FŒHN, Heft 16
 
1992

Wer hat Angst vor den Österreicherinnen und Österreichern?

Die, die am öftesten „Demokratie“ sagen, haben die meiste Angst vor ihr. Das Wort „Demokratie“ benützen sie als Bannspruch, um sie von sich abzuwenden. Sie sagen „Demokratie“, damit sie ihnen nicht zustoßen möge — so wie man „Hals- und Beinbruch!“ sagt.

Sie haben eine unsägliche Angst vor den Frauen und Männern in Österreich, Angst vor den Meinungen in denen ihren Köpfen.

Mit dem Parlament können sie leben (siehe 95% Zustimmung zu EG-Beitritts-Antrag), die Herren von Österreich. Mit der Regierung können sie leben, gut leben. Parteien (s. FOEHN 15) kann man kaufen, aber ein Volk? Da gibts Unwägbarkeiten. Ob unser Geld ausreicht, uns zu kaufen? Ob wir uns — wie die Parteien — beim Ab­stimmen verhalten, wie man uns das vorgibt. Zum Beispiel bei der Volksabstimmung über den EG-Anschluß.

Sie sind es nicht gewohnt, daß eine Entscheidung außerhalb ihrer Zirkel fällt. Daß eine Entscheidung nicht von ihnen und nur von ihnen getroffen wird. Sie haben keine Erfahrung mit Demokratie. Sie haben — siehe Zwentendorf — nur die schlechtesten Erfahrungen mit Demokratie.

Nicht der Untergang der österreichischen Landwirtschaft, nicht der noch zunehmende Transit-Terror, nicht die Auslöschung unserer Neutralität, nicht der drohende Aufkauf von Grund und Boden treibt ihnen den Schweiß auf die Stirn, nein, sondern der drohende Wahr­spruch der österreichischen Bevölkerung.

Der Wille des Volkes, der sich nicht nach dem Windchen, das durch das Wachteln mit ein paar Tausendern erzeugt wird, richtet, das ist wirklicher Horror.

Demokratie ist der leibhaftige Gottseibeiuns im Kapitalismus.

Bei Demokratie würde der ja nicht funktionieren. Bei Kapitalismus funktioniert Demokratie nicht.

Die, die Wahlen aushecken, ansetzen und herunterreißen, haben dabei zuallererst zu verhindern, daß die wahren Interessen der Men­schen durchschlagen könnten. Wählen soll man zwischen einem von der Agentur S. gemodelten Kandidaten und einem von der Agentur M. gemodelten, zwischen einem, der Zünder und einem, der Feuer­zeuge austeilt, einem, der „Mit uns in die 90er Jahre“ und einem, der „Mut zur Zukunft“ sagt (s. FOEHN 15).

Als in den westlichen Bundesländern (wo die Bevölkerung großteils gegen den EG-Anschluß ist) Landtagswahlen vorbereitet wurden, mußte dieses Thema schlagartig aus der öffentlichen Debatte genommen werden.

„In einer mehr als dreistündigen Aussprache einigten sich Montag die Koalitionspartner auf eine dreimonatige Pause der integrations­politischen Diskussion. (...) Bundeskanzler Franz Vranitzky emp­fahl, die Integrationspolitik nicht zum Gegenstand der bevorstehen­den Wahlkämpfe zu machen; Wirtschaftsminister Graf schloß sich dieser Auffassung an.“ (SN, 13.12.88)

Auch die Medien schlossen sich dieser Auffassung an. Trotzdem rasselte die Europapartei ÖVP in Tirol von 64 auf 48 Prozent der „gültigen Stimmen“ (das sind 42 Prozent der „Wahlberechtigten“) herunter.

Dann neues Zittern vor der anstehenden Nationalratswahl. Wieder das gleiche Problem. Die Wahlen dürfen kein Ausdruck des Volks­willens sein. Das muß verhindert werden! Abgestimmt wird über den blumigsten Werbeslogan, ein ganzes Volk darf Jury spielen.

Die Nichtdemokratie scheißt sich vor der Demokratie in die Hosen. Wann endlich gibt es Pampers für Politiker?

Es ist besonders wichtig, das Thema EG aus der politischen Auseinander­setzung, aus Wahlkämpfen, herauszuhalten.

H. Krejci, Kurier, 10.7.88

Als Wahlkampf-Thema ist die EG-Frage völlig ungeeignet.

