MOZ, Nummer 57
November
1990
Ausländerinnen:

Zu Gast in Wien

Jugoslawische Frauen in Österreich: Gemeinsam sind ihnen miese Wohnverhältnisse, Bassena, Gangtoilette und die fehlende Aufenthaltsgenehmigung.

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Nur sehr aus der Ferne hat dieser Wiener Hof etwas pittoreskes

Mitte Oktober waren den Wiener Gazetten merkwürdige Zeilen zu entnehmen. Der Verteilungskampf der Bundesländer um die Aufteilung der Gastarbeiter sei voll entflammt, denn ab 1991 dürfe die Zahl der Gastarbeiter bundesweit nur maximal 10% der inländischen Erwerbstätigen betragen. Den Aufruhr löste die Gemeinde Wien aus, denn sie forderte eine Zuteilung von 20%. Der zu dieser Zeit noch „keineswegs amtsmüde“ Sozialminister Geppert beharrte jedoch auf einer fixen Höchstzahl. Um die AsylantInnenunterbringung ist zwar auch in Maximalzahlen verhandelt worden, diese wären aber bereitwilligst nach unten korrigiert worden. War bei den Asylsuchenden noch eine gewisse Geschlechterdifferenzierung zu bemerken (zu viele fremde Männer ohne Frauen gefährden unsere Töchter, Ehefrauen und Mütter), wird bei den nun schon wieder Gast genannten Arbeitern automatisch der grosse Frauenanteil ebenso verschwiegen wie die Art der Arbeiten und die Bedingungen, unter denen sie sie verrichten müssen.

Wien, 15. Bezirk

Ein Haus, von außen bloß ein bißchen abgeschlagener und vemachlässigter als die Nachbarhäuser und ganz offensichtlich noch niemals vom Wiener Altbausanierungsfonds beglückt. Es ist ein Haus, das um 1900 herum erbaut wurde und die damalige Wohnungsnot etwas milderte. Der Stiegenaufgang ist noch in Form einer Wendeltreppe angelegt, jedes der drei Stockwerke verfügt über eine Bassena, die Zugänge zu den hofseitigen Wohnungen laufen noch über eiserne Pawlatschenkonstruktionen. Hinter den vielen Eingangstüren — es sind vierzig an der Zahl — liegen jeweils ein Küchenvorraum und ein einziges Zimmer. Der Hof ist noch nicht zubetoniert, zwischen den Katzenkopfsteinen sprießt etwas Gras. Lange Zeit standen die Seitentrakte leer und das verwunderte niemanden, denn in manchen Ziegelwänden fehlte der Mörtel, so daß von einem Raum in den nächsten gesehen werden konnte. Und natürlich gab’s keine Strom- und Wasserleitungen.

Vor gut einem halben Jahr änderte sich das. Über Nacht hatte das Gebäude den Besitzer gewechselt, und die Hausverwaltung erhielt den Auftrag, alle Wohnungen so teuer wie möglich zu vermieten.

Damals zogen Mirjana, Zlata, Zorica und Nena ein. Sie kommen alle aus dem südlichen Jugoslawien, leben aber schon einige Zeit in Wien und sprechen mehr oder minder gebrochen deutsch. Mit ihnen kamen ihre Ehemänner, Töchter und Söhne.

Gemeinsam ist ihnen, daß sie sich ohne Genehmigung in Österreich aufhalten, daß sie ohne Genehmigung arbeiten, daß sie und ihre Männer jeglicher Willkür von Arbeitgebern und Wohnungsvermietern ausgeliefert sind. Erstaunlich ist die Lebensenergie, die sie trotz aller widrigen Umstände ausstrahlen, denn auch die ist wahrscheinlich nicht behördlich genehmigt. Gemeinsam ist ihnen noch viel anderes: die Bassena, die Gangtoilette, die mühsamen Instandsetzungsarbeiten in den Wohnräumen, die manchmal bis ständig betrunkenen Männer.

Rusa

Rusa, die serbische Hausmeisterin, kam im Alter von siebzehn Jahren mit ihren Eltern nach Österreich. Sie ist eine Immigrantin der ersten Generation und spricht fließend deutsch. Mittlerweile ist sie fünfunddreißig, hat einen sechzehnjährigen Sohn und ist von ihrem auch aus Jugoslawien stammenden Ehemann geschieden. Rusa ist nicht gerade erfreut über den Zuzug ihrer Landsleute. Ein Zuwachs an Mietern bedeutet ein Mehr an Arbeit. Und Arbeit hat sie schon genug. Seit zehn Jahren arbeitet sie in einer bekannten Süßwarenfabrik am Fließband. Davor in einer anderen, die aber leider in Konkurs ging. Sie füllt Haselnüsse und Mandeln in mit flüssiger Schokolade gefüllte Bonbonformen. Durch ihre lange Betriebszugehörigkeit konnte sie einen besseren Status erreichen: Sie ist jetzt Vorarbeiterin am Fließband. Und zeigt nach 12 Jahren Schokoladeerzeugung allergische Reaktionen auf Schokolade.

Jeden morgen steht Rusa um vier Uhr auf, um zur Frühschicht nach Simmering zu fahren. Gegen drei am Nachmittag kommt sie nach Haus, erledigt die anfallenden Hausbesorgerinnenpflichten und trifft sich dann mit Freunden. Am Wochenende ist der große Hausputz an der Tagesordnung, das heißt Treppenhaus kehren, Stiegen waschen usw.

