Heft 4-5/2006
März
2006

Vom Aussaugen und Kopfabschlagen

Ergänzende Bemerkungen zu Franz Stelzhamer

In Oberösterreich zumindest ist der Name Franz Stelzhamer jedem Kind vertraut. Eines seiner Mundartgedichte dient seit 1952 als offizielle Landeshymne, „wia a Hünderl sein’ Herrn“ soll man, geht es nach dem Franz von Piesenham und den für diese Entscheidung verantwortlichen Landespolitikern, sein „Hoamatland“ lieben.

Ich bin ihm zum ersten Mal in einem Linzer Park begegnet. Spaziergänge mit den Eltern führten regelmäßig an der riesenhaften Statue eines gestrengen Mannes mit wallendem Haupthaar vorbei, der ein offenes Buch in der Hand hält.

Nun ist das mit dem offenen Buch bei Stelzhamer aber so eine Sache. Jahrzehntelang hielt ich ihn etwa — was die Körpermaße anlangt — für wesentlich größer als er war, das respekteinflößende Denkmal im Volksgarten hatte seine Wirkung nicht verfehlt.

Gut 200 Jahre ist er jetzt alt. Eigentlich wäre es an der Zeit, leidenschaftslos zu überprüfen, was es mit diesem Mann auf sich und was er zu sagen hat, wie groß er wirklich ist. Wäre Franz Stelzhamer ein x-beliebiger, nicht übermäßig begabter österreichischer Dichter, der einst gelebt, ein gewisses Publikum gehabt hat und heute kaum mehr gelesen wird, ich käme mir mit der Forderung nach einer überfälligen öffentlichen Debatte zu hochaktuellen Facetten seiner widersprüchlichen Persönlichkeit ziemlich lächerlich vor.

Aber Stelzhamer ist eben weit mehr. Generationen von MundartdichterInnen, VolkskundlerInnen, SchulmeisterInnen, aber auch PolitikerInnen haben ihn zur Allegorie des Landes ob der Enns hochstilisiert, zur Inkarnation von Tugenden und augenzwinkernd zu tadelnden Lastern, die den Menschenschlag hierzulande angeblich charakterisieren: Kein Kind von Traurigkeit sei er gewesen, gesellig und umgänglich, störrisch zuweilen, aber geradlinig; man habe gewußt, woran man war mit ihm; und seine Leichtlebigkeit, Spontaneität, waren sie nicht ebenso Manifestation jenes „ungebrochenen Urlauts des Herzens“ wie seine kindliche Anhänglichkeit Mutter und Heimat gegenüber?

Vor allem dieser Anhänglichkeit wegen ist Stelzhamer beider großer Sohn, eine Handvoll einschlägiger Gedichte dient denn auch als Beleg. Diese selektive Rezeption, diese apodiktische Vereinnahmung und demonstrative Ausstellung einer Künstlergestalt durch die Autoritäten eines Gemeinwesens sowie durch gehorsame bis gedankenlose WiederkäuerInnen aus dem Umfeld der Macht ist, historisch betrachtet, nichts Einmaliges. Daß man sich wie im Falle Stelzhamers bis zum heutigen Tag mit einem solchen Sinnstifter nicht wirklich umfassend auseinandersetzt, ihn ernst nimmt, indem man sein Werk in seiner Breite ernst nimmt und nicht nur ein paar Gedichte, das ist schon wesentlich einmaliger.

Franz Stelzhamer hat wie jedeR SchriftstellerIn Angebote an sein/ihr Publikum gemacht. Seinem urwüchsigen Talent verdankt er, verdanken wir einige großartige Gedichte in Innviertler Mundart, präzise, klar, voll erstaunlicher einfacher, aber ergreifend poetischer Bilder. Oft gelingen ihm freilich auch nur einzelne Strophen, während andere Teile desselben Gedichtes markant abfallen, trivial, sentimental oder schlicht und einfach peinlich daherkommen. Und über vieles ist zu Recht der gnädige Mantel des Schweigens gebreitet.

Stelzhamer stand der eigenen Produktion nicht kritisch genug gegenüber, darüber haben schon ZeitgenossInnen geklagt, die es gut mit ihm meinten. „Unfertig, geschmacklos und schülerhaft“ erschienen ihm viele von Stelzhamers Texten, meint etwa Stifters Verleger Gustav Heckenast, wodurch er „den guten Eindruck, den einzelne vorzügliche Gedichte auf den Leser hervorbringen,“ wieder aufhebe.

