Café Critique, Jahr 2002
Januar
2002

Wer über Israel spricht, muß mit antisemitischen Ressentiments rechnen

Replik auf Aug und Ohr, Gegeninformationsinitiative: „Wer hier hereinkommt, das bestimme ich! Tumult und Redeverbot in Wien auf einer Veranstaltung mit einem Vertreter der Bahamas!“

Am 23. Oktober fand in der Wiener Universität die Veranstaltung „Israel und die Linke“ statt, die von dem unabhängigen, an der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie und der Kritischen Theorie orientierten Diskussionszirkel Café Critique in Zusammenarbeit mit der Studienrichtungsvertretung Politikwissenschaft organisiert wurde. Der Ablauf dieser Veranstaltung, zu der etwa 120 Personen gekommen waren, bestätigte die Brisanz des Themas und leider auch die Bedenken der Organisatoren, daß eine Diskussion über das Verhältnis der Linken zum Staat der Shoah-Überlebenden in der augenblicklichen Situation nur schwer möglich ist.

Bereits im Ankündigungstext wurde unmißverständlich eine zwar kritische, aber eindeutige Solidarität mit dem israelischen Staat eingefordert und darauf hingewiesen, daß die Forderung nach einem palästinensischen Staat gerade angesichts der Zunahme des offenen Antisemitismus in der palästinensischen Gesellschaft von emanzipativen Kräften keineswegs zu unterstützen ist.
Über den Ablauf der Veranstaltung kursieren mittlerweile wilde Gerüchte, die vor allem durch einen Text von Aug und Ohr genährt wurden. Solange dieser Text nur in Wien kursierte, sahen wir uns nicht veranlaßt, darauf zu reagieren, da Aug und Ohr in Österreich fast allen Fraktionen der Linken als nervender Spinner bekannt ist, der es selbst bei den meisten Autonomen zu Lokal- und Hausverbot gebracht hat und sich in letzter Zeit im Outing linker Aktivisten übt. Polizei wie Nazis dürften sich darüber gleichermaßen freuen und Aug und Ohr dürfte das wohl den letzten Rest an Sympathie auch bei jenen Linken gekostet haben, die nicht gerade in einem Naheverhältnis zu Café Critique oder der Basisgruppe Politikwissenschaft stehen. Seit der Text aber auch in der BRD kursiert, wo man Aug und Ohr nicht zu kennen scheint, sehen wir uns zu einer kurzen Erklärung gezwungen.

Vor dem Hintergrund der weltweiten Intifada sahen wir uns veranlaßt, über Sicherheitsmaßnahmen für unsere Veranstaltung nachzudenken, bei der eines der Referate immerhin den Titel „Solidarität mit Israel“ trug. Um eine Diskussion überhaupt zu ermöglichen, wurde beschlossen, fünf Personen aus der Wiener Szene, die in der Vergangenheit durch Tätlichkeiten, Drohungen oder/und antisemitische Ausfälle aufgefallen waren, von vornherein den Zutritt zu verweigern. (Um klarzustellen worum es geht: es gibt in der Wiener Linken Leute, die jedesmal, wenn sie eine bestimmte jüdische Genossin erblicken, anfangen, auf sie einzuprügeln und sie beispielsweise als „jüdische Fotze“ beschimpfen.) Bei der Veranstaltung erschien nur eine dieser Personen, die aber von unseren, von Aug und Ohr als „Schläger“ und „Gorillas“ bezeichneten Leuten leider nicht bemerkt wurde und deshalb während der ganzen Veranstaltung anwesend war.

Die Tatsache, daß wir vor konsequenteren Sicherheitsmaßnahmen zurückschreckten, hat übrigens dazu geführt, daß wir leider indirekt andere Personen von unserer Diskussion ausgeschlossen haben, nämlich einige Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die auf Grund von Sicherheitsbedenken nicht gekommen sind.

Was geschah nun auf der Veranstaltung? Im ersten Referat skizzierte Margit Reiter vom Wiener Institut für Zeitgeschichte, die vor kurzem die Studie „Unter Antisemitismusverdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah“ veröffentlicht hat, das Verhältnis der österreichischen Linken zu Israel entlang der zentralen politischen Ereignisse im Nahen Osten. Von der Staatsgründung 1948 bis zum Golfkrieg und dem sogenannten Friedensprozeß in den neunziger Jahren beschrieb sie die Veränderungen und Ambivalenzen in diesem Verhältnis vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit. Sie ging dabei sowohl auf die KPÖ und die antizionistischen Teile der Sozialdemokratie und der Neuen Linken als auch auf autonome und antiimperialistische Gruppierungen mit ihrer zeitweise fast schon gewohnheitsmäßigen Gleichsetzung der israelischen Politik mit dem nationalsozialistischen Massenmord ein.