Ihr Erspartes hat Rusa in den Hausbau gesteckt. In ihrem Geburtsort, einem kleinen Dorf, steht nun ein zweistöckiges Wohnhaus mit Toilette und Bad in jedem Stockwerk. Auf das ist sie stolz. Doch Nutzen bringt es ihr mittlerweile keinen mehr. Sie hat zu lange in Österreich gelebt. All ihre Freunde und Freundinnen seien auch hier, meint sie, und, mit ihrem Heimatdorf verbindet sie gar nichts mehr, seit die letzten Verwandten verstorben sind. Das Haus zu verkaufen, ist schwer, denn es liegt nicht eimal annäherungsweise am Meer, und die Dorfbewohner sind zu arm. Ein unlösbares Problem.

Mit der Neuvermietung der Unterkünfte, die jeder Menschenwürde spotten, sind auch die Nationalitätenkonflikte Jugoslawiens ins Haus eingezogen. Rusa und zwei serbische Familien stehen den neuen BewohnerInnen abwartend bis deutlich reserviert gegenüber, kommen sie doch aus Bosnien, dem Kosovo und Montenegro. Von einer Frau wird sogar gemunkelt, daß sie ‚Zigeunerin‘ sei. Die Vorurteile blühen auf und werden auf die Kinder übertragen. „Wenn du dein Fahrrad in den Hof sperrst, mußt du es gut absperren, damit es die Zigeuner nicht stehlen, die stehlen nämlich alles“, erzählte mir ein kleiner Bub von zirka 3 Jahren. Religionsunterschiede tun ein Übriges, um das Zusammenleben im Haus zu erschweren. Manche Frauen gehen nur mit Kopfbedeckung aus der Wohnung, was in den Augen der Alteingesessenen ein Zeichen besonderer Rückständigkeit ist.

Zorica

Zorica, eine der Neuen, hat zwei Kleinkinder, die noch gewindelt werden müssen. Jeden Tag steht sie an der Bassena und wäscht mit eiskaltem Wasser die beschmutzten Windeln aus, wäscht mit eiskaltem Wasser sämtliche Kleidungsstücke der Familie. Auch das Geschirr wird dort gespült, denn Strom hat sie noch keinen auf Nummer 36. Sie lebt auf fünfundzwanzig Quadratmetern Wohnfläche mit Ehemann, zwei Kleinkindern und dem Bruder ihres Mannes und kocht mit Propangas. Manchmal kommen noch ein paar Freunde des Mannes aus Bosnien zu Besuch. Ihr Schwager ist derzeit ohne Arbeit. Damit sie dreimal in der Woche putzen gehen kann, hilft er ihr bei der Beaufsichtigung der Kinder. Zumindest sagt er das, denn wenn Zorica außer Haus ist, sind die Kinder sich selbst überlassen.

Trotz der ungeheuerlichen Miete von 3.200 öS ist sie froh, hier wohnen zu können. Überall sonst hatten sie nur Untermietverträge mit sechsmonatiger Laufzeit und mußten daher im halbjährlichen Abstand auf Wohnungssuche gehen. Gegen den Mietenwucher getraut sie sich nicht, etwas zu unternehmen: Sie ist eine der ‚Illegalen‘ in diesem Haus, also ohne Rechte irgendwelcher Art. Widerstand wird von vornherein durch die Drohung der Abschiebung im Keim erstickt.

Zlata

Zlata hat es besser getroffen. Sie lebt allein mit ihrem Mann in einer etwas besseren Wohnung mit internem Stromanschluß. Außerdem hat sie eine geregelte Arbeit. Sie steht ebenfalls am Fließband, um jene Waffeln, die man eben mag, nach Qualität zu sortieren. An diesem Fließband stehen fast ausschließlich Arbeitsmigrantinnen wie sie, die Bezahlung ist auch dementsprechend: Sie verdient 5.800 öS brutto, die Wohnungsmiete beträgt durch den gesteigerten Standard einer Steckdose 3.600 Schilling. Unter ihr wohnt ein Ehepaar, dessen männlicher Part offensichtlich unter Dauerrausch steht und in diesem Zustand seine Frau verprügelt: also täglich. Sie erzählt mir, daß sie die Schreie der Frau nicht mehr ertragen könne, die Männer aber nicht eingreifen, um nicht abgeschoben zu werden. Die Polizei käme auch nicht mehr, nur die österreichischen Nachbarn vom Haus gegenüber legten der Frau immer wieder nahe, doch aus dem Fenster zu springen, um „sie wär eh kein Schad und dann wär a Ruah“.

Als ich Zlata das nächste Mal treffe, weint sie. Soeben hat sie einen Brief der Hausverwaltung erhalten, der das Mietverhältnis mit Mitte Oktober für gelöst erklärt. Man habe ihr jedoch eine Ersatzwohnung angeboten: in Simmering, an der Wiener Stadtgrenze, zehn Minuten vom Zentralfriedhof entfernt. Kein Strom, kein Wasser in der Wohnung und eine Gangtoilette für 12 Wohnungen. Die Miete 4.000 öS für 25 Quadratmeter.

Zorica und die anderen ‚Neuen‘ haben das gleiche Schicksal. Jetzt wird endlich renoviert.

Parkbank oder ein Dach über dem Kopf? — die Mietpreisentwicklung bringt für viele diese Frage.