W. Schüssel, Presse, 20.9.88

EG-Diskussion darf nicht zu einem Wahlkampfthema der nächsten Natio­nalratswahl verkommen.

H. Krejci, TT, 9.11.88

In einer Aussendung fordert die Industriellenvereinigung (VÖI) „von den handelnden Politikern den Weg nach Brüssel, nicht jedoch den zur Wahl­urne mutwillig vorverlegter Nationalratswahlen“ zu gehen.

TT, 29.11.88

Österreichs EG-Kurs ist als Wahlkampfthema absolut ungeeignet.

LH M. Purtscher, TT, 31.3.89

Die Industriellenvereinigung appellierte gestern an die Koalitionsparteien, innen- und auch außenpolitisch in der EG-Frage Geschlossenheit zu zeigen und keinesfalls einen „Europawahlkampf“ vom Zaun zu brechen.

Kurier, 1.4.89

Die Volkspartei hatte am Donnerstag davor gewarnt, die EG-Frage zu einem Wahlkampfthema zu machen.

TT, 1.4.89

Die Europapolitik dürfe nicht mit dem Wahlkampf (...) verknüpft werden, warnte gestern der Hauptgeschäftsfühler der ÖVP, Peter Marboe.

TT, 25.7.90

Ein wahres Gruselkabinett der Demokratie, in das wir da geraten sind, eines aber, wo die Schreckgespenster selber, diese Horrorfigu­ren der Demokratie, das Zittern haben.

Aber sie bibbern nicht vor den EG-Konzemen, nicht vor der Bonner Regierung, nicht vor den Diktaten aus Brüssel, sie bibbern vor dem — richtig! — noch viel mächtigeren österreichischen Volk.

So tun sie halt, was sie können. Sie berufen sich auf die Gesetze, die sie sich gemacht haben, und verhindern eine Volksabstimmung über das Aufgehen Österreichs im „Europäischen Wirtschaftsraum“ (EWR):

Eine Volksabstimmung zur Frage des Europäischen Wirtschaftsraums halte ich politisch für unklug und rechtlich nicht für geboten. (...) eine überwiegende Ablehnung würde Österreich in eine Integrationspanik treiben.

H. Neisser, ÖVP-Klubobmann, Presse, 6.4.91

Völlig ungeeignet ist die EWR-Problematik auch für eine plebiszitäre Ent­scheidung. Hier wird mit der Uninformiertheit (...) Schindluder getrieben.

M. Frühbauer, Chefredakteur der Industrie, 17.4.91

Man kann nicht mit jedem Schmarrn an die Bevölkerung gehen, womit ich nicht sagen will, daß der EWR ein Schmarrn ist.

F. Vranitzky, ORF-Pressestunde, Juni 1991

Bei einer Volksabstimmung über den EWR würde es nur zu einer Emotio­nalisierung im Zusammenhang mit dem Europa-Thema kommen. Eine Emotionalisierung gegen den EWR könnte sich aber zu einer solchen gegen die EG auswachsen, und dies ist nicht im Interesse der FPÖ.

Gugerbauer, FP-Klubchef, Presse, 27.5.91

Eine Volksabstimmung käme einem Mißbrauch der Instrumente der direkten Demokratie gleich, denn der Vertrag ist viel zu kompliziert, als daß man über ihn mit Ja oder Nein abstimmen könnte.

W. Schüssel, Minister, Alternative, 11/91

Sie fürchten das Volk. Die von ihnen selbst, von niemandem sonst, genährte Volkswut. Sie fürchten die Österreicher wie der Schmutz das Wasser.

Vielleicht, so meint die große Koalition von Angst und Bang, die größer ist als die von SPÖ und ÖVP, ist auch keine Volksabstim­mung über den EG-Anschluß notwendig, „bei aller Liebe zur direk­ten Demokratie“, wie Außenminister A. Mock gesagt hat (ZiB 1, 22.7.88). Jener, der ein paar Jahre vorher eine wegen des Wiener Kongreßzentrums gewollt hat.

Eine Volksbefragung lehne ich ab, die Frage ist zu kompliziert.

LAbg. A. Obitzhofer, Wörgler Rundschau, 26.10.88

Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bedarf dringend einer Entscheidung. Aber keiner Volksentscheidung (...) Das Thema ist für Volksabstimmungen schlecht geeignet. (...) Von den österrei­chischen Politikern würde ich mir endlich ein klares Bekenntnis zum Bei­tritt wünschen. Anderenfalls lavieren sie uns noch in einen Volksabstim­mungswirbel.

