MOZ, Nummer 56
Oktober
1990
Interview

Virtuelle Wirklichkeit und Geschlechteridentität

Ulrike Sladek (links) und Valie Export

Als Valie Export 1968 mit Peter Weibel an der Hundeleine durch die Wiener Kärntnerstraße spazierte, ermpörte sich die österreichische Volksseele. Ihre provokante Arbeit an der Veränderung der Geschlechterverhältnisse stand und steht auch weiterhin im Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens. Ulrike Sladek sprach mit Valie Export, die abwechselnd in den USA und in Österreich lebt, über die Rolle der Frau und der Computertechnologie in der Kunst.

MONATSZEITUNG: Anfang der siebziger Jahre sprachen Sie davon, daß über die Kunst Werte verändert werden können, die sich dann auch in einer Selbstbestimmtheit der Frau in allgemeinen Lebenssituationen niederschlagen könnten. Sie haben damals stark mit aktionistischen Mitteln gearbeitet. Was hat sich Ihrer Meinung nach für die Frauenkunst dadurch verändert, daß künstliche Welten im Computer konstruierbar sind?

Export: Es ist viel zu früh zu sagen, ob und wie man in diesen virtuellen Räumen, in diesen computerhergestellten Wirklichkeiten überhaupt mit Kunst arbeiten wird. Bis jetzt sind es mathematische Modelle, über die eine Welt erklärt wird, das ist bekannt. Schon seit Pythagoras wird das Weltbild in Zahlen erklärt. Die Renaissancemalerei ist mathematisch durchdrungen. Man konnte das Problem der Perspektive besser lösen, man hat sie ‚richtiger‘ gestaltet. Bei den Renaissancemalern oder den holländischen Malern sind Kunstwerke entstanden, aber von diesen visuellen, vom Computer gesteuerten Räumen schon von Kunst zu sprechen, ist zu weit hergeholt. Die Environments, die über diese neue Technologie geschaffen werden, rufen keine Veränderung hervor, zeigen keine Veränderung.

Ist es in den virtuellen Räumen möglich, über das gegenwärtig Denkbare hinauszugehen? Sind die virtuellen Räume eine Verlängerung des herkömmlichen Denkprozesses in künstlichen Räumen, eine Fortsetzung des männlich-logistischen Prinzips in etwas abgewandelter Form?

Der Computer, die Maschine stellt etwas her. Der Mensch reagiert darauf, verändert quasi diese Herstellung der Maschine und erweitert damit die nächste Herstellung. Also: Eine interkommunikative, interaktive Sache kann natürlich entstehen, wo immer wieder zusätzlich Neues dazukommt. Was vor 50, 60 Jahren neu war, ist für uns schon als selbstverständlich in die Alltagswelt eingeflossen.

Daß es hier um ein männliches Prinzip, um eine männlich-logozentrische Welt geht, ist ganz klar. Daran ändert sich nichts. Wieweit die Frau jetzt, von einem feministischen Standpunkt aus, in dieser Welt arbeiten kann? Ich weiß es nicht, ich kann diese Frage nicht beantworten. Die Mittel der sechziger und siebziger Jahre können aber nicht mehr angewendet werden.

Damals war es sehr wichtig, den sozialen und gesellschaftlichen Bereich der Menschen in die Kunst einzubeziehen, denn dieser ist für die Frau anders als für den Mann, geschichtsgeprägt. Das war alles ganz wichtig. Darum hat man ja den Körper selbst als künstlerisches Material eingesetzt. Andere Künstler hatten schon früher mit dem Körper gearbeitet. Das negativste Beispiel oder das konservativste war der Yves Klein, der den weiblichen Körper quasi als Material verwendet hat, damit Bilder entstehen. Der weibliche Körper hat den Pinsel ersetzen müssen, und Yves Klein mußte selbst nicht mehr arbeiten, sondern der Pinsel hat gearbeitet.

Das verläuft parallel zum Alltagsleben der Frau ...

Das es war eine der größten Ausbeutungen, es war auch die traditionellste Kunst.

Aber in der virtuellen Realität wird nicht mehr allein mit dem Körper gearbeitet — der Körper ist nur mehr ein Teil davon. Der Körper ist insofern vorhanden, da über ihn der Informationsfluß läuft, aber die Information selbst wird durch Programme erzeugt.

Wie kann eine Kunstproduktion, bestenfalls unter einer feministischen Perspektive, die Lebenssituation von Frauen verändern? Wo soll sie ansetzen, wenn das Einschreiben auf den Körper nicht mehr so funktioniert, sondern dieser eigentlich bloß Übermittlungsträger, Medium ist. Gegenwärtig wird hauptsächlich der Sehsinn belastet und benutzt. Von der Filmbranche wissen wir, daß die Produktion von Bildern, von Abbildern nicht unbedingt eine positive Lebenswelt von und für Frauen konstruiert.

