radiX, Flugblätter
April
2000

Wider die antisemitische Normalität!

Antisemitismus ist in Österreich keine Randerscheinung einiger wütender Alt- und Neonazis, sondern ein integraler Bestandteil der postnationalsozialistischen Gesellschaft in diesem Land.

Genauso wie Rassismus, liegt Antisemitismus bereits jeder bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft immanent zugrunde. Schließlich gelingt die Identitätsbildung des bürgerlichen Subjekts nicht über sich selbst, sondern nur über die ständige Abgrenzung gegenüber vermeintlich minderwertigen und vermeintlich überwertigen Menschen. Gegen die vermeintlich unterwertigen Menschen richtet sich der Rassismus, gegen die vermeintlich überwertigen der Antisemitismus.

Die Tugenden bürgerlicher Mäßigung werden diesen vermeintlich über- und unterwertigen Menschen entgegengestellt. Das bürgerliche Subjekt sieht sich dann eben als die genau richtige Mischung zwischen dem „Abstrakten“, das von eben diesem bürgerlichen Subjekt den Juden zugeordnet wird und dem „Natur- und Triebhaften“, das Afrikanern und anderen „Untermenschen“ zugeordnet wird.

Diese Grundstruktur antisemitischen Denkens wurde jedoch in keinem Teil der Welt zu größerer Meisterschaft getrieben als in Deutschland und Österreich. Hier hat sich christlicher Antisemitismus mit rassischem Antisemitismus und deutscher Gründlichkeit zu jenem eliminatorischen Antisemitismus gepaart, der schließlich zur verhehrendsten Massenvernichtung in der Geschichte des Judentums führte. Nur hier haben es ÖsterreicherInnen und Deutsche zustandegebracht, Millionen von Menschen mit einmaliger Systematik einer industriellen Massenvernichtung zuzuführen.

Und daran beteiligt war eben nicht nur „der Staat“ oder „der Parteiapparat“, sondern jene „Volksgemeinschaft“, die erst durch das gemeinsam begangene Verbrechen wirklich zu jener Volksgemeinschaft wurde, die sie sein wollte.

Nach 1945 geschah das, was bei Verbrecherbanden, die erwischt worden sind, immer passiert: Niemand wollte es gewesen sein. Und während das den Deutschen weltweit einfach niemand abnahm, mußten sie wohl oder übel über die Vergangenheit reden, sie „bewältigen“, ... eben gerade so viel, wie es notwendig war, um spätestens unter Bundeskanzler Schröder wieder „ein ganz normales Land“ zu werden.

Die ÖsterreicherInnen hatten dies nicht einmal nötig. Die Lebenslüge der zweiten Republik, das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen zu sein, wurde den ÖsterreicherInnen wenn schon nicht geglaubt, so doch aus opportunistischen Gründen – der Kalte Krieg war schließlich bald wichtiger als eine konsequente „Entnazifizierung“ – augenzwinkernd akzeptiert.

Die postnationalsozialistische TäterInnengemeinschaft in Österreich, erst durch das gemeinsame Verbrechen zur Volksgemeinschaft zusammengeschweißt, konnte so eine Aufarbeitung der Geschichte nie dulden. HistorikerInnen, die an den Tabus des Verbrecherkollektivs kratzten, politische Kleinstgruppen, die auf die begangenen Massenmorde und die Beteiligung von ÖsterreicherInnen darauf hinwiesen, und vor allem Opfer und ihre Nachfahren, die Ansprüche auf Entschädigung oder zumindest Entschuldigung erhoben, wurden und werden nur als NestbeschmutzerInnen gesehen.

So konnte in diesem Land auch nach 1945 eine Kontinuität des Antisemitismus weiterleben, die oft nicht einmal von den schlimmsten verbalen Ausritten zurückschreckte. Nicht nur an Stammtischen geisterte und geistert immer wieder der „Saujud“ herum. In den Sechzigerjahren konnte dies auch durchaus noch von wichtigen ÖVP-PolitikerInnen gehört werden.

Gegen Kreisky, der jüdischer Herkunft war, plakatierte die ÖVP „Ein echter Österreicher!“ und dieser Kreisky selbst wiederum hielt sich nicht mit antisemitischen Ausritten gegen Simon Wiesenthal zurück.

Jüdische EmigrantInnen wurden nie zurückgeholt und kehrten sie auf eigene Faust zurück, machte ihnen die österreichische Volksgemeinschaft das Leben schwer.

Die katholische Kirche beendete erst in den Neunzigerjahren die Wallfahrt zum „Anderl von Rinn“, einem Fall von Ritualmordlegende in Tirol.

Gar nicht erwähnt ist hier die durchgehend antisemitische Politik der Nachfolgepartei des „3. Lagers“, der VdU und der späteren FPÖ. Hier konnten nach der Wiederzulassung alter NSDAP-Mitglieder zu Wahlen noch ungehinderter alte NS-Karrieren fortgesetzt werden als in allen übrigen Parteien. Funktionäre des „Antisemitenbundes“ konnten in VdU und FPÖ ebenso zu wichtigen Funktionen aufsteigen wie Kriegsverbrecher und andere NS-Größen.