Damit einher geht Stelzhamers krasse Überschätzung seiner literarischen Fähigkeiten. Schon früh wettete er, sein Name werde über kurz oder lang dereinst im Konversationslexikon stehen, und seine Nikolaus Lenau gegenüber ohne Anflug von Ironie geäußerte Rangliste der größten Dichter der Weltgeschichte richtet sich von selbst: Homer, Shakespeare, Calderon, Dante, Goethe, Stelzhamer.

Franz Stelzhamer — 1802 bis 1874

In seinen Essays gefällt er sich darin, komplexe Themen schamlos zu vereinfachen, lächerliche Behauptungen, wilde Gerüchte als Prämissen einzuführen und Urteile daraus abzuleiten, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Daß sich Stelzhamer im Falle der häßlichen Aufsatzsammlung „Sybillinisches. Aus den zurückgelassenen Papieren eines Ausgewanderten“ hinter einem großen, ihm wohlbekannten Unbekannten verbirgt, der ihm diese Manuskripte anvertraut haben soll, ist allein seiner großen Feigheit zuzuschreiben und dem klaren Wissen, daß er sich damit weit außerhalb des tolerablen Diskussionsniveaus positioniert. Vorarbeiten und Notizen dazu hat er sich aufgehoben, sie finden sich, peinlich für ihn, zum Schrecken der ApologetInnen bis heute im Nachlaß.

Nun ist es durchaus nicht so, daß er nie Selbstzweifel gehabt hätte. In seinen Briefen, sogar in manchen Gedichten finden sich erstaunliche Zeugnisse, wie hart er zuweilen mit sich ins Gericht geht. Aber diese Reflexionen bleiben völlig folgenlos, schon tags darauf ist alles vergessen, macht er denselben Blödsinn wieder. Stelzhamer ist jähzornig, grenzenlos eifersüchtig, lebt monatelang in den teuersten Hotels der Großstädte, während Frau und Kind daheim fast verhungern, er ist opportunistisch, berechnend, macht ungeniert immense Schulden, auch bei Leuten, die selber nicht viel haben.

Ich will mich im Folgenden aber auf den Rassisten, auf den Antisemiten Franz Stelzhamer beschränken. Er steht eben auch als solcher für eine Variante des hier heimischen Menschenschlages. Die Liebe zur Heimat, zum Landschaftsdetail, zu Flora und Fauna, zu ihm — regional und individuell — vertrauten und sympathischen Menschen, der genaue, behutsame Blick auf die kleinen alltäglichen Dinge zeichnet seine Arbeit genauso aus wie sträfliche Verallgemeinerungen, unhaltbare Vorurteile, intellektuelle Anämie, wenn es um größere Zusammenhänge geht. Da steigert sich Franz Stelzhamer schon einmal in die unverblümte Aufforderung zum Völkermord hinein.

Darüber gälte es gut 200 Jahre nach seiner Geburt endlich ausführlich nachzudenken.

1835 stirbt nach 43 Jahren Regentschaft Kaiser Franz. Im Verein mit Metternich ist der alte Kaiser hauptverantwortlich für die sprichwörtliche Friedhofsruhe, den gesellschaftlichen Stillstand nach dem Wiener Kongreß. Spitzelheere und eine drakonische Zensur haben zudem zahllose österreichische Intellektuelle und KünstlerInnen außer Landes getrieben.

Franz Stelzhamer widmet Kaiser Franz unmittelbar nach dessen Tod zwei affirmativ-naive Lobgesänge, die er in sein erstes Buch aufnimmt. Fünf Stunden wäre das lyrische Ich eines dieser Gedichte zu laufen bereit gewesen, nur um ein einziges Mal persönlich einen Blick auf die Majestät werfen zu können. Und weiter heißt es im Original: „Damit i ’n dert gsegn häd, / Wie schen dáß Er is; / Denn schen seyn und gut seyn / Is ain’s, das is gwiß.“

Nein, da schwingt keine Ironie mit, Stelzhamer meint, was er sagt. Zwar spricht ihn sein Werk überzeugend von dem Verdacht frei, er setze reich und schön gleich. Den schlichtesten Gegenständen, selbst armseligen Gestalten in Lumpen vermag er einen ästhetischen Reiz abzugewinnen, wenn er sich auf sie mit einer ihm dann eigenen Wärme und Zuneigung einläßt.

