ZOOM 1/1998
März
1998

Wieviel Haß ist im Netz?

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes hat eine erste Bestandsaufnahme rechtsextremer Propaganda im Internet vorgelegt. Kritischen Fragen ist es dabei eher aus dem Weg gegangen.

Die Verbreitung rechtsextremer Propaganda gilt neben derjenigen von pornographischen Inhalten gemeinhin als eine wesentliche Gefahr des Internets. Mit ihr lassen sich daher auch die vielfältigen, meist mit strafrechtlichen Folgen verbundenen Bemühungen legitimieren, über das Internet weitergeleitete Informationen zu regulieren, hinter denen sich aber mitunter ganz andere oder zumindest weitergehendere Interessen verbergen. Die Debatte über das Thema mündet somit fast zwangsläufig in eine solche über Zensur. Deren Grundfrage ist trotz der neuen technischen Möglichkeiten gar nicht neu. Erinnert sei nur an die noch in Prä-Internet-Zeiten erfolgte Unterstützung des libertären Heroes Noam Chomsky für den wegen Leugnung der Massenmorde in den Konzentrationslagern verurteilten französischen „Revisionisten“ Robert Faurisson. Vor allem aber wird diese Debatte zumeist mehr im Stile gerechter Empörung geführt – über die Nazipropaganda von der einen und über die angestrebte Kontrolle des heiligen Netzes von der anderen Seite –, denn aufgrund der Frage, welche Gefahr für und von wem von der Verbreitung rechtsextremer Propaganda im Internet tatsächlich ausgeht.

Es ist daher ein lobenswertes Unterfangen, wenn das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes mit einer Bestandaufnahme der so gar nicht virtuellen rassistischen, rechtsextremen und neonazistischen Propaganda im Internet, insbesondere im World Wide Web, die „kontroversielle und dynamische Diskussion über Kontrolle im Internet“ (S. 8) anregen will. Das Ergebnis läßt allerdings in manchem zu wünschen übrig.

Am brauchbarsten ist der Band als eine Art Handbuch rechtsextremer Provider und Homepages, etwas unübersichtlich nach geographischen (Österreich, Deutschland, Europa, USA) und thematischen Kriterien (Antisemitismus, „Revisionismus“) strukturiert. Die Beschreibungen kommen allerdings über einen groben Abriß der Inhalte der Homepages, der sie verantwortenden Organisationen und der Verzweigungen zu anderen Sites kaum hinaus. Weder erfolgt eine quantitative Analyse (Umfang, Zugriffe, ...) noch eine qualitative (Art der Darstellung, Strategien, Bedeutung für die rechtsextreme Szene, ...). Zudem fehlen die „revisionistischen“ und rechtsextremen Newsgroups des UseNets ebenso wie die Homepages der FPÖ und ihrer Neben- und Vorfeldorganisationen. Letztere seien, so die etwas magere Begründung des Herausgebers, „politisch so inhaltsleer (...), daß sie nicht in Zusammenhang mit rassistischer, rechtsextremer oder neonazistischer Propaganda gebracht werden können.“ (S. 10) Die sich aufdrängende Frage, warum sich der vom DÖW ansonsten so minutiös belegte rechtsextreme Charakter der freiheitlichen Organisationen nicht in deren Präsenz im Internet widerspiegelt, wird nicht weiter nachgegangen.

Dabei sind freiheitliche Politiker sehr wohl in den rechtsextremen Nischen des Netzes unterwegs, wie in dem Beitrag über das deutschsprachige Thule-Netz nachzulesen ist, der sich in seiner kritischen Herangehensweise positiv abhebt. Dem Thule-Netz war ab Februar 1996 auch die österreichische Dissident BBS angeschlossen, die von dem vom Abgeordneten Karl Schweitzer geförderten Jung-FPÖ-Politiker Christian Anderle betrieben wurde. Auf der Flucht vor Strafverfolgung wegen der Schändung des jüdischen Friedhofs in Eisenstadt im Oktober 1992 mußte der „Arier“ Anderle (Pseudonym im Thule-Netz: Arisk) aber bereits drei Monate später wieder offline gehen. Da dieses, bezogen auf seinen Bekanntheitsgrad, wenig bedeutende Mailbox-Netz bereits vor zwei Jahren von Burkhard Schröder in „Neonazis und Computernetze“ (rororo-Taschenbuch 1490) ins rechte Licht gerückt wurde, erstaunt es kaum zu erfahren, daß es nach wie vor von nicht mehr als etwa 60 aktiven und 200 passiven Usern genutzt wird – verglichen beispielsweise mit den auf 100.000 geschätzten NutzerInnen des links-liberalen ComLink-Netzes. Auch dem Mythos der konspirativen Kommunikation wird das Thule-Netz seit seiner Gründung 1992 weniger gerecht als seiner Funktion als leicht überschaubare Informationsquelle für StaatsschützerInnen.

