ZOOM 1/1996
Januar
1996

WEU und Europäische Rüstungsproduktion

Die europäische Rüstungsindustrie steckt in der Krise. Die WaffenproduzentInnen in der Union drängen auf einen Binnenmarkt auch für ihre Produkte.

Die Beschäftigungsbilanz der Waffenproduktion in den EU-Staaten der vergangenen zehn Jahre fiel negativ aus: Kündigungswellen in Deutschland, 100.000 Arbeitsplätze weniger in Frankreichs Rüstungsindustrie und 50.000 beim britischen Waffenkonzern Aerospace. Nun scheinen auch Umsatz und Profit nicht mehr zu stimmen.

Der Umsatz der Rüstungsproduzenten in der Europäischen Union beläuft sich auf rund 3500 Milliarden Schilling. Die US-Rüstungsindustrie setzt in halb so viel Produktionsstätten doppelt soviel um. [1] Das scheint der Maßstab für die Rüstungspolitik der EU zu sein. Die Westeuropäische Union (WEU) könnte der politische Träger für das Vorhaben werden, die Rüstungsproduktion wieder anzukurbeln. Mit Hilfe einer Westeuropäischen Rüstungsallianz soll die Krise der nationalen Rüstungsfirmen gelöst werden. Dies ist ein wichtiger Antrieb für die Bildung eines westeuropäischen Sicherheitssystems. Sogenannte gemeinsame Sicherheitsinteressen und die Bildung einer Militätallianz sind erst als Folgen einer gemeinsamen Rüstungsindustrie zu erwarten.

Liberalisierung und Rüstungspolitik

Während in der Wirtschaftspolitik allgemein die Freiheit des Kapitals und das Zurückdrängen des Staates als Gestalter oder gar als Eigentümer staatlicher oder gemeinwirtschaftlicher Betriebe auf der Tagesordnung steht, gibt es gleichzeitig einen Wirtschaftsbereich, der immer stärker der EU anvertraut wird, die Rüstungsindustrie. Hier sind es dann die Konzerne selbst, die nach Aufträgen und Ordnungsmaßnahmen der Politik rufen.

Die Waffenproduktion wird so in allen Industrienationen zum zentralen Wirtschaftslenkungsinstrument des Staates. Je stärker jegliche politische Gestaltung des Marktes im allgemeinen von der Wirtschaft zurückgedrängt wird, desto größer wird die Notwendigkeit für Großkonzerne, über den Rüstungsmarkt als Transmissionsriemen der Wirtschaft zum Staat zu finden.

Das Konzept dafür, Noam Chomsky hat es militärischen Keynesianismus genannt, wirkt auf den ersten Blick geradezu hypnotisierend. Der sicherheitspolitische Apparat des Staates kann durch gezielte Vergabe von Forschungsmitteln und Aufträgen an Rüstungsbetriebe direkt auf die Wirtschaftsentwicklung Einfluß nehmen. Der Staat kann damit einen Rest an Wirtschaftseinfluß für sich retten. Die Wirtschaft erhält für den kapitalintensivsten Bereich staatliche Förderungsmittel für Forschung, Entwicklung und Produktion. Geht es in anderen Produktionszweigen schlecht, kann ein größerer Rüstungsauftrag helfen.

In den USA und Großbritannien haben dieses Modell als erste Ronald Reagan und Margret Thatcher umgesetzt. Eine Steigerung des Verteidigungsbudgets sollte die Nachfrage am Rüstungsmarkt ankurbeln. Dies hatte zur Folge, daß sich fast alle Großkonzerne einen Rüstungssektor in ihrer Produktionspalette aufgebaut oder solche angekauft haben. Über Rüstungsaufträge holte man sich, wenn nötig, Steuergelder vom Staat. Der daraus entstehende Technologie- und Rüstungswettlauf (Stichwort SDI) hat zwar möglicherweise die Sowjetunion besiegt, gleichzeitig aber der USA unglaubliche Staatsverschuldung, Aushöhlung des sowieso kaum entwickelten amerikanischen Sozialsystems, Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts und zunehmende Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit beschert. Den politischen Preis für die Auswirkungen dieser Politik auf die eigene Volkswirtschaft mußte Reagans Nachfolger Bush mit seiner Wahlniederlage gegen Clinton bezahlen. Auch in Großbritannien wird der Nachfolger Thatchers, John Major die Rechnung für die Politik und die mittelfristigen Folgen seiner Vorgängerin bei den nächsten Wahlen begleichen müssen.

Diese „Wirtschaftspolitik“ ist bereits in den USA und England offensichtlich gescheitert, obwohl sie der jeweils nationalen Rüstungsproduktion genützt hat. Doch genau diese Politik des militärischen Keynesianismus will nun ein deutsch-französisches Rüstungskartell im EU-Rahmen durchsetzen. Dieses nimmt dafür Strukturbereinigungen in der Rüstungsindustrie vor.