Anschließend referierte Horst Pankow, Redakteur der Berliner Zeitschrift Bahamas, über das Verhältnis der deutschen Linken zu Israel und über die linken Reaktionen auf den Anschlag auf das World Trade Center. Pankow wies nachdrücklich auf den antisemitischen Charakter des Massenmords von New York hin und kritisierte die sich zwischen bedauerndem Verständnis, klammheimlicher Freude und offener Zustimmung bewegenden Stellungnahmen linker Gruppierungen. Ausschnitte aus den Referaten und der Diskussion finden sich auf der Homepage von Context XXI-Radio.

Kurz nachdem Pankow mit seinem Referat begonnen hatte, hat eine Gruppe von Zuhörern unter deutlichem Protest den Saal verlassen. Als diese Leute später zurück wollten, haben jene Personen von uns, die an der Tür standen, ihnen zunächst den Eintritt verweigert, da sie davon ausgegangen sind, daß es ihnen nach ihrem Abgang wohl nur um weitere Störungen, nicht aber um eine Diskussion gehen kann. Nach einigem Hin und Her wurden sie dann doch wieder in den Saal gelassen. Den kurzzeitigen Ausschluß dieser Leute als rassistisch zu bezeichnen ist böswilliger Schwachsinn.

Im Saal war die Stimmung mittlerweile reichlich aufgeheizt. Der Großteil des Publikums nahm die Ausführungen von Reiter und Pankow interessiert zur Kenntnis, stellte Nachfragen und formulierte auch Einwände, über die eine Diskussion durchaus lohnend gewesen wäre. Einige Personen aus dem Publikum zeigten jedoch sehr bald, daß sie an solch einer Diskussion kein Interesse hatten. Sie nutzten die Gelegenheit, um ihren antisemitischen Ressentiments Ausdruck zu verleihen. Aug und Ohr schreibt nun: „Auf dieser Veranstaltung wurde vom Moderator Stephan Grigat zwei Diskussionsteilnehmern, einem Araber und einem Österreicher, die sich zu Wort gemeldet hatten, das Rederecht verwehrt.“ Es stimmt, daß diesen beiden Personen das Rederecht verweigert wurde, und wir würden auf jeder weiteren Veranstaltung wieder so handeln. Jener Mensch, von dem Aug und Ohr schreibt, daß er „für seine sehr gute und sehr offenherzige Rhetorik bekannt (ist)“, titulierte Teile des Publikums und des Podiums als „Agenten der israelischen Botschaft“ und schrie nicht nur „Kindermörder“, was schlimm genug gewesen wäre, sondern steigerte sich in repetitive Sprechchöre und versuchte durch die Rufe „Kindermörder, Kindermörder, Zionistenschweine, Zionistenschweine“ den weiteren Ablauf der Veranstaltung zu verunmöglichen. Der Berichterstatter Aug und Ohr schwang sich zur Verteidigung dieses antisemitischen Schreihalses auf und brüllte, mittlerweile völlig in Rage geraten, eine Person im Publikum im Wissen um dessen Geschichte als Überlebender der Shoah an: ’Ihre schmierige Visage geht mir schon länger auf die Nerven!„Mehrere Personen im Publikum, insbesondere auch einige der kurzzeitig Ausgeschlossenen, machten sich für die“Meinungsfreiheit" der beiden Störer stark.

Nachdem in den letzten zehn Jahren innerhalb der deutschsprachigen Linken eine intensive Diskussion über die antisemitischen Implikationen bestimmter Ausprägungen des Antizionismus stattgefunden hatte, die zu der Hoffnung Anlaß gab, daß der israelische Staat nicht mehr für die Projektionsleistungen insbesondere deutscher und österreichischer Linker herhalten muß, bricht seit Beginn der sogenannten Al-Aqsa-Intifada erneut ein eindeutig antisemitisch aufgeladener Antizionismus hervor, der an einer Auseinandersetzung mit Positionen, wie sie etwa von Café Critique vertreten werden, kein wirkliches Interesse hat. Es geht diesem radikalen Antizionismus nicht um die Kritik an bestimmten Vorgehensweisen der israelischen Staatsgewalt, sondern um die antisemitisch motivierte Delegitimierung der notwendigerweise staatlich, also gewaltförmig organisierten und garantierten Bedingung relativer Sicherheit für alle vom Antisemitismus Bedrohten, die solange verteidigt werden muß, bis die kapitale Vergesellschaftungsweise und damit das Fundament des modernen Antisemitismus in kommunistischer Absicht abgeschafft ist.

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