„Wir sind noch keine vollständig funktionierende Demokratie ...“
Naushirwan Mistefa Emin gilt als Stellvertreter Jalal Talabanis und damit als zweitwichtigster Mann der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). In der 1975 als Parteienfront gegründeten Bewegung hatte er nach der Ermordung von Shaswar Celal 1978 die Führung der Komele, der „Liga der Werktätigen“ übernommen. Aus dieser linken Fraktion innerhalb der PUK stammte der Großteil der aktiven Peshmerga. Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 vertrat er die PUK in Bagdad und gehörte damit zu den einflußreichsten kurdischen Politikern in Irak. Er spielte dabei nicht nur eine wichtige Rolle bei der Ernennung kurdischer Regierungsmitglieder, sondern auch bei der Wahl Jalal Talabanis zum neuen irakischen Präsidenten. In der jüngsten Vergangenheit trat er zudem immer wieder als innerparteilicher Kritiker der PUK in Erscheinung, was seinen Ruf als integerem Politiker innerhalb der kurdischen Parteien entgegenkam. Mit ihm sprach Thomas Schmidinger in Sulemaniya.
Bis jetzt gab es eine Art politischer Apartheit im Irak. Wenn du ein Kurde bist, hast du kein Recht Präsident oder Premierminister zu werden. Selbst wichtige Ministerien, wie das Verteidigungs-, Aussen- oder Innenministerium waren für Kurden tabu. Wir wollen mit dieser politischen Tradition brechen und einen Staat auf Basis der Gleichheit aller Staatsbürger aufbauen. Wenn wir wirklich gleich sind, dann können wir auch jede Position im neuen Irak einnehmen.
Bis jetzt waren wir weit weg von den Entscheidungen in Bagdad. Von jetzt an wollen wir ein Partner jener Gruppen sein, die Entscheidungen fällen. Deshalb brauchen wir eine starke Position in Bagdhad.
Nein, Badgad ist die Hauptstadt des Irak und Kurdistan ist ein Teil des Irak.
Ja, die neue Regierung wird sicher zur Einheit des Landes beitragen. Die sunnitischen Araber haben nichts gegen die Wahl Talabanis und wir konnten uns auch mit den Schiiten einigen. Die neue Regierung wird alle wichtigen Elemente der irakischen Bevölkerung zusammenbringen.
Nein, denn es ist im Interesse der Kurden im Irak zu verbleiben. Die Zeit kleiner Nationalstaaten ist vorbei. Wenn wir unsere nationalen Rechte als Kurden im Irak garantiert bekommen und zum wirklichen Partner werden, können wir die Unterstützung von 22 arabischen Staaten erhalten. Dann können zum Beispiel auch unsere StudentInnen von arabischen Universitäten in 22 Staaten profitieren. Unsere Wirtschaft kann vom arabischen Markt in 22 Staaten profitieren, von den arabischen Erfahrungen. Schließlich gibt es fast 300 Millionen Araber.
Kirkuk ist sicher für alle Kurden eine wichtige Frage. In Bezug auf einen islamischen Staat kann ich sie aber beruhigen. Niemand hier will ein religiöses politisches System, nicht einmal die schiitischen Parteien. Sie fordern lediglich den Respekt vor der Religion der Mehrheit der irakischen Bevölkerung ein, fordern aber kein theokratisches Regime.
Die irakische Opposition zahlte einen sehr hohen Preis für ihren Kampf gegen Saddam Hussein, konnte ihn aber trotzdem nicht stürzen. Deshalb musste Saddam Hussein und das Ba’th-Regime durch eine Intervention von aussen gestürzt werden. Die Situation hier war ähnlich jener in Deutschland unter den Nazis. Auch dort war die Opposition nicht in der Lage selbst die Diktatur zu stürzen. So sehen wir eine Parallele zwischen der amerikanischen Intervention im Irak und der Landung der Allierten in der Normandie, die ja der Beginn zur Demokratisierung ganz Europas war. Die Demokratisierung des Irak ist ein Erfolg. Das haben nicht nur die Wahlen im Jänner gezeigt. Wir sehen bereits jetzt, dass der Wind der Demokratie hier in der Region vom Irak ausgeht. Es wird nun über die Verfassung in Ägypten debattiert, es gibt eine Frauenbewegung in Kuwait, Demonstrationen im Libanon und sogar in Saudi-Arabien fanden Gemeinderatswahlen statt. Das wäre ohne die Demokratisierung des Irak nicht möglich gewesen.
