteilung“, empörte sich Helmut Zilk, sei „so inhuman. wie alles, was damals war“.

Was in Österreich nach 1945 geschah, nennt Beckermann die „Irrealisierung des Nazismus“. Zwischen 1938 und 1945 klafft Leere. Mit Österreich geht die Zeitgeschichte unter, um mit der Zweiten Republik wieder aufzuerstehen. Waldheim ist ein geradezu idealtypischer Vertreter dieser Form von Vergangenheitsbewältigung.

Die ÖsterreicherInnen hatten guten Grund, die Zeit ‚dazwischen‘ zu verdrängen. Die Nazis konnten 1938 in Österreich auf das solide Fundament des hausgemachten Antisemitismus aufbauen, ja sie sahen sich sogar gezwungen, das „orgiastische“ März-Pogrom in seinem Einfallsreichtum zu bremsen. Unzufriedenheit mit dem Nationalsozialismus kam erst auf, als die Verwertung jüdischen Vermögens gesetzlich geregelt wurde.

Nach 1945 konzentrierte sich die österreichische Geschichtsbewältigung auf die Hervorhebung des patriotischen Widerstands, maximal breit interpretiert. Die Rechte und die Linke arrangierten sich. „Die Sozialisten verzichteten auf den Klassenkampf“, schreibt Beckermann, „und die Konservativen auf öffentliche Dollfuß-Verehrung. Auf die Juden verzichteten sie alle.“

Die wenigen Juden und Jüdinnen, die das Massenmorden überlebten, blieben unerwünschte Fremde. Das erste Opferfürsorgegesetz sah Fürsorgemaßnahmen und Begünstigungen lediglich für aktive WiderstandskämpferInnen vor. Die überlebenden Jüdinnen und Juden mußten sich ihre Anerkennung als Opfer erst erkämpfen.

Doch die Schikanen der Behörden waren nur ein milder Ausdruck der Stimmung in der Bevölkerung. Fußgetrampel an der Universität aus Sympathie für die Entrechtung der Juden im Mittelalter und Klatschen im Kino für die NaziSchergen in antifaschistischen Filmen waren Ende der 40er Jahre keine Seltenheit. Die Besatzungsmacht wurde von der „arischen“ Bevölkerung als Fremdherrschaft wahrgenommen, den Jüdinnen und Juden aber bot sie Schutz: Was haben wir armes Häuflein Überlebender „... zu gewärtigen, wenn der Staatsvertrag einmal unterschrieben und der Schutz seitens der Alliierten zu Ende gegangen ist?“ schrieb 1947 die Zeitschrift „Der neue Weg“.

Bild: Filmladen

Kein Wunder, daß neben der Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung die Frage der Entschädigung die Gemüter besonders erhitzte. „Da die Juden als Fremde, die Ariseure dagegen als die eigenen Leut’ empfunden wurden, schien es nur legitim, daß das Verdrängen im Volke blieb“, faßt Beckermann zusammen. SS-Mitgliedern wird die Kriegszeit auf ihre Rente angerechnet, Juden und Jüdinnen, die mehrere Jahre im Konzentrationslager zugebracht haben, können auch heute mit so viel Großmut nicht rechnen. 1987 wurde eine Nachkaufmöglichkeit von Pensionszeiten für Menschen, die als Kinder oder Jugendliche flüchten mußten, von den Sozialpartnern abgelehnt.

Heute tut sich unter den Jüdinnen und Juden ein neuer Konflikt zwischen den Generationen auf. Wieso seid ihr hiergeblieben? fragen die Nachgeborenen ihre Eltern. Beckermann wirft der israelitischen Kultusgemeinde Mangel an eigenständiger Politik vor. Sie beschränke sich auf ritualisierte Ermahnungen gegen Antisemitismus und Neonazismus, ihre Führer profilieren sich als brave Vasallen der jeweiligen politischen Partei, der sie angehören. Doch mit der 1986 verstärkt einsetzenden antisemitischen Welle kommt die Erinnerung an Verdrängtes wieder hoch. „Die Frage nach jüdischer Existenz — in Österreich stellt sich neu.“

Für die Filmemacherin Ruth Beckermann persönlich stellt sie sich nach Veröffentlichung ihres Buches wohl abermals. Die Autorin des berührenden Films „Die papierene Brücke“ bleibt für ihre LeserInnen identitäts- und geschichtslos. Der Löcker-Verlag hüllt ihr Buch in düsteres Schwarz und verzichtet auf jegliche Angabe zur Person der Autorin. Obwohl „Unzugehörig“ selten Beschriebenes und schmerzhaft Nahes flüssig lesbar zusammenfaßt, findet das Buch in den österreichischen Medien kaum Beachtung. Ein jüdisches Schicksal im Land der selbsternannten ersten Opfer.

Die Autorin ihrerseits fügt sich selbst und den Jüdinnen Geschlechtslosigkeit zu. Während ein hoher Prozentsatz der in den Todeslagern Ermordeten Frauen waren, ist in ihrem Buch nur von Juden, also Männern die Rede. Ebenso wie Beckermann sich als Jüdin nicht unter das „Mehrheitsvolk“ subsumieren lassen will, wäre es angemessen, gerade in Zeiten der zunehmenden Unsichtbarkeit von Frauen, deren Ausgrenzung in der Sprache mit mehr Sensibilibät zu begegnen.

Ruth Beckermann: Unzugehörig. Österreicher und Juden nach 1945. Löcker-Verlag Wien 1989.

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