Ein Netz der Rechten?

Ob Leuchter-Report, Lüftl-Report, Rudolf-Gutachten oder die „Weisen von Zion“ – die über das Internet verbreiteten rechtsextremen Inhalte, vorwiegend „revisionistischer“ oder antisemitischer Art, sind vielfach schon lange in gedruckter Form erhältlich. Läßt sich, was offen bleibt, das über das Thule-Netz Gesagte verallgemeinern, so verwunderte eher die geringe Präsenz von Rechtsextremen und Nazis im Netz. Auch wenn die Vorstellung vom Internet als demokratisches Bürgernetz in dieser Allgemeinheit im Reich der Mythen angesiedelt ist, scheinen die Versuche der Rechten, sich dieses nutzbar zu machen, mehr von nachholendem Eifer denn von irgendetwas anderem bestimmt. Für diese Annahme sprechen auch die mitunter auftretenden (erfolglosen) Versuche, sich in den linken, Bürger- oder Hobbynetzen breit zu machen oder diese zu diskreditieren, beispielsweise durch das Einspielen der berühmt-berüchtigten (und allenfalls aufgrund ihrer Mangelhaftigkeit gefährlichen) Anleitungen zur Sprengmittelerzeugung.

Wesentlich erfolgreicher etablieren sich Rechtsextreme und Neonazis derzeit am Musikmarkt. Der Absatz von CDs von Skinhead-Bands boomt (siehe den Beitrag „Skinheads im Internet“, S. 238). Klarerweise werden rechte Rockmusik und Merchandising-Produkte rechter Bands auch über das Internet vertrieben. Auffällig ist, daß die Homepages der einschlägigen Vertriebe professioneller gestaltet sind als die reinen Propagandaseiten. Der Einfluß der Texte rechtsextremer Rockgruppen auf Jugendliche soll nicht unterschätzt werden. Der elektronische Vertrieb jedoch dient zunächst weniger der Verbreitung rechtsextremer Inhalte als der Absatzsteigerung. Andererseits sind diese Gruppen nicht deswegen kommerziell erfolgreich, weil sie ihre Produkte im Internet anbieten, sondern genau umgekehrt. Rockmusik ist ein Geschäft, und ein Geschäft kommt ohne eigene WWW-Seiten nicht mehr aus. Während diese Präsenz den Absatz und in Folge die Verbreitung rechtsextremer Inhalte vielleicht steigert – wobei noch offen bleibt, ob es sich tatsächlich um eine Steigerung und nicht lediglich um eine Verlagerung des Absatzes handelt –, bleibt das Internet für diese Gruppen doch allenfalls ein Nebenschauplatz.

Einer von 115 Screenshots aus dem Buch
(Werbung der White Aryan Resistence für „rassistische Aufnäher“)

