FORVM, No. 233
Mai
1973

Warum wir gehen

Erklärung:

Lutz Holzinger und Michael Springer geben ihren Austritt aus dem Verein „Gesellschaft der Redakteure des Neuen Forums“ bekannt. Lutz Holzinger legt seine Funktion als Obmann des Vereins zurück.

Holzinger und Springer entledigen sich damit der formalen Verantwortung als „Eigentümer“ und „Redakteure‘‘ des „Neuen Forums“. Sie ziehen sich auf den Status regelmäßiger Mitarbeiter zurück, wie er durch Werkverträge zwischen ihnen und dem „Neuen Forum“ fixiert worden ist.

Begründung:

Um ihrer De-jure-Mitbestimmung als „Eigentümer“ gerecht zu werden, müßten die „Redakteure“ Einblick in die Geschäftsgebarung erhalten und auf sie einwirken können. Dies konnte trotz mehrjähriger Anstrengung nicht erreicht werden. Das Informationsgefälle in Finanzfragen zwischen dem Geschäftsführer DDr. Günther Nenning und den „Eigentümern‘ wurde nicht merklich verringert. In allen Finanzfragen behielt und behält der Geschäftsführer die Macht der alleinigen Entscheidung.

Beispiele:

  1. Mit Wirkung vom 1.1.1973 beschloß der Verein der Redakteure eine Teuerungsabgeltung in den Honorarsätzen für Redakteure. Der Geschäftsführer legte ein Veto ein und gewährte ein einmaliges Weihnachtsgeld von öS 800,—. Er begründete dies mit der prekären Finanzlage.
  2. Da der Geschäftsführer nicht in der Lage war, dem Verein der Redakteure einen realistischen Finanzierungsplan für sein Zeitungsobjekt „Neue Freie Presse“ vorzulegen, beschloß der Verein mit Stimmenmehrheit, das Projekt nach der Null-Nummer (Werbenummer) einzustellen, da es die Existenz des „Neuen Forums“ ernstlich zu gefährden scheint. Nach allen uns zugänglichen Informationen wird diesem Beschluß nicht Folge geleistet.

Da die „Redakteure“ de facto keinerlei „Mitbestimmung“ in Finanzfragen ausüben, bewegt sich auch ihre redaktionelle „Mitbestimmung“ in den engen Bahnen, die durch die Finanzraison gesteckt sind, so wie sie der Geschäftsführer vertritt. Dies bedeutet eine enge Bindung der politischen Linie des „Neuen Forums‘ an die Sozialdemokratie als Geldgeber.

Weder möchten wir als „Redakteure“ für ein österreichisches Juso-Organ namens „Neues Forum“ verantwortlich zeichnen, noch als „Eigentümer“ für eine „Neue Freie Presse“, die als Schmetterlingsnetz für sozialdemokratische Jungwähler konzipiert ist. Wir ziehen es vor, unter solchen Umständen nur noch für unsere eigenen Arbeiten die Verantwortung zu übernehmen.

Lutz Holzinger
Michael Springer

NF-Mitbestimmung:

  1. Die Einführung der „Mitbestimmung“ im „Neuen Forum“ ist keinem Kampf der damaligen „Redakteure“ und regelmäßigen Mitarbeiter geschuldet. Vielmehr wurde das plötzlich aktuelle Modell vom Eigentümer der Zeitschrift, DDr. Günther Nenning, übernommen, um das Renomée seines Organs zu erhöhen.
  2. Daraus folgt, daß damals im „Neuen Forum“ keine Umwälzung vor sich gegangen ist, sondern bloß eine kosmetische Operation vorgenommen wurde, welche am Status quo nicht das geringste verändern konnte. Die von ihrem Gönner beschenkten „Redakteure“ dachten nicht daran, auf die inhaltliche Einlösung des formalen Mitbestimmungsanspruchs zu drängen.
  3. Der Kampf um dieses Ziel entfaltete sich im wesentlichen erst nach dem Eintritt von Wilhelm Burian, Lutz Holzinger und Michael Siegert in die Redaktion. Seither gab es ständige Bemühungen um die Kollektivisierung der redaktionellen Arbeit und Verantwortung und um die Einschränkung der Alleinherrschaft des Herausgebers-Geschäftsführers-Chefredakteurs.
  4. Der Heimarbeiterstatus der „Redakteure“ erlaubte es Nenning indessen, sein Machtmonopol in Finanzfragen und über den bürokratischen Apparat der Zeitschrift aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig blieb es beim vorgegebenen Informationsgefälle zwischen Chefredakteur und Redaktion. Nennings Vetorecht in allen Sachfragen ist objektiv begründet in seiner Fähigkeit, durch persönliche Verbindungen die nötigen Geldmittel für die Zeitschrift von der Sozialdemokratie her flüssig zu machen.
  5. Diese beschränkte finanzielle Abhängigkeit der Zeitschrift und ihres Chefredakteurs von der Sozialdemokratie ist gleichzeitig ein Hauptgrund dafür, daß eine zur Selbstverwaltung tendierende Mitbestimmung im „Neuen Forum“ nicht verwirklicht werden kann. Sie bleibt aufgeklebte Fassade, hinter der sich verbirgt, daß Nenning die Redaktion in beschränkter Abhängigkeit von sich halten muß, um seine Abhängigkeit von der Sozialdemokratie weiterreichen zu können.
Lutz Holzinger