Kein Wunder also, daß in diesem postnationalsozialistischen Österreich mit seiner ebenso postnationalsozialistischen Demokratie ein Klima herrscht, das auf jede Thematisierung der Verstrickung von ÖsterreicherInnen in die TäterInnenschaft der Schoa mit einem sekundären Antisemitismus reagiert wurde und wird. Zuerst wurde die Schoa fünfzig Jahre verschwiegen und dann wurde jenen, die sie seit der Affäre Waldheim endlich erwähnten, vorgehalten, sie sollen doch diese alten Geschichten nicht wieder ausgraben.

Waldheim brachte der Vorwurf seiner Kriegsvergangenheit und seine eigenen antisemitischen Antworten auf diese Vorwürfe schließlich den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 1986. Auch der Aufstieg der FPÖ war immer wieder begleitet von antisemitisch konnotierten Aussagen und Plakaten. Zuletzt wurde mit „Zwei echte Österreicher“ auf das ÖVP-Plakat gegen Kreisky Bezug genommen. Während des Wahlkampfes und v.a. nach dem Wahlerfolg der FPÖ im Oktober 1999 verzehnfachten sich laut Israelitischer Kultusgemeinde die Übergriffe auf Jüdinnen und Juden in Österreich. Und nun, nach der Machtergreifung einer FPÖVP-Regierung fordert die FPÖ-Nationalratsabgeordnete Partik-Pable, Zivildiener in Zukunft nur noch für Krankentransporte und ähnliches einzusetzen, statt sie zum „Taferlputzen in Jerusalem“ zu schicken. Ein offener Angriff auf den Gedenkdienst, der Zivildienern die Möglichkeit gibt, einen Zivilersatzdienst in Holocaustgedenkstätten und jüdischen Einrichtungen zu versehen.

Aber nicht nur der offene Antisemitismus in Österreich ist allgegenwärtig. Dazu kommt nämlich auch noch ein „struktureller Antisemitismus“, eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen antisemitischen Argumentationen und einer verkürzten Kapitalismuskritik, wie sie auch von großen Teilen der Linken vertreten wird.

Die mittelalterliche Gleichsetzung von Juden und Geld setzt sich in der frühen Arbeiterbewegung bei Proudhon oder Lassalle fort. Proudhons Antisemitismus betreibt erneut die Unterscheidung der Zirkulationssphäre von der Produktionssphäre. Bereits hier bleibt die Kapitalismuskritik in der Kritik der Zirkulation stehen. Jüdinnen und Juden werden mehr oder weniger offen mit der kritisierten Zirkulation in Verbindung gebracht.

Bei Marx sind zwar auch — insbesondere in seiner Schrift über die „Judenfrage“ — antisemitische Positionen zu finden, zu einem in sich geschlossenen Antisemitismus kommt er jedoch nicht. Vor allem aber betreibt er keine grundsätzliche Abtrennung von Zirkulation und Produktion. Einer Zuschreibung von „Juden“ in den Bereich der Zirkulation wird deshalb basierend auf Marx unmöglich.

Trotzdem finden sich in der traditionellen, marxistischen, anarchistischen und feministischen Linken oft massive strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Weltbild des Antisemitismus.

Insbesondere die Personifizierung des Kapitalismus führt oft zu diesen strukturellen Ähnlichkeiten. Im traditionellen Bewegungsmarxismus wird nicht versucht, „die kapitalistische Gesellschaft in ihrer Totalität zu bestimmen und aufzuheben, sondern lediglich ein Moment innerhalb dieser Konstellation vertreten, das in antagonistischem Widerspruch zur Gesellschaft steht und dem zu „seinem Recht“ verholfen werden soll. Die Kategorie Wert, die das Kapitalverhältnis konstituiert, bleibt außerhalb jeder kritischen Betrachtung und erscheint lediglich in der Figur des Mehrwerts, der vom Kapitalisten bzw. der Kapitalistin einbehalten wird, also als grundsätzlich positive Kategorie, die es sich anzueignen gilt.“ [1]

Es wird also nicht primär der Kapitalismus bekämpft, sondern die KapitalistInnen. In diesem Weltbild steht einer „bösen“ KapitalistInnenklasse eine „gute“ ArbeiterInnenklasse gegenüber und es genügt, wenn die ArbeiterInnenklasse der KapitalistInnenklasse das Kapital und die Produktionsmittel entreißt. In der konkreten politischen Arbeit dieser Gruppierungen heißt das dann, daß es genügt, sich auf die Seite der ArbeiterInnenklasse zu stellen und ihr zu ihrem Recht zu verhelfen.