Gegenstrategien

Der Faszination der Technik läßt sich leicht erliegen. Dies gilt selbstverständlich, und entgegen den Ausführungen Wolfgang Neugebauers im Vorwort, nicht nur für Rechtsextreme. Die HerausgeberInnen von „Das Netz des Hasses“ scheinen selbst in diese Falle getappt zu sein. Wie ließe sich sonst erklären, daß sie das Buch mit gezählten 115 halbseitigen Screenshots von WWW-Seiten gefüllt haben, sodaß eigentlich nur mehr der Vierfarbdruck abgeht? Der Sinn dieser Abbildungen hat sich mir nicht erschlossen. Als Veranschaulichung der eingesetzten Propagandamittel erschöpfen sie sich reichlich schnell. Andererseits demonstrieren die HerausgeberInnen durch das Löschen aller Netzadressen aus den Abbildungen – anstatt, was um einiges einfacher gewesen wäre, die Adressenleiste vor Aufnahme der Bilder als Ganzes auszublenden –, daß sie keinesfalls Werbung für Naziseiten machen wollen. Es bleibt bei der Demonstration: Zahlreiche Adressen in den Seiten selbst sowie in den Titelleisten wurden nicht gelöscht, und nur die größten Dumpfbacken unter den Rechtsextremen werden nicht in der Lage sein, anhand der schriftlichen Beschreibung mittels Suchmaschinen die entsprechenden Adressen ausfindig zu machen (ich selbst benötigte zum Auffinden einer spezifischen Seite keine fünf Minuten). Da das Buch schließlich selbst die Adresse einer (sehr nützlichen) Auflistung neonazistischer, rechtsextremer und antisemitischer Homepages verzeichnet, erweist sich dies als überflüssige Fleißaufgabe. Wer über rechtsextreme Veröffentlichungen schreibt, kann und soll auch nicht verhindern, daß LeserInnen selbst Einblick in diese nehmen.

Ich beschreibe diese fragwürdige Layoutmaßnahme so ausführlich, weil sie zu der nicht unwesentlichen Frage führt, wer wie auf rechtsextreme Propaganda im WWW zugreift. Der Zugang zu dieser – wie zu jedem für eine relativ kleine Gruppe produzierten Inhalt – ist über das Internet sicherlich einfacher als über Printmedien. Ob aber diese niedrigere technische Zugangsschwelle zu einer Zunahme des Rechtsextremismus führt oder lediglich zu einer Verlagerung oder Erweiterung der von Rechtsextremen eingesetzten Medien, ist dadurch noch nicht beantwortet. An einer Antwort hierauf mißt sich aber die Forderung der HerausgeberInnen nach verstärkten Gegenmaßnahmen, insbesondere strafrechtlicher Natur. Neugebauers Feststellung, daß nicht zuletzt wegen der Aburteilung führender österreichischer Neonazis von Honsik bis Schimanek jr. österreichische Neonazis und RassistInnen mit ihrer in Österreich nicht mehr möglichen Propaganda ins Internet auswichen (S. 8), belegt das Buch – mit Ausnahme der auf einem US-amerikanischem Server liegenden und mutmaßlich vom Wiener Franz Swoboda gestalteten Ostara-Homepage – aber gerade nicht. [1]

Das in Zusammenhang mit dem Internet immer wieder angesprochene Problem, daß neonazistisches Gedankengut in den USA straffrei ins Netz gestellt wird und dann weltweit abrufbar ist, ließe einen Vergleich der Inhalte US-amerikanischer WWW-Seiten mit denen auf Servern in Ländern mit Verbotsgesetzen interessant erscheinen. Auf Basis der erwähnt knappen Angaben zu den einzelnen Seiten läßt sich dies nur abschätzen. Die Seiten scheinen sich aber primär durch den extensiven Einsatz von Nazi-Symbolik auf den US-amerikanischen Sites zu unterscheiden, ohne daß die europäischen deswegen einen merkbar „gustiöseren“ Eindruck hinterließen. Wo Rechtsextremismus draufsteht, ist trotz aller Verbote auch Rechtsextremismus drin. Im übrigen läßt sich gegen diesen Umstand, wie Peter Fleissner richtig feststellt, „aus Österreich kurzfristig so gut wie nichts unternehmen“. (S. 28)

Wenn aber doch etwas dagegen unternommen werden soll, so läuft dies auf eine verschärfte Kontrolle hinaus, die leicht nach hinten losgehen kann. Gegen manche der in zwei Beiträgen gemachten, recht weitreichenden Vorschläge zur strafrechtlichen Verfolgung hege ich daher auch Bedenken. [2]