Aber er setzt oft genug schön und gut gleich. Und weil er äußerst subjektive Kriterien fürs Schönsein und fürs Gutsein hat, neigt er etwa dazu, vom Äußeren auf innerliche Qualitäten zu schließen. Dabei ist ihm keine noch so kühne Verallgemeinerung zu blöd, keine physiognomische Gemeinsamkeit zu platt und vordergründig.

Franz Stelzhamer, dessen „vorbehaltlose Deutschheit“ von NS-Literarhistorikern mit Grund in den höchsten Tönen gelobt wird, schreibt zum Beispiel ungeniert Sätze wie diesen: „Graz und seine wendisch-kroatischen Gesichter und Figuren wären nicht für mich zum längeren Genuße und Anblick.“ Mit Bruder Peter, den er in der Steiermark besucht, hat er dauernd Streit, und im selben Absatz, in dem er wieder einmal seine Abneigung gegen die slawischen Völker der Monarchie zum Ausdruck bringt (besonders, scheint’s, gegen ihr genetisches Eindringen in fürs Deutschtum reklamierte Landstriche), serviert Stelzhamer gleich noch eine kühne These, um sich die unbequeme Frage zu ersparen, wer von den beiden Brüdern beim Streiten die besseren Argumente ins Treffen führen könnte: „Der Pater-familias unserer Familie ist Franz. Peter ist ein Wasserschoß und trägt keine Frucht. Wir Fruchtbare dürfen uns nie beugen vor den Unfruchtbaren.“

So skurril und gefährlich solche Aussagen für uns heute klingen mögen, bliebe es bei Einlassungen dieser Art, ich wäre geneigt, sie als, wenngleich nicht typisch, so doch einigermaßen verbreitet für die Weltaneignung vor 150 Jahren zu relativieren. Gut, an Stelzhamer ist die Aufklärung ziemlich spurlos vorübergegangen, und seine krude, aus fundamental-christlichen Quellen mitgespeiste sozialdarwinistische Antizipation läßt schon erahnen, daß er mit humanistischen Traditionen nicht viel am Hut hat, sich eher als engagierter Vorreiter denn als braver Nachbeter von allerlei Selektionsanmaßungen empfindet, aber einzigartig ist selbst das nicht.

Auch der rassistisch eingefärbte billige Spott gegenüber den BöhmInnen im Stile eines Kronen-Zeitung-Hausdichters ist zwar abstoßend, aber alles andere als einmalig. Stelzhamer beschwört das Gespenst der schleichenden Übervölkerung durch SlawInnen mit Strophen wie diesen: „Und über die Buckeln - králln und kugeln - / Pani Behm - kreuz und quer; - / Doch mit Ainá kommt an d’Dainá - / nein, nöt Ainer - aber - mehr! // Und das Wosse - dobri, dobri - / Und de Most - und der Kost - /Wos de Obri - den Revier - / Schenkt, is dobri - bleib me hier!“ Der Autor blendet andere Erklärungsmöglichkeiten für die Migration aus Böhmen Richtung Süden geflissentlich aus und läßt TschechInnen kauderwelschen und radebrechen: Es gefällt uns an der Donau einfach besser, also siedeln wir uns da an, basta. Der Stammtischapplaus ist ihm sicher.

Antijüdische Ressentiments finden sich durchgehend bei Stelzhamer. Meine Recherchen haben freilich ergeben, daß er schon früh über seinen Schatten gesprungen ist und vergeblich probiert hätte, bei einem jüdischen Mädchen anzukommen. Am 29. März 1830 notiert der 27-Jährige: „Sogar Judenevchen scheint mir schon wieder erkühlet, was mir liebende Zuneigung Schien, ist nur Triumph ihrer Eitelkeit. Das Judengesinde hat kein Herz. Darum ruft meins auch in ihrer Nähe: fort fort vom blendenden Flitterglanz.“ Schon in diesem frühen Dokument zeigt sich Stelzhamers fatale Neigung, vom Konkreten aufs Allgemeine zu schließen. Die Enttäuschung, zurückgewiesen worden zu sein, führt der tatsächlich Verblendete schlicht auf typisch jüdische Herzlosigkeit zurück.