Ich glaube, das Feministische bei dieser Richtung, das Zielführende wäre in erster Linie, in diesen Produktions- und Herstellungsformen als Frau zu arbeiten. Das wäre der springende Punkt. Das hieße, Frauen müßten durch ihr Studium, ihr Interesse in diese Bereiche hineinkommen und dort arbeiten. Hier könnten wiederum andere Überlegungen entstehen und andere Ausdrucksmöglichkeiten. Da könnten Veränderungen stattfinden. Da gilt, was ich schon immer vertreten habe: Frauen müssen einfach viel mehr in die Produktionssphäre selbst gehen. Nicht nur in der Herstellung von Kunst, sondern auch als Kamerafrauen, als Mathematikerinnen, Wissenschaftlerinnen.

Diese virtuellen Räume sind ja nicht der einzige Kunstbetrieb, sind nicht das einzige Kunstbild. Kunst hat ja noch völlig andere Ausdrücke, es muß nicht nur Virtuelles sein. Film und Video erlauben den Frauen auch, sich mit ihrem Körper zu beschäftigen, sodaß sie ganz neue, eigenständige Sachen schaffen können.
Andere Materialien wie Blei oder Holz oder Metall sind ja nicht vorbei, man kann noch immer damit arbeiten.

Wie sehr die Männer den zukünftigen virtuellen Bereich wiederum für sich vereinnahmen wollen, liest man ja jetzt schon in vielen Zitaten: Es ist eine Geburt, es wird etwas geboren.

Die Einlösung des Gebärneides ...

Nicht die Wissenschaftler selbst formulieren das, sondern die Sekundärliteratur beschreibt, daß es ein Vorgang des Gebärens, des Reproduzierenden wäre. Mit der großen Drohung dahinter: Frauen, wir brauchen euch jetzt bald nicht mehr. Das kann man jetzt an der Gentechnik sehen und am virtuellen Bild. Wiewohl das natürlich schon Überbedeutungen sind.

Diese neuen Technologien wären dann das absolute schöpferische Etwas. Ist die gegenwärtige Phase der Säkularisierung nur eine Zwischenphase?

Das kann natürlich sein. Unsere ganze Philosophie wäre dann natürlich hinfällig gewesen, eine Übergangsphase, eine Zwischenstation, eine Passage. Und dagegen werden sich die Männer wahrscheinlich wehren, denn sie haben das Universum in ihrem Gedankensystem aufgebaut. Wenn sie bemerken, daß ihr Gedankengut nichts mehr zählt, wird es auch ihnen Unbehagen bereiten.

Woran arbeiten Sie selbst gegenwärtig?

Ich mache im Spätherbst eine Ausstellung bei Grita Insam, arbeite an einem Drehbuch und an einigen kleineren Filmen, Länge zwanzig Minuten bis zu einer halben Stunde. Computer und Video, mit Betonung auf Video. Und stelle ein Symposion zusammen für März ’91 zu den Wiener Festwochen: Ent-Fesselung der Geschlechter.

Was werden sie bei Grita Insam aus- bzw. vorstellen?

Es sind ganz neue Arbeiten, Installationen, es hat mit imaginären Zuständen zu tun, nicht mit virtuellen. Das Virtuelle besteht ja aus Imagination, aus Realität und aus Phantasie. Ich werde auch zusätzlich Materialien verwenden, mit denen ich bis jetzt noch nie gearbeitet habe.

Was sich im Laufe der Zeit an Überlegungen angesammelt hat, dem wird jetzt Gestalt gegeben.

Sie haben einen Lehrstuhl an der University of Wisconsin, USA. Was machen sie da?

Video und Film, Performance, wobei ich dazusagen muß, daß ich dort interdisziplinär vortrage, etwas, das man hier in Wien nicht soll. Ich halte Vorlesungen zu bildender Kunst, Performance, zeitgenössischer Kunstgeschichte, Avantgardegeschichte, ich lehre Film. In San Francisco unterrichtete ich Malerei, Fotografie, Video und digitales Bild als Gastmedium im Film. Eine Idee, eine Auseinandersetzung mit Fotografie wird darin ausgedrückt, ein ziemlich vielseitiges, polyphones Programm.

Drüben in Amerika hat man schon lang entdeckt, daß der intersdisziplinäre Unterricht der bessere ist.

Sie glauben, daß ihr interdisziplinärer Ansatz der Verhinderungsgrund ihres Lehrauftrages in Wien war?

Und mehr. Ich möcht jetzt gar keine Thesen aufstellen ... Es war meine Person, meine Arbeit, meine Haltung einerseits, und andererseits natürlich der Widerstand gegen einen interdisziplinär erweiterten Unterricht. Ein Schulsystem ein bißchen aufzumachen und nicht so eng zu arbeiten. Bei uns werden die Verhältnisse immer enger und abgeschlossener. Im Gegensatz zu anderen Ländern, wo alles immer breiter und offener wird.