Wiederum wird nur die Sphäre der Zirkulation und nicht jene der Produktion hinterfragt, Kapitalismus nur als „Verteilungsproblem“ wahrgenommen, in dem einige „bösartige Reiche“ den „armen Ausgebeuteten“ ihren gerechten Lohn vorenthalten.

Daß das Unrecht nicht Systemcharakter ist, sondern Namen und Adresse hätte — der Kapitalismus also nichts anderes wäre als eine Verschwörung bösartiger Reicher - ist ein alter Mythos breiter Teile der Linken.

Welchen Namen und Adresse diese ominöse allgegenwärtige Macht trägt, die stellvertretend für die Schattenseite der Moderne steht, war nicht erst für die Nazis, sondern bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert für eine breite gesellschaftliche Strömung eine ausgemachte Sache: „Die Juden sind unser Unglück“

(Treitschke) [2]

Das verkürzte Kapitalismusverständnis Lenins, das er in seiner Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ ausformuliert, hat deutliche Parallelen zum modernen Antisemitismus. Dieses kommt heute jedoch nicht nur in leninistischen und antiimperialistischen Gruppen vor. Gerade in der jüngsten Debatte um das MAI-Abkommen und die „Globalisierung“ sind ähnliche Verkürzungen und damit verbundene Parallelen zu antisemitischen Weltverschwörungstheorien wieder modern geworden. Der Nationalstaat ist plötzlich auch für Linke wieder verteidigenswert geworden. Wenn nicht nur Helmut Schmidt den Nationalstaat gegen den „globalen Irrsinn“ der „heißen Spekulanten“ und deren „Raubtierkapitalismus“ verteidigt, sondern selbst der „Anarchist“ Noam Chomsky oder eine breite Front von MAI-GegnerInnen, dann haben verkürzte Kapitalismuskritik und Verschwörungstheorien einmal mehr die Hegemonie in der Linken errungen.

Wieder einmal wird Spekulation nicht als etwas begriffen, das jeder und jede im Kapitalismus betreiben muß, da sie „zu den tagtäglichen Erledigungen aller Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft“ [3] gehört, sondern als etwas, das nur von den „bösen Spekulanten“ betrieben wird.

Dabei ist „jede Marktkalkulation [...] eine Spekulation. Bei der Börsenspekulation ist das nur am meisten einsichtig, weil dort die Verwertung in ihrer abstraktesten Form (G-G’) auftritt, scheinbar jeder stofflichen Verunreinigung enthoben.“ [4]

Mit der Unterscheidung von Finanzkapital und produktivem Kapital, von SpekulantInnen und NichtspekulantInnen können jedoch Schuldige ausgemacht werden, kann wieder einmal die Wut über den Kapitalismus zu einer Wut auf bestimmte Bösewichte umgewandelt werden.

In Karrikaturen werden die der Globalisierungskritik latent innewohnenden Weltverschwörungstheorien schon manifester. Die alles umschlingende Krake versucht die ganze Welt zu verschlingen und erhält allerorts Gegenwehr der „produktiven“ Arbeiter, ...

Auch wenn Weltverschwörungstheorien der Linken ohne „Weltjudentum“ oder „Freimaurer“ auskommen, sind die Eigenschaften, die dem „Finanzkapital“ zugewiesen werden, von frappierender Ähnlichkeit. Ein manichäisches Weltbild mit „Guten“ und „Bösen“, das diesen „Bösen“ antisemitisch konnotierte Eigenschaften und Begriffe zuordnet, wird, so auch ohne offenen Antisemitismus, zu einem strukturellen Antisemitismus, der letztlich schneller zu offenem Antisemitismus werden kann als mensch es für möglich halten mag.

„Wenn schon in Malaysien, also einem Land, in dem der Antisemitismus nie eine nennenswerte Rolle gespielt hat, die Landesregierung im Zusammenhang mit dem laufenden Finanzcrash die Mär vom jüdischen Geldkapital aus dem Hut gezaubert hat, was ist dann erst in Weltregionen zu erwarten, in denen das antisemitische Ressentiment auf eine ganz andere Vorgeschichte zurückblicken kann?“ [5]

[1Gruber, Alex/Ofenbauer, Tobias: „Keine Lektüre für Bonzen und Parasiten“ Über den strukturellen Zusammenhang von verkürztem Antikapitalismus und Antisemitismus; in: Reader mit Basistexten zum Seminar der Basisgruppe Politikwissenschaft: Zur Kritik des modernen Antisemitismus. Elemente einer kritischen Gesellschaftstheorie, Wien 1998

[2Lohoff, Ernst: Geldkritik und Antisemitismus; in: Weg und Ziel Nr. 2/1998

[3Schandl, Franz: Jagt die Spekulanten! Schlagt sie tot!, Redundantes über die aktuellen Entgleisungen einer Sorte Antikapitalismus; in: Streifzüge 3/1998

[4ebenda

[5Lohoff, Ernst: Geldkritik und Antisemitismus; in: Weg und Ziel, 2/1998

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