Natürlich steht ’der’ Jude bei Stelzhamer auch synonym für unermeßlichen Reichtum, dieses Klischee serviert er ebenfalls ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts. Allerdings, so meint er in seinem späteren Gedicht „An das Geld,“ zeichne Raffgier nicht allein den Juden aus: „Du bist das Kalb, das gold’ne, / Dem Jud und Heid und Christ / Mit Inbrunst und Zerknirschung /Ganz, ganz ergeben ist.“

Doch nimmt Franz Stelzhamer trotz dieser Einsicht gern Gelegenheiten wahr, das Leserpublikum unterschwellig mit einschlägigen Stereotypen zu bedienen. Unter den erst 1855 erschienenen, aber früher verfaßten hochdeutschen Gedichten treffen wir auf ein vergleichsweise harmloses, dennoch besonders erhellendes Beispiel, das auch das Schlüsselmotiv der Benachteiligung des Ich beinhaltet: „Im Posthof weile ich am Schalter, / Wo man die Briefe giebt hinein, / Wie an der Blume weilt der Falter - / Mein Brief darf nicht der erste sein! // Sieh, ein Hebräer kommt und wälzet / Hinab sein mächtiges Packet; / Dann kommt ein Dandy angestelzet / Mit einem zierlichen Billet.“ Ganz klar, der Jude, als Hebräer übrigens besonders deutlich als fremdes Element hervorgehoben, kann sein riesiges Paket gar nicht mehr schleppen, wälzen muß er’s, und der grazile Dandy mit dem zierlichen Billet kontrastiert dazu vortrefflich. Hätte es auch umgekehrt sein können? Bei Stelzhamer garantiert nicht.

Salzburg verfällt nach dem Verlust der Selbständigkeit des bis zum Schluß religiös militant intoleranten kirchlichen Staatsgebildes und dem Anschluß an Oberösterreich rapide. Franz Stelzhamer läßt sich zu diesem Thema folgendes merkwürdige Gedicht einfallen: „Ueberall hörn - sehn und lesen / Kannst wie schön - es einst gewesen - / Uebrall liegt - die todte Pracht - / Todte Pracht - gute Nacht! // Was gewesen - im Jenseits ruht - / Mag kein Christ - kauft kein Jud - / Mir als Christ - zwar thuts leid - / Der größte Jud - aber ist die Zeit.“ Wie Stelzhamer in diesem Zusammenhang auf Christen und Juden kommt, ist wohl nur ihm einsichtig, aber daß er als Christ auf der richtigen Seite steht, darüber läßt er keinen Zweifel aufkommen.

Mit seinem Essay „Jude“ aus dem Jahre 1852 jedoch überschreitet Franz Stelzhamer endgültig jede entschuldbare Grenze der Zumutung. Um glaubhaft zu vermitteln, auf welch unsägliches Niveau er sich ohne Not begibt, muß ich einige Passagen daraus wörtlich zitieren, zunächst den Anfang:

Kein Volk der Erde hat nach seinem politischen Ableben mit einer solchen Zähigkeit, ja völligen Unumbringbarkeit fortgedauert, wie der Jude. Wo ist die Blüthe der Menschheit, der edle Grieche, wo ist die Kraft der Menschheit, der riesige Römer? Wo ist das Volk, das die ewigkeittrotzenden Pyramiden thürmte und ihre Wände beschrieb mit den unauflöslichen Hieroglyphen. (...) Verschwunden. - Verhallt wie brausende Stürme, wie reißende Wässer abgelaufen! Der Jude, der so Großes nie gethan — etwa weil er es nicht gethan hat? — besteht. Besteht in zahlloser Menge und mit unberechenbarem Einfluß auf die Geschicke der Völker. Scheinbar ohne politisches Recht, ohne politischer Macht, legt er doch, so oft die Wagschalen schwanken, sein m a t e r i e l l e s Gewicht auf diese oder jene Seite und bringt die Wage wieder zum leidlichen Stillstand. - In alle Welt zerstreut, schlingt er sich, bald dünner, bald breiter, immer aber in innigstem Zusammenhang in fast unerforschlichen Windungen und Krümmungen, ein R i e s e n b a n d w u r m , um die Ernährungsorgane eines jeden kultivirten Staatskörpers, und wie oft man ihn auch abzutreiben versucht hat, man gewann, nicht so glücklich wie beim kleinen im menschlichen Körper, bis jetzt nur größere oder kürzere Stücke, nie aber den Kopf selbst.

Franz Stelzhamer bedient sich 80 Jahre vor den Nazis bereits nahezu aller rhetorischer Versatzstücke, die deren Hetzpropaganda kennzeichnet: Zu nennen wäre da zunächst einmal der über weite Strecken konsequent durchgehaltene penetrante Singular: Stelzhamer weiß seitenlang Furchterregendes über ’den’ Juden zu berichten, irgendeine Form von Differenzierung scheint ihm überflüssig.