Da scheint die klassische österreichische Mentalität ihre Wirkung voll entfaltet zu haben.

Ja, es muß ein Maler sein, weil die Studenten mögen ja so gerne malen. Das stört mich ja nicht, aber es ist ein Widerstand gegen Progression und Innovation in diesem Land, nicht nur an den Hochschulen, sondern überall.

Was bewegt Sie, dennoch eine Ausstellung in Österreich zu organisieren, ein Symposion?

Das ist immer so eine Frage. In den siebziger Jahren hab’ ich mich noch verpflichtet gefühlt, in diesem Land etwas voranzutreiben. Weil ich mir dachte, wenn jeder weggeht, kann auch nichts entstehen. Ich dachte mir, im gesamten, daß auch ich etwas zur Innovation beitragen kann. Ich bin draufgekommen, daß das nicht stimmt. Die konservative Revolution hat überall eingesetzt, auch bei uns. Einfach gesagt: Ich fühle mich meinem Kulturkreis mehr verwurzelt, und das ist Europa, nicht allein Wien.

Darum ist es für mich ideal, herumzupendeln, denn ich habe auch in Amerika Austeilungen. Dort herrscht teilweise ein innovatives Klima, ich bekomme wahnsinnig viel Information und sehr gute Unterstützung.

Wenn man bedenkt, daß es in Österreich kaum weibliche Professoren gibt, die Kunst oder Kultur unterrichten, frage ich mich, wie kann dieses Jahrtausend ausgehen? Das ist erschreckend. Ebenfalls der Widerstand, Frauen als Professorinnen zu akzeptieren. Das Recht auf akademische Lehre und pädagogische Arbeit wird den Frauen vollkommen verweigert oder im unteren Bereich angesiedelt, als Hochschulassistenz oder im Mittelschulbereich.

Sie haben heuer ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Wenn sie zurückblicken auf die letzten zwanzig, dreißig Jahre, haben sich ihre Hoffnungen und Erwartungen erfüllt?

Nein, nicht. Es ist erschreckend, wenn ich an meine Generation denke, was wir eigentlich alle für Ziele hatten und wie diese Generation dann angepaßt und korrupt geworden ist. So raffiniert angepaßt, daß kein Generationenkonflikt entstehen kann — die nachfolgende Generation will scheinbar dasselbe wie meine Generation. Ich habe versucht, innovativ und mit Risikobereitschaft zu arbeiten.

Und wenn ich bedenke, wie mit dem Begriff Feminismus umgegangen wird! Es ist für viele Frauen unangenehm, sich mit einem Feminismus zu identifizieren, obwohl sich einiges geändert hat, viele Schritte schon gemacht worden sind.

Aber es ist eine viel größere Verunsicherung bei den jungen Künstlerinnen eingetreten. Die trauen sich einerseits nicht mehr, feministisch zu denken, spüren andererseits ein Unbehagen dabei, sich angepaßt zu verhalten. Sie wissen auch nicht wirklich, wie es jetzt weitergehen soll, welches Material sie verwenden, welche Inhalte sie gebrauchen sollen, um ihren Ausdrücken eine gestalterische Form zu geben.

Wieweit feministische Kunst sich im virtuellen Bereich etablieren kann, ist jetzt noch nicht zu sagen, und es ist momentan auch nicht die dringlichste Frage.

„Dirty Power”, einer der prämierten Animationsfilme der ars electronica, zeigte Sexismus in Reinkultur. Zwei Stecker gaukelten animiert vor den Steckdosen, um dann unverhohlen die Penetration durchzuführen.

Der Film war ein schrecklicher, sexistischer, stupider, primitiver Film. Die Jury und der Preis war ein ganzes Versagen. Und symptomatisch war, daß wieder einmal nur an lauter Männer Preise verliehen wurden. In diesen Disziplinen sind aber auch viele Frauen dabei. Beim Symposion hätte man auch mehr Frauen einladen können. Im Science fiction Bereich z.B. Ursula LeMcGuin, die ja immer schon in diesem Metier gearbeitet hat und wirklich Spitze ist.

Liegt die Gefahr bei dem Umgang mit virtueller Realität nicht darin, daß durch die zunehmende Spezialisierung dieses Gebiet eine Domäne von einigen wenigen wird? Und diese ganz wenigen sind männlich. Glauben Sie, daß wir an der Kippe zum nächsten ontologischen Sprung stehen?

In der Sekundärliteratur ist wirklich auffällig, daß eben so eine Geburtsmythologie aufgebaut wird über die Technik. Ich glaube auch, daß eine Art ontologischer Sprung bevorsteht, der Unbehagen hervorruft, da man nicht weiß, wie damit umgehen kann oder soll.

Nichtsdestotrotz müssen die Frauen an ihrem Programm, das sie sich gestellt haben, weiterarbeiten: ihrem feministischen Programm.

Danke für das Gespräch.
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