J. Tschebull, Kolumnist, Kurier, 11.7.88
Bilder des Widerstands 1:
Immer wieder flammen in Tirol Bergfeuer gegen den EG-Anschluß auf. Hier am Herz-Jesu-Sonntag 1988 am Alpjoch bei Imst in Tirol.

Eine Volksabstimmung ist natürlich nicht notwendig (...). Außerdem ist die Materie der europäischen Integration so kompliziert, daß man die breite Öffentlichkeit damit überfordert.

Fritz Bock, Vizekanzler a.D.,
Industrie, 14.12.88

An sich ist die Idee, die Österreicher über ein so überaus komplexes Thema, wie einen Beitritt zur EG, entscheiden zu lassen, schlicht und ein­fach gesagt, schwachsinnig.

H. Kienzl, Nationalbank-Vize,
Furche, 30.5.91

Ich bin nicht sicher, ob es überhaupt zu einer Volksabstimmung über den EG-Beitritt kommen wird. Vielleicht haben die Politiker aus dem unglaub­lich dilettantischen Abenteuer EXPO gelernt.

Wolfgang Bachmayer,
OGM-Meinungsforschungs-Institut,
Wochenpresse, 31. Mai 1991

Sie fürchten die Unzulänglichkeiten bei der Meinungssteuerung. Sie fürchten das Versagen ihrer Waffen.

Sie fürchten den Unmut der Überfahrenen. Sie fürchten die Antwort der ständig Ungefragten. Sie fürchten — und sie haben Grund das zu tun — auf die eine Frage Antwort auf alle nie gestellten Fragen zu bekommen.

Eine wahre Musterkollektion aus gestandenen Demokraten, aber leider noch nicht ausgestandenen, wird hier vorgeführt. Oder führt sich selber vor:

Ein Abstimmungs-Nein würde den Sturz der zu diesem Zeitpunkt amtie­renden Regierung bedeuten, meint (SP-Zentralsekretär) Keller: „Eine Regierung, die einen Völkerrechtsvertrag von dieser Tragweite abschließt und dafür nicht die Bestätigung im Land findet, muß sich verabschieden.“ Daher müßten die beiden Großparteien, „unabhängig von der heutigen Regierungskonstellation“ bei einer Pro-EG-Initiative auf Jahre hinaus gemeinsam handeln: „SPÖ und ÖVP müßten die Volksabstimmung tragen.“

Kurier, 4.11.88

Industrie-Generalsekretär Herbert Krejci betont, die Volksabstimmung müsse mit vereinten Kräften bestanden werden.

Kurier, 4.11.88

EG-Debatte: Cap warnt vor „Zwentendorf-Effekt“.

AZ, 1.4.89

Eine EG-Abstimmung ginge derzeit — ohne ein Wunder — negativ aus.

H. Kienzl, Furche Nr. 16.5.91

Wenn die Bundesregierung nicht schleunigst beginnt, in Kommunikations­fragen professionell vorzugehen, werden die Österreicher sicherlich gegen den EG-Beitritt stimmen. Man hat aus der EXPO offenbar nichts gelernt.

Renate Skoff, Agenturen im Public
Relations-Verband Austria APRVA (Leiterin),
a3boom!, August 1991

Der EXPO-Flop sollte als Warnsignal den Österreichern im Gedächtnis bleiben. Er wirkt für das Inland bedrohlich und im Ausland blamabel. Und wirft, man wagt es kaum auszusprechen, einen Schatten auf das künftige unvermeidliche EG-Plebiszit.

Milan Dubrovic, Schriftsteller,
Wiener Journal, Aug. 91

Es ist schon lang Feuer am Dach. Die Aufklärung erfolgt sicher zu spät, und die Distanzhaltung der Bevölkerung macht sich schon lange bemerk­bar.

Sepp Hartinger, Hartinger Consulting, a3boom!, Aug. 91

Es wäre schlecht, wenn das bei uns, wie in Norwegen, in die Hose ginge.

Wolfgang Locker, EG-Koordination
BWK, Wochenpresse, 19.9.91

Eine unserer Stärken ist ihre Angst! Und: Ihre Angst, ihre bleckerte Angst, läßt uns unsre Stärke deutlich spüren.

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