Wenn er dagegen, sagen wir, auf Vögel zu sprechen kommt, ist es ihm durchaus ein Anliegen, die ganze Vielfalt der gefiederten Freunde anschaulich in lautmalende Worte zu fassen: „’s Lercherl steigt in d’Heh, ’s Blomaiserl pfigatzt und a’s Raothmándel stigatzt in da Leithen so schen. Da wispelt mein Zeiserl,“ und alle sind sie da, „Ámerling und Schwäuberl, Hánöfferl und Däuberl.“

In seiner kleinen Bibliothek findet sich zum Beispiel Heinrich Heine, und zumindest den Dichter des Buches der Lieder schätzt Stelzhamer außerordentlich. Es ist auch so gut wie auszuschließen, daß dem langjährigen Studiosus etwa die Leistungen jüdischer Philosophen von Spinoza bis Moses Mendelssohn verborgen blieben, dessen Enkel Felix übrigens zu Lebzeiten Stelzhamers als musikalisches Wunderkind Schlagzeilen machte und später als Komponist berühmt wurde, alles vor 1852, als der Mann aus Piesenham kühn behauptet, ’der’ Jude habe nie Großes getan.

Die aparte Tiermetapher vom Riesenbandwurm und ihre ekelerregenden Konnotationen verweisen — wie später im Nazijargon — drastisch auf das angeblich jüdische Schmarotzertum. Ich möchte an dieser Stelle den Spieß umdrehen und den Essayisten Stelzhamer an eine nicht weit zurückliegende Begebenheit erinnern: Der leichtlebige Franz hat wieder einmal seine gesamte Barschaft durchgebracht und daher die besten Aussichten, Anfang November 1849 weit weg vom Innviertler Zuhause unter einer Brücke schlafen zu müssen, außer, ja, außer ...

Aber lassen wir ihn doch selbst erzählen: „Mein ganzes Vermögen bestand in 1 Viertel Banknote das Schiff wußte ich mir ohnehin gratis zu verschaffen — so kam ich nach Wien, und wo meinst Du wohl, daß ich meine Einkehr genommen? — Beim Juden Sulzer. Ich hatte ihn von Linz aus bereits bereits von meiner Ankunft unterrichtet und so ging ich denn wiewohl nicht ohne Bangen bei schon eingebrochener Dämmerung zu ihm und — ward freundlich aufgenommen. Aber mein liebes Weib das waren bis auf 3 Tage von jetzt, schlimme Tage: Die düstere Seitenstättergasse, das Kindergeschwurr und — er hatte nichts anderes — das elende Liegen Nachts auf einem zu kurzen alten Kanapee unter einer schlechten unapetitlichen Decke.“

Mit dieser Episode im Ohr lade ich ein, Stelzhamers weiteren Ausführungen im Judenessay zu folgen, den er allerhöchstens zwei Jahre später verfaßt haben muß:

Die Völker ringen um Vorrang und Macht, die Völker wetteifern in Kunst und Wissenschaft, in Entdeckung und Erfahrung, die Völker opfern Gut und Blut für Fürst und Vaterland; der Jude sieht zu, zufrieden, daß er heute oder morgen, da oder dort seinen Bandwurmrüssel, gleichviel, an die offene Wunde, oder an die Errungenschaft anlegen kann und - s a u g e n.

Auch an dieser Stelle zur Illustration ein kleiner Kontrapunkt: Salomon Sulzer, vielleicht nicht ’der,’ immerhin jedoch ein Jude, wenig begütert, 48er-Revolutionär, Ober-Kantor der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, stiftete Stelzhamer 1846 sogar einen Freundschaftspokal, der sich noch bis nach dem zweiten Weltkrieg im Besitz von Stelzhamers Enkel befand.

Jeder natürliche Erwerb oder Gewinn,„belehrt uns der solcherart beschenkte Stelzhamer,“hat den Zweck, daß man sich und die Seinen fördere und erhebe; der Jude allein erwirbt, daß er — habe, gibt es dann seinen Kindern und schärft ihnen ein, dazu nur wieder zu erwerben, auf daß sie — haben.

Zu den selbstlosen Förderern Franz Stelzhamers in dessen Wiener Zeit zählte auch der aus Böhmen stammende Jude Ludwig August Frankl. Es ist nicht überliefert, daß Franz Stelzhamer sich energisch gewehrt hätte, von dem kunstsinnigen Hebräer protegiert und publiziert zu werden.

