Streifzüge, Heft 1/1996
März
1996

Wie es weitergeht

Zweite Erklärung zum „Linken Dialog“

Um es böse zu sagen: Die „Linke Dialog-Kon­ferenz“ vom 8. bis 10. Dezember 1995 an der TU Wien hat großteils eingelöst, was wir von ihr befürchtet haben. Sie bot kaum Gelegenheit zur Darstellung theoretischer, wie auch immer „linker“, Positionen und Entwicklungsstränge, und sie war auch nicht das identitätsstiftende und repräsentative „Event“, als das sie vom vorbe­reitenden „Dialog-Komitee“ gewünscht worden war.

Durch die Brille der Ausdauer betrachtet: Sie könnte ein erster Schritt zu einem breiten und tie­fen „linken Dialog“ sein. Immer noch halten wir die Bemühung um eine koordinierte „linke“ Debatte für notwendig und sind wir bereit, an einer solchen nach Maßgabe unserer Möglich­keiten teilzunehmen — auch wenn sie sich nicht immer zu unserer Zufriedenheit gestaltet.

Aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres müssen jedoch Konsequenzen gezogen werden, soll der „linke Dialog“ irgend eine Chance auf Fortführung haben:

  • Die Vorbereitung jedweder weiterer Dialog- Veranstaltungen muß von einer unzweideutigen Entschlossenheit zu theoretischer Auseinander­setzung getragen sein. Nicht Repräsentation, Proklamation, Identitätsstiftung und Gruppen­bildung, sondern Präsentation und Diskussion des theoretischen Zustands der „Linken“ sind anzustreben.
  • Die für den Dialog interessanten Beiträge und Beitragenden sind nicht nach ihrer Zugehörigkeit zu irgendwelchen Organisationszusammenhän­gen oder „Zirkeln“ zu beurteilen, sondern danach, ob sie an irgend ernstzunehmender, grundsätzlicher Kritik der entwickelten, „moder­nen“, das bedeutet kapitalistischen Gesellschaft arbeiten oder arbeiten wollen.
  • Die künftig ins Auge zu fassenden Veranstal­tungsformen müssen nach dem ausschließlichen Kriterium ihrer Eignung für solcherart Ausein­andersetzung gestaltet werden, nicht nach dem Kriterium eines ohnehin zweifelhaften Effektes gegenüber irgend einem Massenpublikum. Selbverständlich sollen alle Dialog-Veranstaltungen für alle Interessierten offen, das heißt öffentlich sein; ein gewisses Maß an Interesse wird man jedoch wenn nicht verlangen so doch in der Kon­zeption voraussetzen müssen, sollen diese Ver­anstaltungen auch theoretische und praktische Fortschritte erbringen.
  • Solche oder auch nur Ansätze dazu hat die Großveranstaltung im vergangenen Jahr unserer Einschätzung nach aus den genannten Gründen nicht gebracht. Das bedeutet, daß noch eine ungeschmälerte Menge an theoretischen Anstrengungen vor uns liegt, wenn wir uns vor­nehmen, ernstzunehmende Gesellschaftskritik sowie Formen und Mittel praktischer Opposition zu rekonstruieren. Diese werden nicht vorwie­gend durch eine Koordinationsgruppe geleistet werden können, sondern sie sind den interessier­ten Gruppen und Personen zur Aufgabe gestellt: Wir alle sind dazu aufgefordert, unsere theoreti­schen Grundlagen zu formulieren, zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Erst auf dieser Basis wird der Dialog fruchtbar sein.
  • Nicht die Verteidigung von Gruppeninteressen und die Darstellung von Persönlichkeiten sind gefragt, sondern die Darstellung und Diskussion inhaltlicher Positionen. Die Erarbeitung theore­tischer Grundlagen und die Findung geeigneter Austragungsformen läge allerdings auch im wohlverstandenen Interesse der beteiligten Grup­pen und Personen: Die gegenwärtige Lage der „Linken“ ist nicht nur deshalb in jeder Hinsicht prekär, weil ihr von der „Rechten“ hart zugesetzt wird, sondern auch deshalb, weil sie dem rechten „Mainstream“ nicht allzu viel entgegenzusetzen hat. Weitenteils erschöpft sich die „Linke“ darin, der gegenwärtigen destruktiven Dynamik des Kapitalismus seine konstruktive Ideologie als Korrektiv vorzuschlagen, was zwar nicht schlechthin abzulehnen ist, aber immer häufiger fehlschlägt. Wir meinen, daß das Fehlschlagen dieser Taktik nicht bloß auf die Gedankenlosig­keit von Politikern und Wahlvolk oder eine vor­übergehend schlechte Konjunkturlage zurückzu­führen ist, sondern auf eine grundlegende und andauernde (Selbst)destruktionsbewegung von Kapitalismus und bürgerlichem Staat. Die Auf­gabe der „Linken“ sehen wir nicht darin, dieser faktischen „Dekonstruktion“ eine (bloße) Rekonstruktion der ideologischen und politi­schen Konstrukte des bürgerlichen Zeitalters ent­gegenzuhalten. In diesem erblindenden Spiegel wird sich schon die Gegenwart bald nicht mehr erkennen; Ausblicke auf die Zukunft können wir durch dieses Medium erst recht nicht gewinnen. Eine „ Linke“, die sich weiterhin bedenkenlos sol­chen Spiegelfechtereien hingibt, wird ihre Bestandsgrundlagen verspielen, politisch über­flüssig und vollends mittellos werden — sie wird allenfalls als private Nostalgieveranstaltung eine Nischenexistenz finden.
  • Wir meinen, daß für das gesellschaftliche Wie­deraufleben der „Linken“, ihrer Gruppierungen und Akteure eine Erneuerung und Radikalisie­rung der Kritik als Kritik der negativen Verge­sellschaftung im Kapitalismus, das ist an der pro­duktiven Grundlage der Kritik der Warenform, notwendig ist. Eine emanzipatorische Praxis wird sich künftig ebenfalls als praktische Kritik der kapitalistischen Vergesellschaftung in ihrer Tota­lität konstituieren müssen; das umso vehemen­ter, je deutlicher sie als partikulare Interessen­vertretungs- und Marktnischen-Praxis im sich zuerst an seinen Rändern zersetzenden Kapita­lismus jegliche gesellschaftliche Relevanz verlie­ren und allenfalls noch als Privatissimum Bestand haben wird. Wir bestreiten damit nicht generell taktische Erwägungen und Konzepte, die sich weiterhin auch positiv auf Markt und Staat, Poli­tik und Massenmedien beziehen; uns ist durch­aus klar, daß auch auf diesen Ebenen Hand­lungsfähigkeit gefordert sein kann. Wir verlan­gen aber, die objektiven Grenzen dieser Vorha­ben zu erkennen und somit diese aktuellen Erfor­dernisse nicht zu allgemeinen, unüberwindlichen Grundlagen allen Denkens und Handelns zu erheben, sondern als besondere, überwindliche Grundlagen des kapitalistischen Zeitalters zu begreifen, zu kritisieren und an tauglichen Über­windungspraktiken zu arbeiten. Wir treten dafür ein, den gegenwärtigen Primat der Taktik durch einen Primat der Theorie zu ersetzen, diese nicht als schmückende Extravaganz oder als bloßes Legitimationsrepertoire zu begreifen, sondern als unabdingbare Quelle gesellschaftlicher Bedeu­tung und Handlungsfähigkeit, die „die Linke“ künftig haben wird.
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