Sehen sie, das ist der Hauptunterschied zwischen der PUK und anderen Parteien im Irak und im Nahen Osten. Wir haben ein gewisses Maß an Demokratie innerhalb unserer Partei. Wir können frei unsere Parteiführung kritisieren, unser Programm und unsere konkrete Politik diskutieren. Wie sie wissen wurde die PUK nach dem Zusammenbruch der kurdischen Revolution 1975 gegründet. Wir begannen damals mit einem Guerillakrieg und einer Untergrundorganisation. In dieser Zeit eines harten und blutigen Kriegs mit dem Ba’th-Regime war unsere Partei eine Guerillabewegung mit allen Strukturen die für die Bekämpfung des Ba’th-Regimes notwendig waren. Jetzt wurden wir zu einer neuen Partei, die am politischen Prozess teilnimmt. Wir brauchen dafür andere Strukturen, andere Programme und Instrumente. Dafür ist es notwendig transparent zu arbeiten. Wir brauchen eine kollektive Parteiführung. Entscheidungen sollen in Zukunft kollektiv gefällt werden. Und wir brauchen den Kampf gegen Korruption innerhalb der Regierung und der Partei.
Vor diesem Hintergrund wollen wir unser politisches Denken und Handeln erneuern und damit auch ein Modell für die anderen Parteien schaffen.
Ja, diese Intervention war sogar sehr erfolgreich. Nach den Regionalwahlen haben wir nun zum Beispiel ein neues Parlament. In diesem neuen Parlament wird unsere Fraktion in Zukunft immer wieder die Minister befragen. Wann immer der Verdacht auf Korruption auftaucht — und damit meine ich nicht nur Bestechung mit Geld sondern auch Nepotismus — werden wir den Minister zur Verantwortung ziehen. Unsere Fraktion wird das jährliche Budget überwachen und damit eine finanzielle Transparenz herstellen. Das neue Regionalparlament wird nicht nur die Funktionen des bisherigen Regionalrates haben, sondern ein voll funktionstüchtiges Parlament mit allen Kontrollrechten sein, das die Regierung bestellen und entlassen kann.
Ja, wir haben nun bereits ein gemeinsames Parlament und wir werden versuchen die Administration zwischen Sulemaniya und Arbil zu vereinheitlichen.
Welche Fehler meinen sie?
Kein einziger Arbeiterkommunist sitzt bei uns im Gefängnis. Wir hatten Kämpfe mit den jenen Fraktionen der Islamisten, die wie die Ansar al-Islam, Teil der al-Qaida sind. Es gibt eine Bedrohung durch deren Terror. Europa hat uns ja nie geglaubt, wenn wir auf die Gefährlichkeit dieser Gruppierung aufmerksam gemacht haben. Aber die Arbeiterkommunisten haben ja damit nichts zu tun und sie können deshalb hier auch öffentlich arbeiten.
Wir würden es begrüßen wenn sie sich legal registrieren lassen. Aber sie anerkennen unsere Regierung nicht und deshalb haben sie sich nicht registrieren lassen. Was diesen Vorfall bei der Schließung ihres Büros betrifft waren es glaube ich nur vier oder fünf Tote. Das war noch vor dem Sturz Saddam Husseins und es war für uns eine sehr gefährliche Situation. Immerhin hatten sich nicht nur Iraker, sondern auch Iraner, Afghanen und Palästinenser bei ihnen verschanzt. Sie hatten auch sich damals durch ihr Verhalten in der Öffentlichkeit bei den Nachbarn sehr unbeliebt gemacht. Wir baten sie daraufhin nicht nur eine Genehmigung einzuholen, sondern auch ihr Büro an einen Ort zu verlegen wo sie weniger Leute stören. Sie haben sich jedoch geweigert diesen Anordnungen Folge zu leisten und danach kam es zu dieser Auseinandersetzung.
Ja, jede Gruppierung die nichts mit dem Terror zu tun hat, kann heute hier arbeiten. Wir sind zwar noch keine vollständig funktionierende Demokratie, aber auf dem Weg dorthin.
Anmerkung: Dankenswerterweise hat Dipl.-Ing. Hawrre Talabani, Aktivist der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), auf seinen Beitrag in Context XXI zugunsten des Interviews mit Naushirwan Mistefa Emin verzichtet.