Erklärung:

Ich schließe mich dem Schritt von Holzinger und Springer an. Angesichts von Nennings Versuchen, uns in dubiose politische Manöver hineinzuziehen, müssen wir den Mitbesitzer-Schwindel aufheben.

Die Rechtsentwicklung der regierenden Sozialdemokratien in Deutschland und Österreich setzt die Linken am Rand dieser Parteien zunehmend unter Druck, und zwar von innen (moralisch: das Komplizenproblem) wie von außen (organisatorisch: Disziplinierung, Zensur). Die jüngsten Entwicklungen bei der Stamokap-Fraktion der Jusos in der Bundesrepublik und beim österreichischen VSM sind Indizien dafür.

In dieser Situation will Nenning der SPÖ durch die Gründung einer Jugendzeitung entgegenkommen, zwecks „kritischer Unterstützung und Kooperation insbesondere im Hinblick auf die Nationalratswahlen 1975“ (so Nenning wörtlich). Die „Neue Freie Presse“ wird etwa den seichten Zuschnitt des eingegangenen „underground“ aus dem Pardon-Verlag haben. Ein solcher politisch wie künstlerisch anspruchsloser Werbeprospekt drückt in Wirklichkeit eine Verachtung des kritischen Potentials der Jugend aus und ist für uns als Autoren uninteressant.

Um ein derartiges Produkt auf den Markt zu pressen, bedarf es einigen Kapitals, das Nenning nicht hat und das ihm auch nicht in ausreichendem Maß gegeben werden wird. Das NEUE FORVM ist also in eine politische Spekulation verwickelt, durch die es entweder ganz untergehen oder mindestens seine bisherige spezifische Existenz beschließen wird. Allenfalls mag es ein aufstrebender junger Zeitschriftenunternehmer beerben. Dann wird vielleicht noch Liberalismus, aber nicht mehr Marxismus in seinen Spalten Platz haben. Ein solcher finanzieller Zusammenbruch bedeutet also in seinen politischen Konsequenzen ebenfalls eine Anpassung nach rechts.

Unser Austritt aus dem „Mitbesitzer‘‘-Verein beendet eine syndikalistische Illusion, die wir allerdings — als Konzession an Nennings kleinbürgerliches Hobby — bloß mitgemacht, nie geteilt haben. Die Mitbestimmungskämpfe finden auf jeden Fall ihre Grenze in den übergeordneten Eigentumsverhältnissen. Zwei Ausgänge sind möglich: Entweder der Vorstoß der Redakteure wird vom Verleger abgeschmettert, wie beim „Spiegel“ 1970/71 (vgl. Bodo Zeuner, Veto gegen Augstein, Hamburg 1972), oder die Redakteure dringen durch und werden genossenschaftliche Eigentümer (in etwa bei „Le Monde“ verwirklicht, der letzten noch im „echten“ Sinn des Wortes liberalen europäischen Tageszeitung); dann allerdings müssen sie sich insgesamt verhalten wie ein Kapitalist unter Kapitalisten ... solange es nämlich den Kapitalismus rundherum gibt. Als sich die linke Fraktion in der Redaktion vor diese Alternative gestellt sah — konkret: Nenning als Person zu überwinden und kollektiv der Sozialdemokratie gegenüber seine Partnerrolle zu spielen —, da zog sie sich wieder auf die Position als linker Flügel zurück und überließ Nenning den gemäßigten Part. Der rechte Außendruck auf dieses Gespann stellt nun das bisherige Rollenspiel in Frage.

Wir wissen natürlich, daß ein derart skurriles Unternehmen wie das NEUE FORVM in der Zeit allgemeiner Kapitalskonzentrationen nicht einmal in Österreich ewig überleben kann. Wir wollen dieses Blatt aber als Boden der Auseinandersetzung nicht kampflos aufgeben. Insofern ist der Austritt aus dem „Mitbesitzer“-Verein kein Austritt aus der Redaktion. Solange wir unzensuriert unseren Standpunkt vertreten können, werden wir das tun. Wie lange wir das können — das wird ein weiteres Indiz für die Entwicklung der österreichischen Sozialdemokratie sein.

Michael Siegert
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