Die Vorboten für den militärischen Keynesianismus liegen in der Liberalisierung, Flexibilisierung und Deregulierung des Marktes. Ist der Einfluß des Staates vom Markt verdrängt, wird es um vieles leichter werden, Subventionen für Großkonzerne über Rüstungsaufträge zu legitimieren. Konkurs und Ausgleich wäre dann die Drohung, mit denen Großkonzerne wie Daimler-Benz Regierungen unter Druck setzen können. Und wo die Sozialsysteme aufgeweicht oder schon aufgelöst sind, wird der Druck am Arbeitsmarkt groß genug sein, daß sich ein konkurrenzfähiger, einheitlicher westeuropäischer Rüstungsmarkt entwickeln läßt. Die WEU und die Diskussion um eine westeuropäische Sicherheitsarchitektur erscheinen vor diesem Hintergrund wie Glasperlenspiele für Sicherheitsexperten.

In den vergangenen fünf Jahren fiel die erwartete Friedensdividende nach Ende des kalten Krieges wesentlich niedriger aus als erwartet. Was zu beobachten war, ist eine Umstellung der Produktion und der Arsenale aufgrund einer Änderung der Strategie: Von Waffen für die große Schlacht zwischen Ost und West wird jetzt auf Interventionskräfte umgestellt, was einen neuerlichen Investitionsschub in der Rüstung bringen wird. Statt massenhaft Kampfpanzer werden jetzt verstärkt Luft- und mobile Kräfte für out of area-Einsätze produziert und gekauft.

Rüstungs- und Technologieentwicklung: die letzten Aufträge des Staates

Die Instrumente staatlicher Rüstungspolitik sind

  • Privatisierung,
  • Zusammenlegungen und transnationale Gemeinschaftsprojekte von Rüstungsfirmen,
  • Forschungsaufträge im Hochtechnologiebereich, für Militärelektronik sowie Weltraumforschung und
  • Aufträge im kapitalintensiven Rüstungsbereich wie der Luftwaffenproduktion.

Insbesondere in Großbritannien, Frankreich und Deutschland spielt die Rüstungsproduktion eine zentrale wirtschaftliche Rolle. Aber auch Italien, Spanien und Schweden besitzen bereits ansehnliche Umsatzzahlen. Parallelfertigungen von Flugzeugen, Panzern, Hubschraubern und Raketen sind besonders kostentreibend und ineffizient. Sie schwächen die westeuropäischen Konzerne gegenüber den US-amerikanischen Konkurrenten. Die WEU könnte dieser Entwicklung mit einer Vereinheitlichung des Rüstungsmarktes entgegensteuern. Eine deutsch-französische und eine EU-Rüstungsagentur setzen bereits vorbereitende Schritte.

Die Funktionen, die in den USA das Pentagon für den Rüstungsmarkt innehat, könnte in Europa der WEU-Rat übernehmen. Eine Akkordierung und Vereinheitlichung der Forschungsaufträge, der Produktion und der Verkaufspolitik, damit glauben die WesteuropäerInnen den Amerikanern auch auf den Weltwaffenmärkten entgegentreten zu können.

Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die Entwicklung des als Ersatz für den Jäger 2000 gedachten Eurofighters, an dem Deutschland (33 %), Italien (21 %), Spanien (13 %) und Großbritannien (33 %) beteiligt sind. Die gemeinsame Entscheidung aller westeuropäischer Nationen für den Eurofighter hätte ein Auftragsvolumen von 650 Milliarden Schilling. Dies entspricht beinahe dem österreichischen Staatshaushalt. Geben die Verteidigungsminister der EU ihren Sanctus, entsteht eine Nachfrage, die einen gemeinsamen europäischen Rüstungsbinnenmarkt zu einer zwar staatlich subventionierten, aber für die Konzerne hochprofitablen Angelegenheit macht. Die RüstungsplannerInnen erhoffen sich, daß dadurch die unlängst fusionierten französischen Firmen Dassault und Aerospatiale, British Aerospace und Daimler-Benz Aerospace (DASA) auch am Weltwaffenmarkt wesentlich besser gegenüber den Amerikanern abschneiden werden.

Ein Hubschrauber, der den Namen Tiger erhalten soll, wird in französisch-deutscher Kooperation entwickelt. Vor kurzem erst mußten die EuropäerInnen hinnehmen, daß Großbritannien einen Hubschrauberauftrag im Wert von 40 Milliarden Schilling an Mac-Donnel Douglas vergeben hat. Auch die Niederlande folgten dem britischen Beispiel. Solchem marktwirtschaftlichen Verhalten der Regierung soll in Zukunft der Rüstungsbinnenmarkt mit seinen Bedingungen vorbeugen.