Doch zurück zum Judenessay: Den Juden, die nach den Worten Stelzhamers „an Ungerechtigkeit, an Meineid und Treuebruch, an Schandthaten aller Art kein anderes Volk unübertroffen ließen,“ präziser noch: ’dem’ Juden im kollektiven Singular müßte endlich konsequent der Kopf samt Bandwurmrüssel abgeschlagen werden, damit er uns nicht länger aussaugen kann, damit er uns, leistungsfeindlich und kulturlos, wie er nun einmal ist, nicht glatt noch überleben kann, damit er nicht mehr an seinen „grausamen, unduldischen Gott Jehova“ glauben kann, damit die Christenmenschen sich nicht mehr vor ihm fürchten müssen und so weiter und so fort.

Der Autor stützt seinen Genozidvorschlag also mit absurden Begründungen, die wir als Nach-Nachgeborene so oder so ähnlich von seinem engeren Innviertler Landsmann Adolf Hitler im Ohr haben. In den unveröffentlichten handschriftlichen Notizen zum Judenessay („ad: Juden“), wohl aus der ersten Jahreshälfte 1851, steht zum Beispiel der Satz: „Und endlich finden die Geistlichen dieselbe Verachtung wie die Juden, weil sie sich gleich jenen einbilden von Gott bevorzugt zu sein.“ Franz Stelzhamer war also sehr wohl bewußt, daß das, was er den Juden als Mühlstein umhängt, eigentlich alle intoleranten ReligionskünderInnen angeht, und damit einen fanatischen katholischen Geistlichen viel mehr als einen agnostischen Juden. Nur: So viel Differenzierung hätte ihn um die Möglichkeit gebracht, ’den’ Juden als alleinigen Sündenbock für alles und jedes verbal auf den Scheiterhaufen zu zwingen, und der bayerische Ministerpräsident, dem er das „Bunte Buch“ widmet, hätte auch nicht viel Freude damit gehabt.

Stelzhamer hat die Leichenberge in den Konzentrationslagern nicht sehen müssen, das ist wohl wahr, aber fast bin ich geneigt, in seinem Fall von der Gnade der frühen Geburt zu sprechen, denn die simple Weisheit jenes Gedichtes von Erich Fried, wonach die Frösche, nach denen die Kinder aus Spaß mit Steinen werfen, im Ernst sterben, sollte auch ihm zugänglich gewesen sein: Wie, lieber Franz von Piesenham, wie stellst du dir denn die Umsetzung deiner Anregungungen vor außer so ähnlich, wie’s gemacht wurde?

Franz Stelzhamer geht weit über den in frühen deutschnationalen Kreisen damals üblichen Salonantisemitismus hinaus. Für opportunistische Zwecke hätte er es wesentlich billiger geben können. Sein unerträgliches Engagement jedoch läßt zumindest vermuten, daß er — oft wider besseres Wissen — eins zu eins sagen will, was er schreibt.

Warum kratzt das, zumindest in den letzten Jahrzehnten, niemanden? Nicht den altehrwürdigen Stelzhamerbund mit seinen Hundertschaften an Mitgliedern, nicht die Germanistik, nicht die Medien, nicht die politisch Verantwortlichen in Oberösterreich, die sich bei einschlägigen Anlässen Stelzhamers so gern bedienen?

Etwa, weil niemand die Werke des großen Dichters liest, wenn man von einer Handvoll Gedichte absieht? In der Neuerscheinung „Franz Stelzhamer. Wanderer zwischen den Welten“ wird immerhin ein vergleichsweise harmloser Essay aus dem „Bunten Buch“ abgedruckt und problematisiert. Zu Recht scheint der Herausgeberin Stelzhamers „Verteufelung der bürgerlich-republikanischen Ideale ’Freiheit, Gleiheit, Brüderlichkeit’ (...) unverständlich radikal.“ Aber selbst diese 2002 erschienene avancierteste Stelzhamer-Publikation schweigt sich zu seinem extremen Antisemitismus völlig aus.

Franz Stelzhamer hat Jüdinnen und Juden gekannt und, das läßt sich belegen, Zuwendung und Respekt von ihnen erfahren. Vielleicht haben ihn andere Menschen, die zufällig jüdisch waren, enttäuscht, wir wissen es nicht, wenn man einmal vom Judenevchen absieht. Nichts davon würde seine Tiraden rechtfertigen. Als Held und Vorbild taugt er schlecht, als personifiziertes Problem, um das wir uns nicht herumdrücken dürfen, kommt ihm und seiner Rezeption dagegen gerade heute besondere aktuelle Bedeutung zu.

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