Kehren wir zum Beispiel noch einmal zu der eingangs erwähnten Unterstützung Chomskys für die Freiheit Faurissons zurück, seine fraglos auch in Österreich unter das Verbotsgesetz fallenden Meinungen zu äußern. Nehmen wir an, diese wäre über elektronische Medien erfolgt oder von jemand Dritten in einem solchen verbreitet worden, und vergleichen dies mit den Ausführungen Gabriele Schmölzers über „strafbare Handlungen gegen den öffentlichen Frieden“ sowie dem Entwurf Brigitte Ederers für eine Reform des Medienrechts. Nach Schmölzer ist eine Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze „etwa dann denkbar, wenn über eine Homepage die österreichische Bevölkerung aufgerufen wird, sich nicht an das Verbot der ‚Auschwitzlüge‘ zu halten“ (S. 262). Ederers Entwurf sieht unter anderem vor: „Ist ein Medieninhaltsdelikt in einem elektronischen Medienwerk begangen worden, so gilt als Tatort der Sitz des Medieninhabers. Liegt dieser Ort im Ausland oder ist er unbekannt, dann gilt als Tatort jeder Ort, an dem das elektronische Medienwerk im Inland empfangen werden konnte.“ (S. 278) Zusammengenommen müßte dies konsequenterweise zu einem Strafverfahren in Österreich gegen Chomsky, denjenigen, der den Text ins Internet eingespeist hat oder eventuell sogar gegen den Provider führen. Daß Zensurmaßnahmen fast immer mit der Gefahr von rechts argumentiert werden, aber schlußendlich vor allem gegen links angewendet werden, ist so gut belegt, daß es zu konstatieren geradezu trivial ist.

Wenig hilfreich scheint mir, wenn in diesem Zusammenhang, wie immer wieder der Fall, eingeforderte Zensur von antifaschistischer Seite nicht als solche bezeichnet wird. Nur indirekt spricht etwa Wilhem Lasek von Zensur, wenn er schreibt, daß InternetbenutzerInnen in der Sperrung der neonazistischen Zündelsite durch den deutschen Anbieter T-Online einen Akt der Zensur gesehen hätten. (S. 159) Was denn sonst hätten sie darin sehen sollen? Mehrere NutzerInnen haben daraufhin die Zündelsite auf ihren WWW-Seiten „gespiegelt“ und so einen weiteren Zugang zu ihr ermöglicht. Daß die Neonaziszene dies als Sieg des „Revisionismus“ im „Cyberkrieg“ gegen bundesdeutsche Behörden gefeiert hat, diskreditiert noch lange nicht die Reaktion als solche. Ebensowenig impliziert dieser Protest zwangsläufig eine Übereinstimmung mit Neonazis, die sich selbst mit Vorliebe als Opfer gerieren, deren Recht auf freie Meinungsäußerung beschränkt wird. Auf der anderen Seite verschweigt Lasek, daß erst die Sperrung der Zündelsite diese berühmt gemacht und ihr hohes Prestige in der Neonaziszene begründet hat. Eine derart verschämte Darstellung hinterläßt eher den Eindruck, als sei sich der Antifaschist seiner Sache so sicher nicht.

Nationalsozialistische Wiederbetätigung ist aus gutem Grund der Zensur unterworfen, soll es auch sein und soll auch als solche benannt werden. Ob aber eine verschärfte Kontrolle des Internets notwendig ist, um ein Unterlaufen des Verbotsgesetzes zu verhindern, beziehungsweise wie eine solche möglich und mit welchen „Kosten“ sie verbunden ist, auf diese Frage geben die AutorInnen von „Das Netz des Hasses“ nur unzureichend Antwort. Aber auch ein Manko kann ja eine erwünschte Diskussion anregen, und trotz dieser Kritik ist das Buch zu empfehlen. Schließlich räumt das DÖW selbst ein, daß es sich der Thematik erstmalig angenähert hat.

Stiftung Dokumentations­archiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Das Netz des Hasses — Rassisitische, rechtsextreme und neonazistische Propaganda im Internet, 304 S, Deuticke, Wien 1997, öS 195,— (im DÖW) bzw. öS 285,— (im Buchhandel), ISBN 3-216-30329-2

[1Um nicht mißverstanden zu werden, sei explizit darauf hingewiesen, daß auch das DÖW Gegenstrategien auf anderen Ebenen als der strafrechtlichen (Erziehung, Medien, Kunst, ...) als wichtiger erachtet.

[2Ich beziehe mich hier nicht auf die ohnehin durch das Verbotsgesetz gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten, die etwa im Fall Swoboda von der Wiener Staatsanwaltschaften nur sehr unwillig, sprich auf Weisung des Ministers, wahrgenommen wurden.

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