Von der nationalen zur suprationalen EU-Rüstungspolitik [2]

Die drei größten europäischen Rüstungsproduzenten Frankreich, Großbritannien und Deutschland verfolgen verschiedene Strategien. Großbritannien, das bereits unter Thatcher Anfang der achtziger Jahre dem amerikanischen Beispiel gefolgt ist und die Gesetze des freien Marktes auch für die Rüstungsindustrie verordnet hat, sind die französischen und deutschen wie die meisten anderen europäischen Waffenschmieden in der Krise. Thatcher hat analog den USA die meisten Rüstungskonzerne privatisiert und umstrukturiert. Weiters hat sie keine fixe staatliche Auftragspolitik z. B. an British Aerospace durchgeführt, jedoch sehr wohl große Forschungsförderungsprogramme bezahlt. Die britische Rüstungsproduktion sollte damit auf längere Sicht international konkurrenzfähiger – und somit auch für den eigenen Verteidigungsminister attraktiv – werden wird. Eine Erwartung, die sich auch erfüllte. 50.000 Stellen sind auf diesem Weg „rationalisiert“ worden. Heute ist die britische Rüstungsindustrie die im westeuropäischen Rahmen erfolgreichste. Das könnte auch ein Grund sein, warum Großbritannien relativ geringes Interesse an einem gemeinsamen westeuropäischen Rüstungsmarkt oder Sicherheitssystem hat.

Die französische Rüstungsindustrie wird mit dem Begriff des Colbertismus (nach dem Premierminister J. B. Colbert unter Ludwig dem XIV.) charaktisiert. Seine wesentlichen Merkmale sind die weitgehende Staatlichkeit der Rüstungsproduktion. Fixe staatliche Aufträge und die Engführung der Waffenentwicklungen mit den nationalen Strategien sind für den Colbertismus typisch. Was der Staat braucht und will, wird produziert. Folge dieser „protektionistischen“ Rüstunspolitik sind Konkurrenzprobleme für die monopolistischen Betriebe, die dann rein staatlich subventioniert werden. Neben der Abschaffung der Wehrpflicht hat Präsident Chirac zuletzt einen zweiten, viel wichtigeren strategischen Schritt gesetzt: die Reform des Colbertismus mit dem Ziel, die französischen Betriebe auf den EU-Binnenmarkt für Rüstungsgüter vorzubereiten und sie zum Flaggschiff derselben zu machen. Zusammenlegung von Dassault und Aerospatiale mit dem Ziel der Privatisierung, Teilprivatisierung von Thomson CSF und Gemeinschaftsprojekte mit der deutschen DASA und der British Aerospace sollen die französischen Waffen, die dann WEU-Waffen sein werden, wieder wettbewerbs- und weltmarktfähig machen.

Die deutsche Rüstungspüroduktion steckt ebenfalls in einer tiefen Krise. Deutschland ist zwar 1994 hinter den USA zum zweitgrößten Rüstungsexporteur der Welt geworden. Dabei handelt es sich jedoch in erster Linie um Altmaterialien der Nationalen Volksarmee der ehemaligen DDR und der Bundeswehr. Die deutsche Rüstungsproduktion hat einige Struktumängel. In verschiedenen Bereichen wie der Weltraumproduktion hinkt sie nach. In anderen konnte sie die Projekte im nationalen Rahmen mangels politischer Zustimmung (Jäger 90) nicht umsetzen. Hier besteht das größte Interesse an einer Neustrukturierung des Marktes. Deutschland ist daher auch die treibende Kraft für zukünftige Gemeinschaftsprojekte wie den Eurofighter, das FLA-Transportflugzeug, den Kampfhubschrauber Tiger und der Militärfregatte Horizon.

Vorerst werden diese Gemeinschaftsprojekte in einer deutsch-französischen Rüstungsagentur geplant und vorbereitet. Für die Zukunft empfiehlt der WEU-Experte De Vestel eine Westeuropäische Rüstungsagentur (WEAG): „Die primäre Funktion dieser WEAG soll der permanente Dialog zwischen den Verteidigungsministerien und deren führenden Köpfen des Beschaffungswesens werden. Im Moment treffen sich die Verteidigungsminister nur zweimal jährlich in der WEU und einmal in der WEAG.“

Wird die Agentur zur ständigen Einrichtung, könnte sie sich zur besseren Identifizierbarkeit ruhig eines martialischeren Titels bedienen. Im supranationalen Rahmen der EU bleibt den Menschen der Zugriff sowieso praktisch verwehrt.

[1Pierre De Vestel: Defence markets and industries in Europe: Time for political decisions?, Institute for Security Studies of WEU 1995.

[2ebd.

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